wenn ich wieder komme. Wir sind Herzensfreun- de zusammen. Eine Viertelstunde vor der Stadt gieng der ehrliche Pater vom Postwagen ab, und dankte Siegwart noch besonders, daß er sich seiner so angenommen, und für ihn gesorgt habe. -- Sieh, dort an dem mittlern Thurm, sagte Kron- helm zu Siegwart, indem er nach der Stadt wies, ist mein Zimmer, gleich in dem Hause rechter Hand. Du kannst erst bey mir seyn, bis wir um eine Wohnung für dich sehen; ich glaub, daß in mei- nem Haus noch ein Zimmer ledig wird. Das wär herrlich, sagte Siegwart; aber könnten wir nicht auf Einem Zimmer beysammen wohnen, wie im Kloster? Nein, Bruder, antwortete Kronhelm; aber ich kann dir jetzt nicht sagen, warum?
Endlich kamen sie in der Stadt an, und giengen gleich auf Kronhelms Zimmer. Hier umarmten sie sich erst mit herzlicher, brüderlicher Liebe. Sieg- wart bemerkte gleich beym Eintritt in die Stube ein unter dem Spiegel hängendes Portrait, das ihm sehr bekannt deuchte. Wen soll das vorstel- len? fragte er. Kennst du das nicht! antwortete Kronhelm. Es ist Therese. -- Ja wahrhaftig! Recht gut und ähnlich! Fiel mirs doch nicht gleich ein. Aber, wo hast du's denn her? Wer hats
wenn ich wieder komme. Wir ſind Herzensfreun- de zuſammen. Eine Viertelſtunde vor der Stadt gieng der ehrliche Pater vom Poſtwagen ab, und dankte Siegwart noch beſonders, daß er ſich ſeiner ſo angenommen, und fuͤr ihn geſorgt habe. — Sieh, dort an dem mittlern Thurm, ſagte Kron- helm zu Siegwart, indem er nach der Stadt wies, iſt mein Zimmer, gleich in dem Hauſe rechter Hand. Du kannſt erſt bey mir ſeyn, bis wir um eine Wohnung fuͤr dich ſehen; ich glaub, daß in mei- nem Haus noch ein Zimmer ledig wird. Das waͤr herrlich, ſagte Siegwart; aber koͤnnten wir nicht auf Einem Zimmer beyſammen wohnen, wie im Kloſter? Nein, Bruder, antwortete Kronhelm; aber ich kann dir jetzt nicht ſagen, warum?
Endlich kamen ſie in der Stadt an, und giengen gleich auf Kronhelms Zimmer. Hier umarmten ſie ſich erſt mit herzlicher, bruͤderlicher Liebe. Sieg- wart bemerkte gleich beym Eintritt in die Stube ein unter dem Spiegel haͤngendes Portrait, das ihm ſehr bekannt deuchte. Wen ſoll das vorſtel- len? fragte er. Kennſt du das nicht! antwortete Kronhelm. Es iſt Thereſe. — Ja wahrhaftig! Recht gut und aͤhnlich! Fiel mirs doch nicht gleich ein. Aber, wo haſt du’s denn her? Wer hats
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wenn ich wieder komme. Wir ſind Herzensfreun-
de zuſammen. Eine Viertelſtunde vor der Stadt
gieng der ehrliche Pater vom Poſtwagen ab, und
dankte Siegwart noch beſonders, daß er ſich ſeiner
ſo angenommen, und fuͤr ihn geſorgt habe. —
Sieh, dort an dem mittlern Thurm, ſagte Kron-
helm zu Siegwart, indem er nach der Stadt wies,
iſt mein Zimmer, gleich in dem Hauſe rechter Hand.
Du kannſt erſt bey mir ſeyn, bis wir um eine
Wohnung fuͤr dich ſehen; ich glaub, daß in mei-
nem Haus noch ein Zimmer ledig wird. Das waͤr
herrlich, ſagte Siegwart; aber koͤnnten wir nicht
auf Einem Zimmer beyſammen wohnen, wie im
Kloſter? Nein, Bruder, antwortete Kronhelm;
aber ich kann dir jetzt nicht ſagen, warum?
Endlich kamen ſie in der Stadt an, und giengen
gleich auf Kronhelms Zimmer. Hier umarmten
ſie ſich erſt mit herzlicher, bruͤderlicher Liebe. Sieg-
wart bemerkte gleich beym Eintritt in die Stube
ein unter dem Spiegel haͤngendes Portrait, das
ihm ſehr bekannt deuchte. Wen ſoll das vorſtel-
len? fragte er. Kennſt du das nicht! antwortete
Kronhelm. Es iſt Thereſe. — Ja wahrhaftig!
Recht gut und aͤhnlich! Fiel mirs doch nicht gleich
ein. Aber, wo haſt du’s denn her? Wer hats
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/135>, abgerufen am 25.11.2024.
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