Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.te ihn auf einmal, daß er beym Allegro wild in seine Saiten stürmte, und die Herzen aller Zuhö- rer zur Bewunderung hinriß. Er sah ihr die Freude und das Wohlgefallen an, das sie drüber hatte, und trieb die Kunst immer höher. -- Auf Einmal sank er, im Adagio, in den tiefsten Klage- ton herab. Seine Violine sprach; jeder Ton ward eine Sylbe. Sein ganzes Spiel ward die rührendste Klage, und das wehmüthigste Selbstgespräch. Sein eignes, liebekrankes Herz schien, es zu halten. Alles lauschte auf dem Saal, kein Laut ward ge- hört; jeder hielt den Athem an sich; aus jedem Herzen wollt' ein Seufzer aufsteigen, der nur mühsam zurück gehalten wurde. Mariane saß in tieser Wehmuth da; senkte ihr thränenvolles Aug zur Erde, blickte schmachtend wieder auf, und ward vor heftiger Empfindung blaß. Dann warf sie einen Blick, aus dem die ganze Seele sah, auf Siegwart; er fieng ihn auf, stieg in einem Lauf bis auf die höchste Höhe, daß die Seele mit hin- auf stieg, und staunte; senkte sich herab, und preste aus jeder Brust ein Ach! voll Schmerz und Be- wunderung. Jede Hand war aufgehoben, ihm den wärmsten Beyfall zuzuklatschen; Mariane war die erste, die es that. Er verneigte sich gegen sie, te ihn auf einmal, daß er beym Allegro wild in ſeine Saiten ſtuͤrmte, und die Herzen aller Zuhoͤ- rer zur Bewunderung hinriß. Er ſah ihr die Freude und das Wohlgefallen an, das ſie druͤber hatte, und trieb die Kunſt immer hoͤher. — Auf Einmal ſank er, im Adagio, in den tiefſten Klage- ton herab. Seine Violine ſprach; jeder Ton ward eine Sylbe. Sein ganzes Spiel ward die ruͤhrendſte Klage, und das wehmuͤthigſte Selbſtgeſpraͤch. Sein eignes, liebekrankes Herz ſchien, es zu halten. Alles lauſchte auf dem Saal, kein Laut ward ge- hoͤrt; jeder hielt den Athem an ſich; aus jedem Herzen wollt’ ein Seufzer aufſteigen, der nur muͤhſam zuruͤck gehalten wurde. Mariane ſaß in tieſer Wehmuth da; ſenkte ihr thraͤnenvolles Aug zur Erde, blickte ſchmachtend wieder auf, und ward vor heftiger Empfindung blaß. Dann warf ſie einen Blick, aus dem die ganze Seele ſah, auf Siegwart; er fieng ihn auf, ſtieg in einem Lauf bis auf die hoͤchſte Hoͤhe, daß die Seele mit hin- auf ſtieg, und ſtaunte; ſenkte ſich herab, und preſte aus jeder Bruſt ein Ach! voll Schmerz und Be- wunderung. Jede Hand war aufgehoben, ihm den waͤrmſten Beyfall zuzuklatſchen; Mariane war die erſte, die es that. Er verneigte ſich gegen ſie, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0208" n="628"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> te ihn auf einmal, daß er beym Allegro wild in<lb/> ſeine Saiten ſtuͤrmte, und die Herzen aller Zuhoͤ-<lb/> rer zur Bewunderung hinriß. Er ſah ihr die<lb/> Freude und das Wohlgefallen an, das ſie druͤber<lb/> hatte, und trieb die Kunſt immer hoͤher. — Auf<lb/> Einmal ſank er, im Adagio, in den tiefſten Klage-<lb/> ton herab. Seine Violine ſprach; jeder Ton ward<lb/> eine Sylbe. Sein ganzes Spiel ward die ruͤhrendſte<lb/> Klage, und das wehmuͤthigſte Selbſtgeſpraͤch. Sein<lb/> eignes, liebekrankes Herz ſchien, es zu halten.<lb/> Alles lauſchte auf dem Saal, kein Laut ward ge-<lb/> hoͤrt; jeder hielt den Athem an ſich; aus jedem<lb/> Herzen wollt’ ein Seufzer aufſteigen, der nur<lb/> muͤhſam zuruͤck gehalten wurde. Mariane ſaß in<lb/> tieſer Wehmuth da; ſenkte ihr thraͤnenvolles Aug<lb/> zur Erde, blickte ſchmachtend wieder auf, und ward<lb/> vor heftiger Empfindung blaß. Dann warf ſie<lb/> einen Blick, aus dem die ganze Seele ſah, auf<lb/> Siegwart; er fieng ihn auf, ſtieg in einem Lauf<lb/> bis auf die hoͤchſte Hoͤhe, daß die Seele mit hin-<lb/> auf ſtieg, und ſtaunte; ſenkte ſich herab, und preſte<lb/> aus jeder Bruſt ein Ach! voll Schmerz und Be-<lb/> wunderung. Jede Hand war aufgehoben, ihm<lb/> den waͤrmſten Beyfall zuzuklatſchen; Mariane war<lb/> die erſte, die es that. Er verneigte ſich gegen ſie,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [628/0208]
te ihn auf einmal, daß er beym Allegro wild in
ſeine Saiten ſtuͤrmte, und die Herzen aller Zuhoͤ-
rer zur Bewunderung hinriß. Er ſah ihr die
Freude und das Wohlgefallen an, das ſie druͤber
hatte, und trieb die Kunſt immer hoͤher. — Auf
Einmal ſank er, im Adagio, in den tiefſten Klage-
ton herab. Seine Violine ſprach; jeder Ton ward
eine Sylbe. Sein ganzes Spiel ward die ruͤhrendſte
Klage, und das wehmuͤthigſte Selbſtgeſpraͤch. Sein
eignes, liebekrankes Herz ſchien, es zu halten.
Alles lauſchte auf dem Saal, kein Laut ward ge-
hoͤrt; jeder hielt den Athem an ſich; aus jedem
Herzen wollt’ ein Seufzer aufſteigen, der nur
muͤhſam zuruͤck gehalten wurde. Mariane ſaß in
tieſer Wehmuth da; ſenkte ihr thraͤnenvolles Aug
zur Erde, blickte ſchmachtend wieder auf, und ward
vor heftiger Empfindung blaß. Dann warf ſie
einen Blick, aus dem die ganze Seele ſah, auf
Siegwart; er fieng ihn auf, ſtieg in einem Lauf
bis auf die hoͤchſte Hoͤhe, daß die Seele mit hin-
auf ſtieg, und ſtaunte; ſenkte ſich herab, und preſte
aus jeder Bruſt ein Ach! voll Schmerz und Be-
wunderung. Jede Hand war aufgehoben, ihm
den waͤrmſten Beyfall zuzuklatſchen; Mariane war
die erſte, die es that. Er verneigte ſich gegen ſie,
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