schwinden, daß ich kaum mehr gehen kann ins Chor, für dich zu beten, und für mich. Meine Hand zittert, wenn ich an dich schreibe; meine Thränen sind vertrocknet. -- Sey mir willkom- men, Jahr des Friedens und des Todes! Sende Segen meinem Bräutigam, daß er Freuden ernd- te an jedem deiner Tage! O du Lieber, Auser- wählter, warum bin ich heut so traurig, da ich doch den Tod erwarte, meinen Freund?
Jm Februar. (zween Tage vor ihrem Tode.)
Endlich, endlich! Lieber, Theurer, auserwähl- ter Bräutigam, o du, den meine Seele liebet, wie ist mir so wohl! Der Tod, mein Freund, mein Retter, der einst dir mich wieder geben soll, ist vor der Thür, und hat schon angeklopft. Jch fühls, in wenig Tagen werd ich schlummern in der Gruft der Todten. -- Leb wohl du Theurer! Ach, nun wird mirs schwer, die Welt zu lassen, welche du bewohnst! -- Aber deine Hütte wird einst sin- ken, und du wirst hinübergehen in die Wohnung der Gerechten, wo ich dich erwarte im Gewand des Lichts. -- Verschweig, ich beschwöre dich bey Gott, zu dem ich übergehe, verschweig meine Zärt- lichkeit, und alles, was ich dir geschrieben habe!
ſchwinden, daß ich kaum mehr gehen kann ins Chor, fuͤr dich zu beten, und fuͤr mich. Meine Hand zittert, wenn ich an dich ſchreibe; meine Thraͤnen ſind vertrocknet. — Sey mir willkom- men, Jahr des Friedens und des Todes! Sende Segen meinem Braͤutigam, daß er Freuden ernd- te an jedem deiner Tage! O du Lieber, Auser- waͤhlter, warum bin ich heut ſo traurig, da ich doch den Tod erwarte, meinen Freund?
Jm Februar. (zween Tage vor ihrem Tode.)
Endlich, endlich! Lieber, Theurer, auserwaͤhl- ter Braͤutigam, o du, den meine Seele liebet, wie iſt mir ſo wohl! Der Tod, mein Freund, mein Retter, der einſt dir mich wieder geben ſoll, iſt vor der Thuͤr, und hat ſchon angeklopft. Jch fuͤhls, in wenig Tagen werd ich ſchlummern in der Gruft der Todten. — Leb wohl du Theurer! Ach, nun wird mirs ſchwer, die Welt zu laſſen, welche du bewohnſt! — Aber deine Huͤtte wird einſt ſin- ken, und du wirſt hinuͤbergehen in die Wohnung der Gerechten, wo ich dich erwarte im Gewand des Lichts. — Verſchweig, ich beſchwoͤre dich bey Gott, zu dem ich uͤbergehe, verſchweig meine Zaͤrt- lichkeit, und alles, was ich dir geſchrieben habe!
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ſchwinden, daß ich kaum mehr gehen kann ins
Chor, fuͤr dich zu beten, und fuͤr mich. Meine
Hand zittert, wenn ich an dich ſchreibe; meine
Thraͤnen ſind vertrocknet. — Sey mir willkom-
men, Jahr des Friedens und des Todes! Sende
Segen meinem Braͤutigam, daß er Freuden ernd-
te an jedem deiner Tage! O du Lieber, Auser-
waͤhlter, warum bin ich heut ſo traurig, da ich
doch den Tod erwarte, meinen Freund?
Jm Februar. (zween Tage vor ihrem Tode.)
Endlich, endlich! Lieber, Theurer, auserwaͤhl-
ter Braͤutigam, o du, den meine Seele liebet, wie
iſt mir ſo wohl! Der Tod, mein Freund, mein
Retter, der einſt dir mich wieder geben ſoll, iſt
vor der Thuͤr, und hat ſchon angeklopft. Jch fuͤhls,
in wenig Tagen werd ich ſchlummern in der Gruft
der Todten. — Leb wohl du Theurer! Ach, nun
wird mirs ſchwer, die Welt zu laſſen, welche du
bewohnſt! — Aber deine Huͤtte wird einſt ſin-
ken, und du wirſt hinuͤbergehen in die Wohnung
der Gerechten, wo ich dich erwarte im Gewand des
Lichts. — Verſchweig, ich beſchwoͤre dich bey
Gott, zu dem ich uͤbergehe, verſchweig meine Zaͤrt-
lichkeit, und alles, was ich dir geſchrieben habe!
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/111>, abgerufen am 26.11.2024.
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