Gleich den Tag nach seiner Ankunft hatte Kronhelm einen ziemlich weitläuftigen Brief an Theresen, und auch einen an ihren Vater geschrie- ben, und ihn dem Bothen mitgegeben. Er war- tete nur mit Verlangen auf den Sonnabend, da der Bothe wieder kommen sollte. Er zählte alle Stunden bis dahin, und lief am Sonnabend so- gleich nach dem Hause, wo die Briefe gewöhn- lich abgegeben wurden. Der Bothe war da gewesen, und hatte keinen Brief mitgebracht. Der sonst gelaßne Kronhelm ward durch diese Nachricht wie rasend, knirschte mit den Zähnen, und stampfte auf den Boden. Nun so wollt' ich, daß ich die Welt zertrümmern könnte! rief er, und alles, was drinn und drauf ist! -- Keinen Brief? Und sie hat mirs so theuer ver- sprochen? -- Nun so trau mir einer mehr den Menschen, und zumal den Mädchen! -- Alles, alles ist nichts! Jst Tand! Jst abscheulicher Betrug! -- O ich Thor, daß ich so drauf bau- te! Den Kopf möcht ich mir einrennen! -- Das verfluchte Geschlecht!
So tobte er, und lief, ohne zu wissen, war- um? vors Thor hinaus. Alles, was ihm be- gegnete, war ihm zuwider. Die ganze Welt
Gleich den Tag nach ſeiner Ankunft hatte Kronhelm einen ziemlich weitlaͤuftigen Brief an Thereſen, und auch einen an ihren Vater geſchrie- ben, und ihn dem Bothen mitgegeben. Er war- tete nur mit Verlangen auf den Sonnabend, da der Bothe wieder kommen ſollte. Er zaͤhlte alle Stunden bis dahin, und lief am Sonnabend ſo- gleich nach dem Hauſe, wo die Briefe gewoͤhn- lich abgegeben wurden. Der Bothe war da geweſen, und hatte keinen Brief mitgebracht. Der ſonſt gelaßne Kronhelm ward durch dieſe Nachricht wie raſend, knirſchte mit den Zaͤhnen, und ſtampfte auf den Boden. Nun ſo wollt’ ich, daß ich die Welt zertruͤmmern koͤnnte! rief er, und alles, was drinn und drauf iſt! — Keinen Brief? Und ſie hat mirs ſo theuer ver- ſprochen? — Nun ſo trau mir einer mehr den Menſchen, und zumal den Maͤdchen! — Alles, alles iſt nichts! Jſt Tand! Jſt abſcheulicher Betrug! — O ich Thor, daß ich ſo drauf bau- te! Den Kopf moͤcht ich mir einrennen! — Das verfluchte Geſchlecht!
So tobte er, und lief, ohne zu wiſſen, war- um? vors Thor hinaus. Alles, was ihm be- gegnete, war ihm zuwider. Die ganze Welt
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0019"n="439"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Gleich den Tag nach ſeiner Ankunft hatte<lb/><hirendition="#fr">Kronhelm</hi> einen ziemlich weitlaͤuftigen Brief an<lb/><hirendition="#fr">Thereſen,</hi> und auch einen an ihren Vater geſchrie-<lb/>
ben, und ihn dem Bothen mitgegeben. Er war-<lb/>
tete nur mit Verlangen auf den Sonnabend, da<lb/>
der Bothe wieder kommen ſollte. Er zaͤhlte alle<lb/>
Stunden bis dahin, und lief am Sonnabend ſo-<lb/>
gleich nach dem Hauſe, wo die Briefe gewoͤhn-<lb/>
lich abgegeben wurden. Der Bothe war da<lb/>
geweſen, und hatte keinen Brief mitgebracht.<lb/>
Der ſonſt gelaßne <hirendition="#fr">Kronhelm</hi> ward durch dieſe<lb/>
Nachricht wie raſend, knirſchte mit den Zaͤhnen,<lb/>
und ſtampfte auf den Boden. Nun ſo wollt’<lb/>
ich, daß ich die Welt zertruͤmmern koͤnnte! rief<lb/>
er, und alles, was drinn und drauf iſt! —<lb/>
Keinen Brief? Und ſie hat mirs ſo theuer ver-<lb/>ſprochen? — Nun ſo trau mir einer mehr den<lb/>
Menſchen, und zumal den Maͤdchen! — Alles,<lb/>
alles iſt nichts! Jſt Tand! Jſt abſcheulicher<lb/>
Betrug! — O ich Thor, daß ich ſo drauf bau-<lb/>
te! Den Kopf moͤcht ich mir einrennen! — Das<lb/>
verfluchte Geſchlecht!</p><lb/><p>So tobte er, und lief, ohne zu wiſſen, war-<lb/>
um? vors Thor hinaus. Alles, was ihm be-<lb/>
gegnete, war ihm zuwider. Die ganze Welt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[439/0019]
Gleich den Tag nach ſeiner Ankunft hatte
Kronhelm einen ziemlich weitlaͤuftigen Brief an
Thereſen, und auch einen an ihren Vater geſchrie-
ben, und ihn dem Bothen mitgegeben. Er war-
tete nur mit Verlangen auf den Sonnabend, da
der Bothe wieder kommen ſollte. Er zaͤhlte alle
Stunden bis dahin, und lief am Sonnabend ſo-
gleich nach dem Hauſe, wo die Briefe gewoͤhn-
lich abgegeben wurden. Der Bothe war da
geweſen, und hatte keinen Brief mitgebracht.
Der ſonſt gelaßne Kronhelm ward durch dieſe
Nachricht wie raſend, knirſchte mit den Zaͤhnen,
und ſtampfte auf den Boden. Nun ſo wollt’
ich, daß ich die Welt zertruͤmmern koͤnnte! rief
er, und alles, was drinn und drauf iſt! —
Keinen Brief? Und ſie hat mirs ſo theuer ver-
ſprochen? — Nun ſo trau mir einer mehr den
Menſchen, und zumal den Maͤdchen! — Alles,
alles iſt nichts! Jſt Tand! Jſt abſcheulicher
Betrug! — O ich Thor, daß ich ſo drauf bau-
te! Den Kopf moͤcht ich mir einrennen! — Das
verfluchte Geſchlecht!
So tobte er, und lief, ohne zu wiſſen, war-
um? vors Thor hinaus. Alles, was ihm be-
gegnete, war ihm zuwider. Die ganze Welt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/19>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.