hielt. Der Jude war nicht mehr zu bewegen, in die Kutsche zu sitzen. Er setzte sich von aussen hin, ungeachtet es heftig regnete. Auf der Station aß der Jude nichts als trockenes ungesäuertes Brod, das er bey sich hatte, weil der Jude nichts von Christen Zubereitetes geniessen darf. Sieg- wart bedaurte recht von Herzen das Schicksal die- ser armen Leute, und sah den Juden oft mitleidig von der Seite an, der zuweilen bey sich selbst seufzte. Der Offizier, mit dem Siegwart aß, sprach ihm immer zu, brav zu trinken, vermuth- lich in der Absicht, ihn betrunken zu machen; aber unser Xaver nahm sich sehr vor ihm in Acht. Eh der Postwagen abgieng, kam ein Amtmann mit seinem Sohn, und der ganzen Familie, die den jungen Herrn begleitete, der auch auf die Uni- versität nach Jngolstadt gehen sollte. Die Mutter, und zwo Schwestern standen unaufhörlich um den jungen Menschen herum, und weinten, als ob sie auf ewig von einander Abschied nehmen sollten. Sie steckten ihm die Taschen voll mit Le- kerbißchen, und Arzneygläsern. Der Amtmann, der gehört hatte, daß Siegwart auch nach Jngol- stadt gehe, setzte sich zu ihm; ließ eine Bouteille Burgunder kommen; trank tapfer drauf los, setz-
hielt. Der Jude war nicht mehr zu bewegen, in die Kutſche zu ſitzen. Er ſetzte ſich von auſſen hin, ungeachtet es heftig regnete. Auf der Station aß der Jude nichts als trockenes ungeſaͤuertes Brod, das er bey ſich hatte, weil der Jude nichts von Chriſten Zubereitetes genieſſen darf. Sieg- wart bedaurte recht von Herzen das Schickſal die- ſer armen Leute, und ſah den Juden oft mitleidig von der Seite an, der zuweilen bey ſich ſelbſt ſeufzte. Der Offizier, mit dem Siegwart aß, ſprach ihm immer zu, brav zu trinken, vermuth- lich in der Abſicht, ihn betrunken zu machen; aber unſer Xaver nahm ſich ſehr vor ihm in Acht. Eh der Poſtwagen abgieng, kam ein Amtmann mit ſeinem Sohn, und der ganzen Familie, die den jungen Herrn begleitete, der auch auf die Uni- verſitaͤt nach Jngolſtadt gehen ſollte. Die Mutter, und zwo Schweſtern ſtanden unaufhoͤrlich um den jungen Menſchen herum, und weinten, als ob ſie auf ewig von einander Abſchied nehmen ſollten. Sie ſteckten ihm die Taſchen voll mit Le- kerbißchen, und Arzneyglaͤſern. Der Amtmann, der gehoͤrt hatte, daß Siegwart auch nach Jngol- ſtadt gehe, ſetzte ſich zu ihm; ließ eine Bouteille Burgunder kommen; trank tapfer drauf los, ſetz-
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hielt. Der Jude war nicht mehr zu bewegen, in
die Kutſche zu ſitzen. Er ſetzte ſich von auſſen hin,
ungeachtet es heftig regnete. Auf der Station aß
der Jude nichts als trockenes ungeſaͤuertes Brod,
das er bey ſich hatte, weil der Jude nichts
von Chriſten Zubereitetes genieſſen darf. Sieg-
wart bedaurte recht von Herzen das Schickſal die-
ſer armen Leute, und ſah den Juden oft mitleidig
von der Seite an, der zuweilen bey ſich ſelbſt
ſeufzte. Der Offizier, mit dem Siegwart aß,
ſprach ihm immer zu, brav zu trinken, vermuth-
lich in der Abſicht, ihn betrunken zu machen; aber
unſer Xaver nahm ſich ſehr vor ihm in Acht.
Eh der Poſtwagen abgieng, kam ein Amtmann
mit ſeinem Sohn, und der ganzen Familie, die
den jungen Herrn begleitete, der auch auf die Uni-
verſitaͤt nach Jngolſtadt gehen ſollte. Die
Mutter, und zwo Schweſtern ſtanden unaufhoͤrlich
um den jungen Menſchen herum, und weinten,
als ob ſie auf ewig von einander Abſchied nehmen
ſollten. Sie ſteckten ihm die Taſchen voll mit Le-
kerbißchen, und Arzneyglaͤſern. Der Amtmann,
der gehoͤrt hatte, daß Siegwart auch nach Jngol-
ſtadt gehe, ſetzte ſich zu ihm; ließ eine Bouteille
Burgunder kommen; trank tapfer drauf los, ſetz-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/119>, abgerufen am 19.07.2024.
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