Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.unbeweglich an, und |wandten dann das Auge nachdenklich, und halb traurig weg. Therese schien etwas von ihrer natürlichen Munterkeit zu verlieren, und sah oft ernsthaft aus. Die kühle Dämmerung, das Schweigen im Gefild, der blaß- gelbe Himmel, und die einschlummernde Natur erfüllte sie mit einer Wehmuth, die sie fast zu Thränen bewegte. Sie schwiegen oft lange still; dann stieg ein Seufzer bebend ihre Brust herauf, sie suchten ihn zu verbergen, husteten, und ihre Hände drückten einander. Sie fühlten, daß sie geliebt würden, oft mit einer überwiegenden Ge- wißheit; aber sie liessens sich nicht merken, und sprachen nie ein Wort davon. Als sie wieder beym alten Siegwart angekommen waren, ließ Therese ihre braunen Haare fliegen. Sie ge- fiel in diesem Aufzug unserm Kronhelm noch so gut; er sagte es ihr; und nun löste sie ihre Haare alle Abend auf. Sie spielte noch denselben Abend lang auf dem Klavier, und sang dazu mit ihrem Bruder. Sie blieben bis um Mitternacht auf, und Kronhelm träumte die ganze Nacht von ihr. Es kam ihm vor, als ob sie ihn traurig ansäh, dann lächelte, und ihm endlich in die Ar- me sänke. Er weinte vor Zärtlichkeit, und hatte, als er aufwachte, noch nasse Augen. Sie war unbeweglich an, und |wandten dann das Auge nachdenklich, und halb traurig weg. Thereſe ſchien etwas von ihrer natuͤrlichen Munterkeit zu verlieren, und ſah oft ernſthaft aus. Die kuͤhle Daͤmmerung, das Schweigen im Gefild, der blaß- gelbe Himmel, und die einſchlummernde Natur erfuͤllte ſie mit einer Wehmuth, die ſie faſt zu Thraͤnen bewegte. Sie ſchwiegen oft lange ſtill; dann ſtieg ein Seufzer bebend ihre Bruſt herauf, ſie ſuchten ihn zu verbergen, huſteten, und ihre Haͤnde druͤckten einander. Sie fuͤhlten, daß ſie geliebt wuͤrden, oft mit einer uͤberwiegenden Ge- wißheit; aber ſie lieſſens ſich nicht merken, und ſprachen nie ein Wort davon. Als ſie wieder beym alten Siegwart angekommen waren, ließ Thereſe ihre braunen Haare fliegen. Sie ge- fiel in dieſem Aufzug unſerm Kronhelm noch ſo gut; er ſagte es ihr; und nun loͤſte ſie ihre Haare alle Abend auf. Sie ſpielte noch denſelben Abend lang auf dem Klavier, und ſang dazu mit ihrem Bruder. Sie blieben bis um Mitternacht auf, und Kronhelm traͤumte die ganze Nacht von ihr. Es kam ihm vor, als ob ſie ihn traurig anſaͤh, dann laͤchelte, und ihm endlich in die Ar- me ſaͤnke. Er weinte vor Zaͤrtlichkeit, und hatte, als er aufwachte, noch naſſe Augen. Sie war <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0361" n="357"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> unbeweglich an, und |wandten dann das Auge<lb/> nachdenklich, und halb traurig weg. <hi rendition="#fr">Thereſe</hi><lb/> ſchien etwas von ihrer natuͤrlichen Munterkeit zu<lb/> verlieren, und ſah oft ernſthaft aus. Die kuͤhle<lb/> Daͤmmerung, das Schweigen im Gefild, der blaß-<lb/> gelbe Himmel, und die einſchlummernde Natur<lb/> erfuͤllte ſie mit einer Wehmuth, die ſie faſt zu<lb/> Thraͤnen bewegte. Sie ſchwiegen oft lange ſtill;<lb/> dann ſtieg ein Seufzer bebend ihre Bruſt herauf,<lb/> ſie ſuchten ihn zu verbergen, huſteten, und ihre<lb/> Haͤnde druͤckten einander. Sie fuͤhlten, daß ſie<lb/> geliebt wuͤrden, oft mit einer uͤberwiegenden Ge-<lb/> wißheit; aber ſie lieſſens ſich nicht merken, und<lb/> ſprachen nie ein Wort davon. Als ſie wieder<lb/> beym alten <hi rendition="#fr">Siegwart</hi> angekommen waren, ließ<lb/><hi rendition="#fr">Thereſe</hi> ihre braunen Haare fliegen. Sie ge-<lb/> fiel in dieſem Aufzug unſerm <hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> noch ſo<lb/> gut; er ſagte es ihr; und nun loͤſte ſie ihre Haare<lb/> alle Abend auf. Sie ſpielte noch denſelben Abend<lb/> lang auf dem Klavier, und ſang dazu mit ihrem<lb/> Bruder. Sie blieben bis um Mitternacht auf,<lb/> und <hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> traͤumte die ganze Nacht von<lb/> ihr. Es kam ihm vor, als ob ſie ihn traurig<lb/> anſaͤh, dann laͤchelte, und ihm endlich in die Ar-<lb/> me ſaͤnke. Er weinte vor Zaͤrtlichkeit, und hatte,<lb/> als er aufwachte, noch naſſe Augen. Sie war<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [357/0361]
unbeweglich an, und |wandten dann das Auge
nachdenklich, und halb traurig weg. Thereſe
ſchien etwas von ihrer natuͤrlichen Munterkeit zu
verlieren, und ſah oft ernſthaft aus. Die kuͤhle
Daͤmmerung, das Schweigen im Gefild, der blaß-
gelbe Himmel, und die einſchlummernde Natur
erfuͤllte ſie mit einer Wehmuth, die ſie faſt zu
Thraͤnen bewegte. Sie ſchwiegen oft lange ſtill;
dann ſtieg ein Seufzer bebend ihre Bruſt herauf,
ſie ſuchten ihn zu verbergen, huſteten, und ihre
Haͤnde druͤckten einander. Sie fuͤhlten, daß ſie
geliebt wuͤrden, oft mit einer uͤberwiegenden Ge-
wißheit; aber ſie lieſſens ſich nicht merken, und
ſprachen nie ein Wort davon. Als ſie wieder
beym alten Siegwart angekommen waren, ließ
Thereſe ihre braunen Haare fliegen. Sie ge-
fiel in dieſem Aufzug unſerm Kronhelm noch ſo
gut; er ſagte es ihr; und nun loͤſte ſie ihre Haare
alle Abend auf. Sie ſpielte noch denſelben Abend
lang auf dem Klavier, und ſang dazu mit ihrem
Bruder. Sie blieben bis um Mitternacht auf,
und Kronhelm traͤumte die ganze Nacht von
ihr. Es kam ihm vor, als ob ſie ihn traurig
anſaͤh, dann laͤchelte, und ihm endlich in die Ar-
me ſaͤnke. Er weinte vor Zaͤrtlichkeit, und hatte,
als er aufwachte, noch naſſe Augen. Sie war
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