Kronhelm und Siegwart blieben diesen Abend bis zehn Uhr da, und giengen sehr vergnügt nach ihrem Gasthof zurück. Den andern Morgen, am Karfreytag, giengen sie in die Jesuiterkirche, wo sie mit der grösten Andacht eine sehr schöne und rüh- rende Trauermusik anhörten, und einen grossen Theil des vornehmen Münchner Adels sahen. Sieg- wart wünschte nichts, als daß seine Mariane auch da seyn möchte, denn unter der Menge von Frauen- zimmern, die er sah, konnte keine sein Auge lange auf sich ziehen. Er dachte nur, wie seine Mariane in ihrem schwarzen Kleid, und das himmlische Ge- sicht mit Flor bedeckt, jetzt auch im Chor knien, und über die Leiden ihres Heilandes heilige und un- schuldsvolle Thränen vergiessen werde.
Nach dem Essen sahen sie die grosse Prozession, und die Kreuzigung, die das Jahr darauf auf kur- fürstlichen Befehl, zum Triumph der gesunden Ver- nunft, abgeschafft worden ist. Der Geißler und Büssenden war eine fast unzählige Menge. Ganz München, auch der Hof, war an Einem Ort ver- sammelt, und die Büssenden waren mehr zum Ge- pränge, als aus Andacht da. Marx sagte nachher: das Geisseln hab ihm so wohl gefallen, daß er bey- nahe Lust bekommen habe, auch mitzumachen, wenn
Kronhelm und Siegwart blieben dieſen Abend bis zehn Uhr da, und giengen ſehr vergnuͤgt nach ihrem Gaſthof zuruͤck. Den andern Morgen, am Karfreytag, giengen ſie in die Jeſuiterkirche, wo ſie mit der groͤſten Andacht eine ſehr ſchoͤne und ruͤh- rende Trauermuſik anhoͤrten, und einen groſſen Theil des vornehmen Muͤnchner Adels ſahen. Sieg- wart wuͤnſchte nichts, als daß ſeine Mariane auch da ſeyn moͤchte, denn unter der Menge von Frauen- zimmern, die er ſah, konnte keine ſein Auge lange auf ſich ziehen. Er dachte nur, wie ſeine Mariane in ihrem ſchwarzen Kleid, und das himmliſche Ge- ſicht mit Flor bedeckt, jetzt auch im Chor knien, und uͤber die Leiden ihres Heilandes heilige und un- ſchuldsvolle Thraͤnen vergieſſen werde.
Nach dem Eſſen ſahen ſie die groſſe Prozeſſion, und die Kreuzigung, die das Jahr darauf auf kur- fuͤrſtlichen Befehl, zum Triumph der geſunden Ver- nunft, abgeſchafft worden iſt. Der Geißler und Buͤſſenden war eine faſt unzaͤhlige Menge. Ganz Muͤnchen, auch der Hof, war an Einem Ort ver- ſammelt, und die Buͤſſenden waren mehr zum Ge- praͤnge, als aus Andacht da. Marx ſagte nachher: das Geiſſeln hab ihm ſo wohl gefallen, daß er bey- nahe Luſt bekommen habe, auch mitzumachen, wenn
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Kronhelm und Siegwart blieben dieſen Abend
bis zehn Uhr da, und giengen ſehr vergnuͤgt nach
ihrem Gaſthof zuruͤck. Den andern Morgen, am
Karfreytag, giengen ſie in die Jeſuiterkirche, wo
ſie mit der groͤſten Andacht eine ſehr ſchoͤne und ruͤh-
rende Trauermuſik anhoͤrten, und einen groſſen
Theil des vornehmen Muͤnchner Adels ſahen. Sieg-
wart wuͤnſchte nichts, als daß ſeine Mariane auch
da ſeyn moͤchte, denn unter der Menge von Frauen-
zimmern, die er ſah, konnte keine ſein Auge lange
auf ſich ziehen. Er dachte nur, wie ſeine Mariane
in ihrem ſchwarzen Kleid, und das himmliſche Ge-
ſicht mit Flor bedeckt, jetzt auch im Chor knien, und
uͤber die Leiden ihres Heilandes heilige und un-
ſchuldsvolle Thraͤnen vergieſſen werde.
Nach dem Eſſen ſahen ſie die groſſe Prozeſſion,
und die Kreuzigung, die das Jahr darauf auf kur-
fuͤrſtlichen Befehl, zum Triumph der geſunden Ver-
nunft, abgeſchafft worden iſt. Der Geißler und
Buͤſſenden war eine faſt unzaͤhlige Menge. Ganz
Muͤnchen, auch der Hof, war an Einem Ort ver-
ſammelt, und die Buͤſſenden waren mehr zum Ge-
praͤnge, als aus Andacht da. Marx ſagte nachher:
das Geiſſeln hab ihm ſo wohl gefallen, daß er bey-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 736. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/316>, abgerufen am 22.11.2024.
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