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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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nicht zu denken. Karls Frau sprach noch viel von
Gottlosigkeit und Versündigung an Gott, wenn
man von seinem Gelübde abgehe, und Gott be-
lügen und betrügen wolle; so daß Siegwart nicht
einmal zu Wort kommen konnte. Salome sprach
fast nichts dazu, denn sie war durch den Tod ih-
res Vaters zu sehr gedemüthiget. Unser Sieg-
wart war so betroffen und bestürzt, daß er kaum
noch von sich selber wuste. Er betheurte auf sei-
ne Ehre, daß sein Vater ihn habe wollen die
Rechte studiren lassen; er könne es schriftlich
vorweisen. Aber man überschrie ihn. Er legte
sich aufs Bitten; alles half nichts. Endlich rief
er alle seinen Stolz zusammen; warf seinem Bru-
der und seiner Schwägerin geradezu Geitz und
Niederträchtigkeit vor, und sagte: Er werde sich
schon vor der Obrigkeit Recht zu verschaffen wis-
sen. Mit diesen Worten gieng er weg. Sein
Bruder und sein Weib spotteten, und lachten
ihm so laut nach, daß ers vor der Thüre hören
konnte, und vor Unwill auf die Erde stampfte.

Jn seinem Garten, wo er| hin gieng, lief er
hastig auf und ab. Das ganze Menschengeschlecht
war ihm verhast, weil es so niederträchtige Seelen
drunter gibt. Er knirschte mit den Zähnen, und



nicht zu denken. Karls Frau ſprach noch viel von
Gottloſigkeit und Verſuͤndigung an Gott, wenn
man von ſeinem Geluͤbde abgehe, und Gott be-
luͤgen und betruͤgen wolle; ſo daß Siegwart nicht
einmal zu Wort kommen konnte. Salome ſprach
faſt nichts dazu, denn ſie war durch den Tod ih-
res Vaters zu ſehr gedemuͤthiget. Unſer Sieg-
wart war ſo betroffen und beſtuͤrzt, daß er kaum
noch von ſich ſelber wuſte. Er betheurte auf ſei-
ne Ehre, daß ſein Vater ihn habe wollen die
Rechte ſtudiren laſſen; er koͤnne es ſchriftlich
vorweiſen. Aber man uͤberſchrie ihn. Er legte
ſich aufs Bitten; alles half nichts. Endlich rief
er alle ſeinen Stolz zuſammen; warf ſeinem Bru-
der und ſeiner Schwaͤgerin geradezu Geitz und
Niedertraͤchtigkeit vor, und ſagte: Er werde ſich
ſchon vor der Obrigkeit Recht zu verſchaffen wiſ-
ſen. Mit dieſen Worten gieng er weg. Sein
Bruder und ſein Weib ſpotteten, und lachten
ihm ſo laut nach, daß ers vor der Thuͤre hoͤren
konnte, und vor Unwill auf die Erde ſtampfte.

Jn ſeinem Garten, wo er| hin gieng, lief er
haſtig auf und ab. Das ganze Menſchengeſchlecht
war ihm verhaſt, weil es ſo niedertraͤchtige Seelen
drunter gibt. Er knirſchte mit den Zaͤhnen, und

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[884/0464] nicht zu denken. Karls Frau ſprach noch viel von Gottloſigkeit und Verſuͤndigung an Gott, wenn man von ſeinem Geluͤbde abgehe, und Gott be- luͤgen und betruͤgen wolle; ſo daß Siegwart nicht einmal zu Wort kommen konnte. Salome ſprach faſt nichts dazu, denn ſie war durch den Tod ih- res Vaters zu ſehr gedemuͤthiget. Unſer Sieg- wart war ſo betroffen und beſtuͤrzt, daß er kaum noch von ſich ſelber wuſte. Er betheurte auf ſei- ne Ehre, daß ſein Vater ihn habe wollen die Rechte ſtudiren laſſen; er koͤnne es ſchriftlich vorweiſen. Aber man uͤberſchrie ihn. Er legte ſich aufs Bitten; alles half nichts. Endlich rief er alle ſeinen Stolz zuſammen; warf ſeinem Bru- der und ſeiner Schwaͤgerin geradezu Geitz und Niedertraͤchtigkeit vor, und ſagte: Er werde ſich ſchon vor der Obrigkeit Recht zu verſchaffen wiſ- ſen. Mit dieſen Worten gieng er weg. Sein Bruder und ſein Weib ſpotteten, und lachten ihm ſo laut nach, daß ers vor der Thuͤre hoͤren konnte, und vor Unwill auf die Erde ſtampfte. Jn ſeinem Garten, wo er| hin gieng, lief er haſtig auf und ab. Das ganze Menſchengeſchlecht war ihm verhaſt, weil es ſo niedertraͤchtige Seelen drunter gibt. Er knirſchte mit den Zaͤhnen, und

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 884. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/464>, abgerufen am 22.11.2024.