Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.verachtete das ganze Menschengeschlecht; nur den P. Philipp und seinen Siegwart nicht. Aber der letztere stand doch sehr viel bey ihm aus. Er konn- te ihm nichts recht machen; jede Bewegung, die er auf dem Zimmer vornahm, konnte seinen Freund verdrüßlich machen, und er verzog die Minen dar- über. Wenn er lachte, war ihms nicht recht; wenn er traurte, auch nicht. Siegwart trug alles mit der größten Geduld, und gab seinem Freund in allem nach. Zuweilen überfiel seinen Kronhelm schnell die Wehmuth, daß er weinen konnte; dann sprach er von Theresen. Siegwart konnte ihm we- nig von ihr sagen, denn sie schrieb nichts mehr von Kronhelm, aber immer traurig und wehmüthig. Einmal schrieb sie ihm: Die Ursache meiner Leiden ist unsre Schwägerin. Sie war einmal bey uns, als ein Brief von dir kam. Jch übereilte mich, und brach ihn auf. Ein versiegelter Brief von Kronhelm lag darinn. Jch steckte ihn schnell ein, und ward roth. Das hat sie vermuthlich gemerkt, und an Kronhelms Vater geschrieben; denn sie sagte gleich: Sie korrespondiren ja auch mit dem jungen Herrn von Kronhelm? Jch konnte meine Verwirrung nicht verbergen, noch es ganz verheh- len. -- Kronhelm fieng von neuem an zu toben; verachtete das ganze Menſchengeſchlecht; nur den P. Philipp und ſeinen Siegwart nicht. Aber der letztere ſtand doch ſehr viel bey ihm aus. Er konn- te ihm nichts recht machen; jede Bewegung, die er auf dem Zimmer vornahm, konnte ſeinen Freund verdruͤßlich machen, und er verzog die Minen dar- uͤber. Wenn er lachte, war ihms nicht recht; wenn er traurte, auch nicht. Siegwart trug alles mit der groͤßten Geduld, und gab ſeinem Freund in allem nach. Zuweilen uͤberfiel ſeinen Kronhelm ſchnell die Wehmuth, daß er weinen konnte; dann ſprach er von Thereſen. Siegwart konnte ihm we- nig von ihr ſagen, denn ſie ſchrieb nichts mehr von Kronhelm, aber immer traurig und wehmuͤthig. Einmal ſchrieb ſie ihm: Die Urſache meiner Leiden iſt unſre Schwaͤgerin. Sie war einmal bey uns, als ein Brief von dir kam. Jch uͤbereilte mich, und brach ihn auf. Ein verſiegelter Brief von Kronhelm lag darinn. Jch ſteckte ihn ſchnell ein, und ward roth. Das hat ſie vermuthlich gemerkt, und an Kronhelms Vater geſchrieben; denn ſie ſagte gleich: Sie korreſpondiren ja auch mit dem jungen Herrn von Kronhelm? Jch konnte meine Verwirrung nicht verbergen, noch es ganz verheh- len. — Kronhelm fieng von neuem an zu toben; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0049" n="469"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> verachtete das ganze Menſchengeſchlecht; nur den<lb/> P. Philipp und ſeinen Siegwart nicht. Aber der<lb/> letztere ſtand doch ſehr viel bey ihm aus. Er konn-<lb/> te ihm nichts recht machen; jede Bewegung, die er<lb/> auf dem Zimmer vornahm, konnte ſeinen Freund<lb/> verdruͤßlich machen, und er verzog die Minen dar-<lb/> uͤber. Wenn er lachte, war ihms nicht recht; wenn<lb/> er traurte, auch nicht. Siegwart trug alles mit<lb/> der groͤßten Geduld, und gab ſeinem Freund in<lb/> allem nach. Zuweilen uͤberfiel ſeinen Kronhelm<lb/> ſchnell die Wehmuth, daß er weinen konnte; dann<lb/> ſprach er von Thereſen. Siegwart konnte ihm we-<lb/> nig von ihr ſagen, denn ſie ſchrieb nichts mehr von<lb/> Kronhelm, aber immer traurig und wehmuͤthig.<lb/> Einmal ſchrieb ſie ihm: Die Urſache meiner Leiden<lb/> iſt unſre Schwaͤgerin. Sie war einmal bey uns,<lb/> als ein Brief von dir kam. Jch uͤbereilte mich,<lb/> und brach ihn auf. Ein verſiegelter Brief von<lb/> Kronhelm lag darinn. Jch ſteckte ihn ſchnell ein,<lb/> und ward roth. Das hat ſie vermuthlich gemerkt,<lb/> und an Kronhelms Vater geſchrieben; denn ſie<lb/> ſagte gleich: Sie korreſpondiren ja auch mit dem<lb/> jungen Herrn von <hi rendition="#fr">Kronhelm?</hi> Jch konnte meine<lb/> Verwirrung nicht verbergen, noch es ganz verheh-<lb/> len. — Kronhelm fieng von neuem an zu toben;<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [469/0049]
verachtete das ganze Menſchengeſchlecht; nur den
P. Philipp und ſeinen Siegwart nicht. Aber der
letztere ſtand doch ſehr viel bey ihm aus. Er konn-
te ihm nichts recht machen; jede Bewegung, die er
auf dem Zimmer vornahm, konnte ſeinen Freund
verdruͤßlich machen, und er verzog die Minen dar-
uͤber. Wenn er lachte, war ihms nicht recht; wenn
er traurte, auch nicht. Siegwart trug alles mit
der groͤßten Geduld, und gab ſeinem Freund in
allem nach. Zuweilen uͤberfiel ſeinen Kronhelm
ſchnell die Wehmuth, daß er weinen konnte; dann
ſprach er von Thereſen. Siegwart konnte ihm we-
nig von ihr ſagen, denn ſie ſchrieb nichts mehr von
Kronhelm, aber immer traurig und wehmuͤthig.
Einmal ſchrieb ſie ihm: Die Urſache meiner Leiden
iſt unſre Schwaͤgerin. Sie war einmal bey uns,
als ein Brief von dir kam. Jch uͤbereilte mich,
und brach ihn auf. Ein verſiegelter Brief von
Kronhelm lag darinn. Jch ſteckte ihn ſchnell ein,
und ward roth. Das hat ſie vermuthlich gemerkt,
und an Kronhelms Vater geſchrieben; denn ſie
ſagte gleich: Sie korreſpondiren ja auch mit dem
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