Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.
Der Geistliche kam, und gab ihr die letzte Oelung. Kronhelm und Siegwart beweinten sie als todt, und waren trostlos. Die ganze Nacht floß ihnen schrecklich hin. Kronhelm verwünschte sich, und sein Geschick, und das Kind, das ihm sein Liebstes raubte. Therese hatte die Nacht über ein paar Stunden Schlaf, und befand sich am Morgen ein klein wenig besser; die Aerzte verboten aber, ih- ren Mann zu ihr zu lassen, weil sie eine zu heftige Gemüthsbewegung für sie fürchteten. Sie konnte nun zuerst wieder etwas stärkende Brühe zu sich nehmen. Jhrem Manne ward etwas wenig Hoff- nung gemacht; man ließ ihn aber nicht zu ihr. Auf sein anhaltendes Bitten liessen ihn endlich die Aerzte in ihr Zimmer, als sie eben in einem klei- nen Schlummer lag. Man konnte ihn bey ihrem Anblick kaum zurück halten, daß er nicht vor Freu- den laut aufschrie, und über sie hin fiel, und sie küßte. Als sie wieder aufwachte, ließ man ihren Bruder zu ihr kommen. Jhr erstes Wort war: Was macht mein Kronhelm? Er ist wohl, war die Antwort, und hofft auf deine Genesung. -- Gott geb es! sagte sie. Jch befinde mich um ein Gutes besser. Sprich ihm Muth, und Vertrauen Der Geiſtliche kam, und gab ihr die letzte Oelung. Kronhelm und Siegwart beweinten ſie als todt, und waren troſtlos. Die ganze Nacht floß ihnen ſchrecklich hin. Kronhelm verwuͤnſchte ſich, und ſein Geſchick, und das Kind, das ihm ſein Liebſtes raubte. Thereſe hatte die Nacht uͤber ein paar Stunden Schlaf, und befand ſich am Morgen ein klein wenig beſſer; die Aerzte verboten aber, ih- ren Mann zu ihr zu laſſen, weil ſie eine zu heftige Gemuͤthsbewegung fuͤr ſie fuͤrchteten. Sie konnte nun zuerſt wieder etwas ſtaͤrkende Bruͤhe zu ſich nehmen. Jhrem Manne ward etwas wenig Hoff- nung gemacht; man ließ ihn aber nicht zu ihr. Auf ſein anhaltendes Bitten lieſſen ihn endlich die Aerzte in ihr Zimmer, als ſie eben in einem klei- nen Schlummer lag. Man konnte ihn bey ihrem Anblick kaum zuruͤck halten, daß er nicht vor Freu- den laut aufſchrie, und uͤber ſie hin fiel, und ſie kuͤßte. Als ſie wieder aufwachte, ließ man ihren Bruder zu ihr kommen. Jhr erſtes Wort war: Was macht mein Kronhelm? Er iſt wohl, war die Antwort, und hofft auf deine Geneſung. — Gott geb es! ſagte ſie. Jch befinde mich um ein Gutes beſſer. Sprich ihm Muth, und Vertrauen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0561" n="981"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Der Geiſtliche kam, und gab ihr die letzte Oelung.<lb/> Kronhelm und Siegwart beweinten ſie als todt,<lb/> und waren troſtlos. Die ganze Nacht floß ihnen<lb/> ſchrecklich hin. Kronhelm verwuͤnſchte ſich, und<lb/> ſein Geſchick, und das Kind, das ihm ſein Liebſtes<lb/> raubte. Thereſe hatte die Nacht uͤber ein paar<lb/> Stunden Schlaf, und befand ſich am Morgen ein<lb/> klein wenig beſſer; die Aerzte verboten aber, ih-<lb/> ren Mann zu ihr zu laſſen, weil ſie eine zu heftige<lb/> Gemuͤthsbewegung fuͤr ſie fuͤrchteten. Sie konnte<lb/> nun zuerſt wieder etwas ſtaͤrkende Bruͤhe zu ſich<lb/> nehmen. Jhrem Manne ward etwas wenig Hoff-<lb/> nung gemacht; man ließ ihn aber nicht zu ihr.<lb/> Auf ſein anhaltendes Bitten lieſſen ihn endlich die<lb/> Aerzte in ihr Zimmer, als ſie eben in einem klei-<lb/> nen Schlummer lag. Man konnte ihn bey ihrem<lb/> Anblick kaum zuruͤck halten, daß er nicht vor Freu-<lb/> den laut aufſchrie, und uͤber ſie hin fiel, und ſie<lb/> kuͤßte. Als ſie wieder aufwachte, ließ man ihren<lb/> Bruder zu ihr kommen. Jhr erſtes Wort war:<lb/> Was macht mein Kronhelm? Er iſt wohl, war<lb/> die Antwort, und hofft auf deine Geneſung. —<lb/> Gott geb es! ſagte ſie. Jch befinde mich um ein<lb/> Gutes beſſer. Sprich ihm Muth, und Vertrauen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [981/0561]
Der Geiſtliche kam, und gab ihr die letzte Oelung.
Kronhelm und Siegwart beweinten ſie als todt,
und waren troſtlos. Die ganze Nacht floß ihnen
ſchrecklich hin. Kronhelm verwuͤnſchte ſich, und
ſein Geſchick, und das Kind, das ihm ſein Liebſtes
raubte. Thereſe hatte die Nacht uͤber ein paar
Stunden Schlaf, und befand ſich am Morgen ein
klein wenig beſſer; die Aerzte verboten aber, ih-
ren Mann zu ihr zu laſſen, weil ſie eine zu heftige
Gemuͤthsbewegung fuͤr ſie fuͤrchteten. Sie konnte
nun zuerſt wieder etwas ſtaͤrkende Bruͤhe zu ſich
nehmen. Jhrem Manne ward etwas wenig Hoff-
nung gemacht; man ließ ihn aber nicht zu ihr.
Auf ſein anhaltendes Bitten lieſſen ihn endlich die
Aerzte in ihr Zimmer, als ſie eben in einem klei-
nen Schlummer lag. Man konnte ihn bey ihrem
Anblick kaum zuruͤck halten, daß er nicht vor Freu-
den laut aufſchrie, und uͤber ſie hin fiel, und ſie
kuͤßte. Als ſie wieder aufwachte, ließ man ihren
Bruder zu ihr kommen. Jhr erſtes Wort war:
Was macht mein Kronhelm? Er iſt wohl, war
die Antwort, und hofft auf deine Geneſung. —
Gott geb es! ſagte ſie. Jch befinde mich um ein
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| Zitationshilfe: | Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 981. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/561>, abgerufen am 25.11.2024. |
