schichte seines Lebens, und seines edeln Heldento- des. Ein süsseres Vergnügen kenn' ich gar nicht, als die Thränen des Dankes und der Rührung, die ich dann ihm weine. Die Frauenzimmer ba- ten einmüthig, daß er sein Leben vorlesen möchte! Er thats, und ward hundertmal durch seine eig- nen, und die Thränen der Frauenzimmer unter- brochen. Hierauf erzählte er die Nachricht von der edeln Gaussin in Frankfurt an der Oder, die ihm Hauptmann Northern erzählt hatte, daß nemlich dieses Mädchen jährlich Blumen auf des Dichters Grab streue. O, wir wollens auch thun! sagte Mariane, sprang auf, pflückte Rosen, Geißblatt und andre Blumen. Karoline, ihre Tante, und Siegwart machtens nach; und an einem schönen, etwas erhöhten Platz der einem Grabhügel ähn- lich sah, streuten sie die Blumen aus. Hier will ich mich begraben lassen, sagte Frau Held. Karo- line! und Sie auch, Mariane! besuchen Sie dann jährlich mit Jhrem Siegwart diesen Ort, und denken Sie an mich, und diesen Abend! -- Alle wurden über diese Wendung des Gesprächs noch wehmüthiger. Sie setzten sich auf die Blu- men ins Gras. Frau Held fieng an mit Begeiste- rung von der Ewigkeit und vom Wiedersehn im
ſchichte ſeines Lebens, und ſeines edeln Heldento- des. Ein ſuͤſſeres Vergnuͤgen kenn’ ich gar nicht, als die Thraͤnen des Dankes und der Ruͤhrung, die ich dann ihm weine. Die Frauenzimmer ba- ten einmuͤthig, daß er ſein Leben vorleſen moͤchte! Er thats, und ward hundertmal durch ſeine eig- nen, und die Thraͤnen der Frauenzimmer unter- brochen. Hierauf erzaͤhlte er die Nachricht von der edeln Gauſſin in Frankfurt an der Oder, die ihm Hauptmann Northern erzaͤhlt hatte, daß nemlich dieſes Maͤdchen jaͤhrlich Blumen auf des Dichters Grab ſtreue. O, wir wollens auch thun! ſagte Mariane, ſprang auf, pfluͤckte Roſen, Geißblatt und andre Blumen. Karoline, ihre Tante, und Siegwart machtens nach; und an einem ſchoͤnen, etwas erhoͤhten Platz der einem Grabhuͤgel aͤhn- lich ſah, ſtreuten ſie die Blumen aus. Hier will ich mich begraben laſſen, ſagte Frau Held. Karo- line! und Sie auch, Mariane! beſuchen Sie dann jaͤhrlich mit Jhrem Siegwart dieſen Ort, und denken Sie an mich, und dieſen Abend! — Alle wurden uͤber dieſe Wendung des Geſpraͤchs noch wehmuͤthiger. Sie ſetzten ſich auf die Blu- men ins Gras. Frau Held fieng an mit Begeiſte- rung von der Ewigkeit und vom Wiederſehn im
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ſchichte ſeines Lebens, und ſeines edeln Heldento-
des. Ein ſuͤſſeres Vergnuͤgen kenn’ ich gar nicht,
als die Thraͤnen des Dankes und der Ruͤhrung,
die ich dann ihm weine. Die Frauenzimmer ba-
ten einmuͤthig, daß er ſein Leben vorleſen moͤchte!
Er thats, und ward hundertmal durch ſeine eig-
nen, und die Thraͤnen der Frauenzimmer unter-
brochen. Hierauf erzaͤhlte er die Nachricht von der
edeln Gauſſin in Frankfurt an der Oder, die ihm
Hauptmann Northern erzaͤhlt hatte, daß nemlich
dieſes Maͤdchen jaͤhrlich Blumen auf des Dichters
Grab ſtreue. O, wir wollens auch thun! ſagte
Mariane, ſprang auf, pfluͤckte Roſen, Geißblatt
und andre Blumen. Karoline, ihre Tante, und
Siegwart machtens nach; und an einem ſchoͤnen,
etwas erhoͤhten Platz der einem Grabhuͤgel aͤhn-
lich ſah, ſtreuten ſie die Blumen aus. Hier will
ich mich begraben laſſen, ſagte Frau Held. Karo-
line! und Sie auch, Mariane! beſuchen Sie
dann jaͤhrlich mit Jhrem Siegwart dieſen Ort,
und denken Sie an mich, und dieſen Abend! —
Alle wurden uͤber dieſe Wendung des Geſpraͤchs
noch wehmuͤthiger. Sie ſetzten ſich auf die Blu-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 845. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/425>, abgerufen am 16.02.2025.
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