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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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thut. Hab Dank, Lieber! Warlich ich kann dirs
schwören! Mein Herz ist noch nicht ganz verdor-
ben. Bös hab ichs nicht gemeynt. Aber ich war
doch ein Scheusal. Wenn ihr mir nur verzeiht!
Dann ist alles gut.

Kronhelm sank nun wieder an sein Herz,
und weinte. Kein Schauspiel ist auf Erden schö-
ner, als die Aussöhnung zweyer Freunde. Der
ganze Himmel freut sich über einen Sünder, der
Busse thut; so freut er sich, wenn zwo Seelen,
die einander werth sind, und sich eine Zeitlang
misverstanden haben, sich wieder mit einander aus-
föhnen. Sie lieben sich nun stärker, wie zwey
Liebende nach einer kurzen Trennung. -- Sieg-
wart wurde nun wieder vernauter, und offenher-
ziger; er wagte es nun wieder, seinen Kronhelm
frey anzusehen. Wenn er ihn lang ansah, ward
sein Herz auf einmal weich, und ein unwidersteh-
licher Trieb zog ihn in die Arme seines Freundes.
Er schwur ihm ewige Treu, und versprach, ihm künf-
tig die kleinsten Bewegungen seines Herzens zu
entdecken. Sie sassen bey einander, bis die Däm-
merung anbrach; dann spielten sie ein Duett, alle
Töne schmolzen in einander, wie ihre Seelen,
und wurden Eins.



thut. Hab Dank, Lieber! Warlich ich kann dirs
ſchwoͤren! Mein Herz iſt noch nicht ganz verdor-
ben. Boͤs hab ichs nicht gemeynt. Aber ich war
doch ein Scheuſal. Wenn ihr mir nur verzeiht!
Dann iſt alles gut.

Kronhelm ſank nun wieder an ſein Herz,
und weinte. Kein Schauſpiel iſt auf Erden ſchoͤ-
ner, als die Ausſoͤhnung zweyer Freunde. Der
ganze Himmel freut ſich uͤber einen Suͤnder, der
Buſſe thut; ſo freut er ſich, wenn zwo Seelen,
die einander werth ſind, und ſich eine Zeitlang
misverſtanden haben, ſich wieder mit einander aus-
foͤhnen. Sie lieben ſich nun ſtaͤrker, wie zwey
Liebende nach einer kurzen Trennung. — Sieg-
wart wurde nun wieder vernauter, und offenher-
ziger; er wagte es nun wieder, ſeinen Kronhelm
frey anzuſehen. Wenn er ihn lang anſah, ward
ſein Herz auf einmal weich, und ein unwiderſteh-
licher Trieb zog ihn in die Arme ſeines Freundes.
Er ſchwur ihm ewige Treu, und verſprach, ihm kuͤnf-
tig die kleinſten Bewegungen ſeines Herzens zu
entdecken. Sie ſaſſen bey einander, bis die Daͤm-
merung anbrach; dann ſpielten ſie ein Duett, alle
Toͤne ſchmolzen in einander, wie ihre Seelen,
und wurden Eins.

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[208/0212] thut. Hab Dank, Lieber! Warlich ich kann dirs ſchwoͤren! Mein Herz iſt noch nicht ganz verdor- ben. Boͤs hab ichs nicht gemeynt. Aber ich war doch ein Scheuſal. Wenn ihr mir nur verzeiht! Dann iſt alles gut. Kronhelm ſank nun wieder an ſein Herz, und weinte. Kein Schauſpiel iſt auf Erden ſchoͤ- ner, als die Ausſoͤhnung zweyer Freunde. Der ganze Himmel freut ſich uͤber einen Suͤnder, der Buſſe thut; ſo freut er ſich, wenn zwo Seelen, die einander werth ſind, und ſich eine Zeitlang misverſtanden haben, ſich wieder mit einander aus- foͤhnen. Sie lieben ſich nun ſtaͤrker, wie zwey Liebende nach einer kurzen Trennung. — Sieg- wart wurde nun wieder vernauter, und offenher- ziger; er wagte es nun wieder, ſeinen Kronhelm frey anzuſehen. Wenn er ihn lang anſah, ward ſein Herz auf einmal weich, und ein unwiderſteh- licher Trieb zog ihn in die Arme ſeines Freundes. Er ſchwur ihm ewige Treu, und verſprach, ihm kuͤnf- tig die kleinſten Bewegungen ſeines Herzens zu entdecken. Sie ſaſſen bey einander, bis die Daͤm- merung anbrach; dann ſpielten ſie ein Duett, alle Toͤne ſchmolzen in einander, wie ihre Seelen, und wurden Eins.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/212>, abgerufen am 02.05.2024.