grüssen. Als sich Kronhelm die Zeche machen ließ, soderte die Wirthin so wenig, daß er sie ausdrück- lich fragte, ob sie nichts vergessen, oder zu niedrig angerechnet habe? Sie sagte aber, Nein: sie hab alles angerechnet; Sie ihn sich nicht Unrecht, aber andern Leuten thu sies auch nicht. Wie gewon- nen, setzte sie hinzu, so zerronnen. Sie dankte auch Siegwart noch einmal für die 2 Kreuzer.
Auf dem Wege erzählte der neue Bediente, Marx, fast seine ganze Lebensgeschichte mit vielen Umschwei- fen, und der, dem Schwaben so gewöhnlichen ge- wissenhaften Aufrichtigkeit. Man sah ihms an, wie viel er auf seinen neuen Herrn halte; er war besorgt, sobald das Pferd stolperte, und stieg ab, sobald es scheute. Neugierig war er auch, wie die meisten Schwaben sind, und fragte Kronhelm und Siegwart mit der treuherzigsten Einfalt, die ein Sachse für Beleidigung halten würde, um alles, was sie angieng.
Ziemlich spät am Abend kamen sie in München an, und stiegen, weil Kronhelm seinen Onkel und seine Schwester nicht mehr übetraschen wollte, in einem Gasthof ab. Marx war ausserordentlich be- sorgt, seine neue Herrschaft und unsern Siegwart zu bedienen, und lauerte auf alle ihre Winke.
gruͤſſen. Als ſich Kronhelm die Zeche machen ließ, ſoderte die Wirthin ſo wenig, daß er ſie ausdruͤck- lich fragte, ob ſie nichts vergeſſen, oder zu niedrig angerechnet habe? Sie ſagte aber, Nein: ſie hab alles angerechnet; Sie ihn ſich nicht Unrecht, aber andern Leuten thu ſies auch nicht. Wie gewon- nen, ſetzte ſie hinzu, ſo zerronnen. Sie dankte auch Siegwart noch einmal fuͤr die 2 Kreuzer.
Auf dem Wege erzaͤhlte der neue Bediente, Marx, faſt ſeine ganze Lebensgeſchichte mit vielen Umſchwei- fen, und der, dem Schwaben ſo gewoͤhnlichen ge- wiſſenhaften Aufrichtigkeit. Man ſah ihms an, wie viel er auf ſeinen neuen Herrn halte; er war beſorgt, ſobald das Pferd ſtolperte, und ſtieg ab, ſobald es ſcheute. Neugierig war er auch, wie die meiſten Schwaben ſind, und fragte Kronhelm und Siegwart mit der treuherzigſten Einfalt, die ein Sachſe fuͤr Beleidigung halten wuͤrde, um alles, was ſie angieng.
Ziemlich ſpaͤt am Abend kamen ſie in Muͤnchen an, und ſtiegen, weil Kronhelm ſeinen Onkel und ſeine Schweſter nicht mehr uͤbetraſchen wollte, in einem Gaſthof ab. Marx war auſſerordentlich be- ſorgt, ſeine neue Herrſchaft und unſern Siegwart zu bedienen, und lauerte auf alle ihre Winke.
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gruͤſſen. Als ſich Kronhelm die Zeche machen ließ,
ſoderte die Wirthin ſo wenig, daß er ſie ausdruͤck-
lich fragte, ob ſie nichts vergeſſen, oder zu niedrig
angerechnet habe? Sie ſagte aber, Nein: ſie hab
alles angerechnet; Sie ihn ſich nicht Unrecht, aber
andern Leuten thu ſies auch nicht. Wie gewon-
nen, ſetzte ſie hinzu, ſo zerronnen. Sie dankte
auch Siegwart noch einmal fuͤr die 2 Kreuzer.
Auf dem Wege erzaͤhlte der neue Bediente, Marx,
faſt ſeine ganze Lebensgeſchichte mit vielen Umſchwei-
fen, und der, dem Schwaben ſo gewoͤhnlichen ge-
wiſſenhaften Aufrichtigkeit. Man ſah ihms an,
wie viel er auf ſeinen neuen Herrn halte; er war
beſorgt, ſobald das Pferd ſtolperte, und ſtieg ab,
ſobald es ſcheute. Neugierig war er auch, wie die
meiſten Schwaben ſind, und fragte Kronhelm und
Siegwart mit der treuherzigſten Einfalt, die ein
Sachſe fuͤr Beleidigung halten wuͤrde, um alles,
was ſie angieng.
Ziemlich ſpaͤt am Abend kamen ſie in Muͤnchen
an, und ſtiegen, weil Kronhelm ſeinen Onkel und
ſeine Schweſter nicht mehr uͤbetraſchen wollte, in
einem Gaſthof ab. Marx war auſſerordentlich be-
ſorgt, ſeine neue Herrſchaft und unſern Siegwart
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/300>, abgerufen am 22.11.2024.
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