nen, wenn ich mich Stunden lang besonnen hätte. Sie wird mich wol für einen dummen Einfaltspin- sel halten. -- Das gewiß nicht, Bruder! sagte Kron- helm. Die Liebe hat ihre eigne Sprache; das Auge hat da mehr zu thun, als die Zunge. Und Mariane hat dich ganz gewiß verstanden. Man hält alles, was man spricht, für dummes Zeug, weil man fühlt, daß man das noch lang nicht aus- drückt, was das Herz fühlt. Man will lauter Empfindungen und Göttersprüche sprechen, und da ist unsre Sprache viel zu arm dazu. Jedes Wort soll so voll und warm seyn, wie das Herz ist, und das ist unmöglich. Weil man nun doch sprechen will, da kommt man auf allerley entfernte und gleichgültige Dinge, die nichts sagen. Die Empfindung ist einsylbig, oder stumm. Jch habe das bey Theresen oft gefühlt. Waren wir allein, so schwieg ich ganz; und wenn andre da waren, so macht' ich Spaß; das ist noch das Beste. -- Mariane hat dich gewiß gefühlt. Wärst du wort- reich gewesen, so wärs mit deiner Liebe nichts. Redseligkeit ist Larve der Liebe, nicht die Liebe selbst. -- Bruder, sieh! wie die Sonne so hell aufgeht! Jch denke, wir gehen spatzieren. Mit deinen theo- logischen Kollegien hats nun doch wohl in En-
nen, wenn ich mich Stunden lang beſonnen haͤtte. Sie wird mich wol fuͤr einen dummen Einfaltspin- ſel halten. — Das gewiß nicht, Bruder! ſagte Kron- helm. Die Liebe hat ihre eigne Sprache; das Auge hat da mehr zu thun, als die Zunge. Und Mariane hat dich ganz gewiß verſtanden. Man haͤlt alles, was man ſpricht, fuͤr dummes Zeug, weil man fuͤhlt, daß man das noch lang nicht aus- druͤckt, was das Herz fuͤhlt. Man will lauter Empfindungen und Goͤtterſpruͤche ſprechen, und da iſt unſre Sprache viel zu arm dazu. Jedes Wort ſoll ſo voll und warm ſeyn, wie das Herz iſt, und das iſt unmoͤglich. Weil man nun doch ſprechen will, da kommt man auf allerley entfernte und gleichguͤltige Dinge, die nichts ſagen. Die Empfindung iſt einſylbig, oder ſtumm. Jch habe das bey Thereſen oft gefuͤhlt. Waren wir allein, ſo ſchwieg ich ganz; und wenn andre da waren, ſo macht’ ich Spaß; das iſt noch das Beſte. — Mariane hat dich gewiß gefuͤhlt. Waͤrſt du wort- reich geweſen, ſo waͤrs mit deiner Liebe nichts. Redſeligkeit iſt Larve der Liebe, nicht die Liebe ſelbſt. — Bruder, ſieh! wie die Sonne ſo hell aufgeht! Jch denke, wir gehen ſpatzieren. Mit deinen theo- logiſchen Kollegien hats nun doch wohl in En-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0258"n="678"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
nen, wenn ich mich Stunden lang beſonnen haͤtte.<lb/>
Sie wird mich wol fuͤr einen dummen Einfaltspin-<lb/>ſel halten. — Das gewiß nicht, Bruder! ſagte Kron-<lb/>
helm. Die Liebe hat ihre eigne Sprache; das<lb/>
Auge hat da mehr zu thun, als die Zunge. Und<lb/>
Mariane hat dich ganz gewiß verſtanden. Man<lb/>
haͤlt alles, was man ſpricht, fuͤr dummes Zeug,<lb/>
weil man fuͤhlt, daß man das noch lang nicht aus-<lb/>
druͤckt, was das Herz fuͤhlt. Man will lauter<lb/>
Empfindungen und Goͤtterſpruͤche ſprechen, und<lb/>
da iſt unſre Sprache viel zu arm dazu. Jedes<lb/>
Wort ſoll ſo voll und warm ſeyn, wie das Herz<lb/>
iſt, und das iſt unmoͤglich. Weil man nun doch<lb/>ſprechen will, da kommt man auf allerley entfernte<lb/>
und gleichguͤltige Dinge, die nichts ſagen. Die<lb/>
Empfindung iſt einſylbig, oder ſtumm. Jch habe<lb/>
das bey Thereſen oft gefuͤhlt. Waren wir allein,<lb/>ſo ſchwieg ich ganz; und wenn andre da waren,<lb/>ſo macht’ ich Spaß; das iſt noch das Beſte. —<lb/>
Mariane hat dich gewiß gefuͤhlt. Waͤrſt du wort-<lb/>
reich geweſen, ſo waͤrs mit deiner Liebe nichts.<lb/>
Redſeligkeit iſt Larve der Liebe, nicht die Liebe ſelbſt. —<lb/>
Bruder, ſieh! wie die Sonne ſo hell aufgeht!<lb/>
Jch denke, wir gehen ſpatzieren. Mit deinen theo-<lb/>
logiſchen Kollegien hats nun doch wohl in En-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[678/0258]
nen, wenn ich mich Stunden lang beſonnen haͤtte.
Sie wird mich wol fuͤr einen dummen Einfaltspin-
ſel halten. — Das gewiß nicht, Bruder! ſagte Kron-
helm. Die Liebe hat ihre eigne Sprache; das
Auge hat da mehr zu thun, als die Zunge. Und
Mariane hat dich ganz gewiß verſtanden. Man
haͤlt alles, was man ſpricht, fuͤr dummes Zeug,
weil man fuͤhlt, daß man das noch lang nicht aus-
druͤckt, was das Herz fuͤhlt. Man will lauter
Empfindungen und Goͤtterſpruͤche ſprechen, und
da iſt unſre Sprache viel zu arm dazu. Jedes
Wort ſoll ſo voll und warm ſeyn, wie das Herz
iſt, und das iſt unmoͤglich. Weil man nun doch
ſprechen will, da kommt man auf allerley entfernte
und gleichguͤltige Dinge, die nichts ſagen. Die
Empfindung iſt einſylbig, oder ſtumm. Jch habe
das bey Thereſen oft gefuͤhlt. Waren wir allein,
ſo ſchwieg ich ganz; und wenn andre da waren,
ſo macht’ ich Spaß; das iſt noch das Beſte. —
Mariane hat dich gewiß gefuͤhlt. Waͤrſt du wort-
reich geweſen, ſo waͤrs mit deiner Liebe nichts.
Redſeligkeit iſt Larve der Liebe, nicht die Liebe ſelbſt. —
Bruder, ſieh! wie die Sonne ſo hell aufgeht!
Jch denke, wir gehen ſpatzieren. Mit deinen theo-
logiſchen Kollegien hats nun doch wohl in En-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 678. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/258>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.