Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.schon im Zimmer, spielte das Klavier, und sang, um ihn nicht zu wecken, leise eine Arie voll tie- fer Rührung. Er lauschte lang, und gieng end- lich in das Zimmer. Sie ward roth, und wünsch- te ihm ganz verwirrt einen guten Morgen. Jhr Auge sah aus, als ob sie geweint hätte, und ihre Miene schmachtete. Xaver gieng herein, und wieder weg, als er beyde so bewegt sah. Denn er hatte die Veränderung, die in ihnen vorgieng, schon gestern gemerkt. Sie setzten sich, und lasen im Messias. Er legte seine Hand in die ihrige. Lesen Sie doch wieder die Stelle von Semida und Cidli! sagte sie; sie ist gar zu rührend, und ich liebe das Wehmütbige so sehr. Er las sie. Therese lehnte ihren Kopf an den Stuhl zurück, und sah zum Himmel. Als er ausgelesen hatte, nahm er eben diese Stellung an, und betrachtete sie seit- wärts. Sie weinte, und kehrte zuweilen ihr Ge- sicht langsam zu ihm hinüber. Das muß ein göttlicher Mann seyn, sagte sie, der die Liebe so wahr und so heilig schildert! Ja wohl, sagte Kronhelm. Jndem trat Xaver ins Zimmer. Sie blieben noch eine Zeitlang so sitzen; er gieng ans Klavier, und klimperte. Endlich standen sie auf. Sie gieng hinaus, um den Kaffee zu ma- chen. Du hast eine himmlische Schwester, Sieg- ſchon im Zimmer, ſpielte das Klavier, und ſang, um ihn nicht zu wecken, leiſe eine Arie voll tie- fer Ruͤhrung. Er lauſchte lang, und gieng end- lich in das Zimmer. Sie ward roth, und wuͤnſch- te ihm ganz verwirrt einen guten Morgen. Jhr Auge ſah aus, als ob ſie geweint haͤtte, und ihre Miene ſchmachtete. Xaver gieng herein, und wieder weg, als er beyde ſo bewegt ſah. Denn er hatte die Veraͤnderung, die in ihnen vorgieng, ſchon geſtern gemerkt. Sie ſetzten ſich, und laſen im Meſſias. Er legte ſeine Hand in die ihrige. Leſen Sie doch wieder die Stelle von Semida und Cidli! ſagte ſie; ſie iſt gar zu ruͤhrend, und ich liebe das Wehmuͤtbige ſo ſehr. Er las ſie. Thereſe lehnte ihren Kopf an den Stuhl zuruͤck, und ſah zum Himmel. Als er ausgeleſen hatte, nahm er eben dieſe Stellung an, und betrachtete ſie ſeit- waͤrts. Sie weinte, und kehrte zuweilen ihr Ge- ſicht langſam zu ihm hinuͤber. Das muß ein goͤttlicher Mann ſeyn, ſagte ſie, der die Liebe ſo wahr und ſo heilig ſchildert! Ja wohl, ſagte Kronhelm. Jndem trat Xaver ins Zimmer. Sie blieben noch eine Zeitlang ſo ſitzen; er gieng ans Klavier, und klimperte. Endlich ſtanden ſie auf. Sie gieng hinaus, um den Kaffee zu ma- chen. Du haſt eine himmliſche Schweſter, Sieg- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0362" n="358"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> ſchon im Zimmer, ſpielte das Klavier, und ſang,<lb/> um ihn nicht zu wecken, leiſe eine Arie voll tie-<lb/> fer Ruͤhrung. Er lauſchte lang, und gieng end-<lb/> lich in das Zimmer. Sie ward roth, und wuͤnſch-<lb/> te ihm ganz verwirrt einen guten Morgen.<lb/> Jhr Auge ſah aus, als ob ſie geweint haͤtte, und<lb/> ihre Miene ſchmachtete. <hi rendition="#fr">Xaver</hi> gieng herein, und<lb/> wieder weg, als er beyde ſo bewegt ſah. Denn er<lb/> hatte die Veraͤnderung, die in ihnen vorgieng, ſchon<lb/> geſtern gemerkt. Sie ſetzten ſich, und laſen im<lb/><hi rendition="#fr">Meſſias.</hi> Er legte ſeine Hand in die ihrige.<lb/> Leſen Sie doch wieder die Stelle von Semida<lb/> und Cidli! ſagte ſie; ſie iſt gar zu ruͤhrend, und<lb/> ich liebe das Wehmuͤtbige ſo ſehr. Er las ſie.<lb/><hi rendition="#fr">Thereſe</hi> lehnte ihren Kopf an den Stuhl zuruͤck,<lb/> und ſah zum Himmel. Als er ausgeleſen hatte, nahm<lb/> er eben dieſe Stellung an, und betrachtete ſie ſeit-<lb/> waͤrts. Sie weinte, und kehrte zuweilen ihr Ge-<lb/> ſicht langſam zu ihm hinuͤber. Das muß ein<lb/> goͤttlicher Mann ſeyn, ſagte ſie, der die Liebe ſo<lb/> wahr und ſo heilig ſchildert! Ja wohl, ſagte<lb/><hi rendition="#fr">Kronhelm.</hi> Jndem trat <hi rendition="#fr">Xaver</hi> ins Zimmer.<lb/> Sie blieben noch eine Zeitlang ſo ſitzen; er gieng<lb/> ans Klavier, und klimperte. Endlich ſtanden ſie<lb/> auf. Sie gieng hinaus, um den Kaffee zu ma-<lb/> chen. Du haſt eine himmliſche Schweſter, Sieg-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [358/0362]
ſchon im Zimmer, ſpielte das Klavier, und ſang,
um ihn nicht zu wecken, leiſe eine Arie voll tie-
fer Ruͤhrung. Er lauſchte lang, und gieng end-
lich in das Zimmer. Sie ward roth, und wuͤnſch-
te ihm ganz verwirrt einen guten Morgen.
Jhr Auge ſah aus, als ob ſie geweint haͤtte, und
ihre Miene ſchmachtete. Xaver gieng herein, und
wieder weg, als er beyde ſo bewegt ſah. Denn er
hatte die Veraͤnderung, die in ihnen vorgieng, ſchon
geſtern gemerkt. Sie ſetzten ſich, und laſen im
Meſſias. Er legte ſeine Hand in die ihrige.
Leſen Sie doch wieder die Stelle von Semida
und Cidli! ſagte ſie; ſie iſt gar zu ruͤhrend, und
ich liebe das Wehmuͤtbige ſo ſehr. Er las ſie.
Thereſe lehnte ihren Kopf an den Stuhl zuruͤck,
und ſah zum Himmel. Als er ausgeleſen hatte, nahm
er eben dieſe Stellung an, und betrachtete ſie ſeit-
waͤrts. Sie weinte, und kehrte zuweilen ihr Ge-
ſicht langſam zu ihm hinuͤber. Das muß ein
goͤttlicher Mann ſeyn, ſagte ſie, der die Liebe ſo
wahr und ſo heilig ſchildert! Ja wohl, ſagte
Kronhelm. Jndem trat Xaver ins Zimmer.
Sie blieben noch eine Zeitlang ſo ſitzen; er gieng
ans Klavier, und klimperte. Endlich ſtanden ſie
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