Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



er nur gleich ein leinenes Kleid und eine Geissel
gehabt hätte.

Den Abend assen Siegwart und Kronhelm noch
einmal beym Herrn von Eller. Kronhelm sprach
mit seiner Schwester nochmals allein wegen There-
sen, und erhielt die wiederholte ernstliche Versiche-
rung von ihr, sie wolle sich seiner aufs möglichste
annehmen, und gewiß ein kräftiges Vorwort bey
ihrem Onkel einlegen. Um zehn Uhr nahmen die
beyden Jünglinge Abschied, denn sie wollten den an-
dern Morgen, mit dem Tag, wegreiten. Um 11
Uhr giengen sie in die Frauenkirche, um die grosse
Trauermusik, die zum Andenken der Kreuzigung
des Erlösers aufgeführt wird, mit anzuhören. Die
ganze kurfürstliche Kapelle war zugegen. Der An-
blick der Kirche war der feyerlichste. Eine grosse
Menge von Wachslichtern erleuchtete die Dunkel-
heit der Kirche. Oben im Gewölbe schwebte der
Weihrauchsdampf wie eine Wolke. An den Wän-
den glänzten die vergoldeten Altäre, Gemälde und
der Marmor. Die Volksmenge drängte sich, und
ihre Stimmen, und der Schall der Gehenden
machten ein dumpfes, fürchterliches Gemurmel.
Die schwarze Kleidung der meisten Frauenzimmer
machte die Scene noch feyerlicher. Auf Einmal



er nur gleich ein leinenes Kleid und eine Geiſſel
gehabt haͤtte.

Den Abend aſſen Siegwart und Kronhelm noch
einmal beym Herrn von Eller. Kronhelm ſprach
mit ſeiner Schweſter nochmals allein wegen There-
ſen, und erhielt die wiederholte ernſtliche Verſiche-
rung von ihr, ſie wolle ſich ſeiner aufs moͤglichſte
annehmen, und gewiß ein kraͤftiges Vorwort bey
ihrem Onkel einlegen. Um zehn Uhr nahmen die
beyden Juͤnglinge Abſchied, denn ſie wollten den an-
dern Morgen, mit dem Tag, wegreiten. Um 11
Uhr giengen ſie in die Frauenkirche, um die groſſe
Trauermuſik, die zum Andenken der Kreuzigung
des Erloͤſers aufgefuͤhrt wird, mit anzuhoͤren. Die
ganze kurfuͤrſtliche Kapelle war zugegen. Der An-
blick der Kirche war der feyerlichſte. Eine groſſe
Menge von Wachslichtern erleuchtete die Dunkel-
heit der Kirche. Oben im Gewoͤlbe ſchwebte der
Weihrauchsdampf wie eine Wolke. An den Waͤn-
den glaͤnzten die vergoldeten Altaͤre, Gemaͤlde und
der Marmor. Die Volksmenge draͤngte ſich, und
ihre Stimmen, und der Schall der Gehenden
machten ein dumpfes, fuͤrchterliches Gemurmel.
Die ſchwarze Kleidung der meiſten Frauenzimmer
machte die Scene noch feyerlicher. Auf Einmal

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0317" n="737"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
er nur gleich ein leinenes Kleid und eine Gei&#x017F;&#x017F;el<lb/>
gehabt ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Den Abend a&#x017F;&#x017F;en Siegwart und Kronhelm noch<lb/>
einmal beym Herrn von Eller. Kronhelm &#x017F;prach<lb/>
mit &#x017F;einer Schwe&#x017F;ter nochmals allein wegen There-<lb/>
&#x017F;en, und erhielt die wiederholte ern&#x017F;tliche Ver&#x017F;iche-<lb/>
rung von ihr, &#x017F;ie wolle &#x017F;ich &#x017F;einer aufs mo&#x0364;glich&#x017F;te<lb/>
annehmen, und gewiß ein kra&#x0364;ftiges Vorwort bey<lb/>
ihrem Onkel einlegen. Um zehn Uhr nahmen die<lb/>
beyden Ju&#x0364;nglinge Ab&#x017F;chied, denn &#x017F;ie wollten den an-<lb/>
dern Morgen, mit dem Tag, wegreiten. Um 11<lb/>
Uhr giengen &#x017F;ie in die Frauenkirche, um die gro&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Trauermu&#x017F;ik, die zum Andenken der Kreuzigung<lb/>
des Erlo&#x0364;&#x017F;ers aufgefu&#x0364;hrt wird, mit anzuho&#x0364;ren. Die<lb/>
ganze kurfu&#x0364;r&#x017F;tliche Kapelle war zugegen. Der An-<lb/>
blick der Kirche war der feyerlich&#x017F;te. Eine gro&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Menge von Wachslichtern erleuchtete die Dunkel-<lb/>
heit der Kirche. Oben im Gewo&#x0364;lbe &#x017F;chwebte der<lb/>
Weihrauchsdampf wie eine Wolke. An den Wa&#x0364;n-<lb/>
den gla&#x0364;nzten die vergoldeten Alta&#x0364;re, Gema&#x0364;lde und<lb/>
der Marmor. Die Volksmenge dra&#x0364;ngte &#x017F;ich, und<lb/>
ihre Stimmen, und der Schall der Gehenden<lb/>
machten ein dumpfes, fu&#x0364;rchterliches Gemurmel.<lb/>
Die &#x017F;chwarze Kleidung der mei&#x017F;ten Frauenzimmer<lb/>
machte die Scene noch feyerlicher. Auf Einmal<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[737/0317] er nur gleich ein leinenes Kleid und eine Geiſſel gehabt haͤtte. Den Abend aſſen Siegwart und Kronhelm noch einmal beym Herrn von Eller. Kronhelm ſprach mit ſeiner Schweſter nochmals allein wegen There- ſen, und erhielt die wiederholte ernſtliche Verſiche- rung von ihr, ſie wolle ſich ſeiner aufs moͤglichſte annehmen, und gewiß ein kraͤftiges Vorwort bey ihrem Onkel einlegen. Um zehn Uhr nahmen die beyden Juͤnglinge Abſchied, denn ſie wollten den an- dern Morgen, mit dem Tag, wegreiten. Um 11 Uhr giengen ſie in die Frauenkirche, um die groſſe Trauermuſik, die zum Andenken der Kreuzigung des Erloͤſers aufgefuͤhrt wird, mit anzuhoͤren. Die ganze kurfuͤrſtliche Kapelle war zugegen. Der An- blick der Kirche war der feyerlichſte. Eine groſſe Menge von Wachslichtern erleuchtete die Dunkel- heit der Kirche. Oben im Gewoͤlbe ſchwebte der Weihrauchsdampf wie eine Wolke. An den Waͤn- den glaͤnzten die vergoldeten Altaͤre, Gemaͤlde und der Marmor. Die Volksmenge draͤngte ſich, und ihre Stimmen, und der Schall der Gehenden machten ein dumpfes, fuͤrchterliches Gemurmel. Die ſchwarze Kleidung der meiſten Frauenzimmer machte die Scene noch feyerlicher. Auf Einmal

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/317
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 737. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/317>, abgerufen am 23.11.2024.