re! Diese Nacht im Traume hab ich ihn gesehn, den Tod. Er ist ein hellleuchtender Engel, und hat Palmen in der Hand zum Trost der Liebenden... Und du weinft noch? Sieh, ich lächle ja; der En- gel mit den Palmen hat uns zugewinket, dir und mir. ... Wohlauf, ihr Menschen, raubt mir mei- ne Liebe! Unter Engeln wohn ich. Raubt mir meine Liebe! . . Warum wein' ich denn, du Theu- re? Kann doch die Natur nicht weinen. Schau hinaus! Sie ist versteinert. Auch der Bach, der immer weinte; auch die Donau steht versteinert da. Weine doch, o Donau, daß ich einen Gespielen ha- be meiner Thränen! . . Wenig Tage noch, so sind wir hingewandelt, ins Gefild der Liebe... Duld, o meine Liebe! Sey getreu bis an das En- de! Sieh! ich will getreu seyn, bis ans Ende! Und du willst mir eine Freundin geben? Duld, o meine Liebe! sey getreu bis an das Ende! Amen!
Kronhelms Seele versank in die tiefste, düsterste Melancholie; sein ganzer Karakter bekam eine an- dere Wendung. Er ward heftig, und auffahrend, und über alles ärgerlich. Sein natürlich sanftes und gefälliges Wesen verwandelte sich in eine mür- rische, verdrüßliche Laune. Alles, was er sah und hörte, und die ganze Welt ward ihm zuwider. Er
re! Dieſe Nacht im Traume hab ich ihn geſehn, den Tod. Er iſt ein hellleuchtender Engel, und hat Palmen in der Hand zum Troſt der Liebenden… Und du weinft noch? Sieh, ich laͤchle ja; der En- gel mit den Palmen hat uns zugewinket, dir und mir. … Wohlauf, ihr Menſchen, raubt mir mei- ne Liebe! Unter Engeln wohn ich. Raubt mir meine Liebe! . . Warum wein’ ich denn, du Theu- re? Kann doch die Natur nicht weinen. Schau hinaus! Sie iſt verſteinert. Auch der Bach, der immer weinte; auch die Donau ſteht verſteinert da. Weine doch, o Donau, daß ich einen Geſpielen ha- be meiner Thraͤnen! . . Wenig Tage noch, ſo ſind wir hingewandelt, ins Gefild der Liebe… Duld, o meine Liebe! Sey getreu bis an das En- de! Sieh! ich will getreu ſeyn, bis ans Ende! Und du willſt mir eine Freundin geben? Duld, o meine Liebe! ſey getreu bis an das Ende! Amen!
Kronhelms Seele verſank in die tiefſte, duͤſterſte Melancholie; ſein ganzer Karakter bekam eine an- dere Wendung. Er ward heftig, und auffahrend, und uͤber alles aͤrgerlich. Sein natuͤrlich ſanftes und gefaͤlliges Weſen verwandelte ſich in eine muͤr- riſche, verdruͤßliche Laune. Alles, was er ſah und hoͤrte, und die ganze Welt ward ihm zuwider. Er
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Tod. Er iſt ein hellleuchtender Engel, und hat
Palmen in der Hand zum Troſt der Liebenden…
Und du weinft noch? Sieh, ich laͤchle ja; der En-
gel mit den Palmen hat uns zugewinket, dir und
mir. … Wohlauf, ihr Menſchen, raubt mir mei-
ne Liebe! Unter Engeln wohn ich. Raubt mir
meine Liebe! . . Warum wein’ ich denn, du Theu-
re? Kann doch die Natur nicht weinen. Schau
hinaus! Sie iſt verſteinert. Auch der Bach, der
immer weinte; auch die Donau ſteht verſteinert da.
Weine doch, o Donau, daß ich einen Geſpielen ha-
be meiner Thraͤnen! . . Wenig Tage noch, ſo
ſind wir hingewandelt, ins Gefild der Liebe…
Duld, o meine Liebe! Sey getreu bis an das En-
de! Sieh! ich will getreu ſeyn, bis ans Ende!
Und du willſt mir eine Freundin geben? Duld, o
meine Liebe! ſey getreu bis an das Ende! Amen!
Kronhelms Seele verſank in die tiefſte, duͤſterſte
Melancholie; ſein ganzer Karakter bekam eine an-
dere Wendung. Er ward heftig, und auffahrend,
und uͤber alles aͤrgerlich. Sein natuͤrlich ſanftes
und gefaͤlliges Weſen verwandelte ſich in eine muͤr-
riſche, verdruͤßliche Laune. Alles, was er ſah und
hoͤrte, und die ganze Welt ward ihm zuwider. Er
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/48>, abgerufen am 21.11.2024.
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