Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.traurige Nachricht gekriegt. Mein Bruder in Burgau ist gestorben, und hinterläßt sechs vater- und mutterlose Waisen. Jch habs zwar schon immer im Sinn gehabt, daß ich für sie sorgen will; und das Bischen Vermögen, was ich von meinem Einkommen zurückgelegt habe, fällt ihnen zu; aber was hilft Kindern Geld und Gut, wenns an der Erziehung fehlt? Man weis schon, wie's bey fremden Leuten geht. Nun, nun, Gott wird sich ihrer auch annehmen; er ist doch der rechte Vater. Nun ist niemand mehr von uns übrig; wir waren fünf Geschwister, und sind alle wegge- storben, bis an mich, ob ich gleich immer der schwächlichste unter ihnen war. Aber hätt ich auch nicht so ordentlich und mäßig gelebt, ich wäre längst nicht mehr da. Kinder! ich sag immer: Ordnung, und Mäßigkeit ist die beste Arzeney! Laßt euch das zur Regel dienen, und ihr werdet mit Freuden alt. So hat man sich nichts vorzu- werfen, wenn der Tod kommt. Jch habs Gott- lob! bey meinen Bauren auch so weit gebracht, daß man selten einen aus meinem Dorf betrunken sieht, und Sonn- und Feyertags beym Wirtshaus vorbeygehen kann, ohne das ärgerliche Gejuchz zu hören. -- -- Jst der Kaffee schon fertig, Su- traurige Nachricht gekriegt. Mein Bruder in Burgau iſt geſtorben, und hinterlaͤßt ſechs vater- und mutterloſe Waiſen. Jch habs zwar ſchon immer im Sinn gehabt, daß ich fuͤr ſie ſorgen will; und das Bischen Vermoͤgen, was ich von meinem Einkommen zuruͤckgelegt habe, faͤllt ihnen zu; aber was hilft Kindern Geld und Gut, wenns an der Erziehung fehlt? Man weis ſchon, wie’s bey fremden Leuten geht. Nun, nun, Gott wird ſich ihrer auch annehmen; er iſt doch der rechte Vater. Nun iſt niemand mehr von uns uͤbrig; wir waren fuͤnf Geſchwiſter, und ſind alle wegge- ſtorben, bis an mich, ob ich gleich immer der ſchwaͤchlichſte unter ihnen war. Aber haͤtt ich auch nicht ſo ordentlich und maͤßig gelebt, ich waͤre laͤngſt nicht mehr da. Kinder! ich ſag immer: Ordnung, und Maͤßigkeit iſt die beſte Arzeney! Laßt euch das zur Regel dienen, und ihr werdet mit Freuden alt. So hat man ſich nichts vorzu- werfen, wenn der Tod kommt. Jch habs Gott- lob! bey meinen Bauren auch ſo weit gebracht, daß man ſelten einen aus meinem Dorf betrunken ſieht, und Sonn- und Feyertags beym Wirtshaus vorbeygehen kann, ohne das aͤrgerliche Gejuchz zu hoͤren. — — Jſt der Kaffee ſchon fertig, Su- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0152" n="148"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> traurige Nachricht gekriegt. Mein Bruder in<lb/> Burgau iſt geſtorben, und hinterlaͤßt ſechs vater-<lb/> und mutterloſe Waiſen. Jch habs zwar ſchon<lb/> immer im Sinn gehabt, daß ich fuͤr ſie ſorgen will;<lb/> und das Bischen Vermoͤgen, was ich von meinem<lb/> Einkommen zuruͤckgelegt habe, faͤllt ihnen zu;<lb/> aber was hilft Kindern Geld und Gut, wenns<lb/> an der Erziehung fehlt? Man weis ſchon, wie’s<lb/> bey fremden Leuten geht. Nun, nun, Gott wird<lb/> ſich ihrer auch annehmen; er iſt doch der rechte<lb/> Vater. Nun iſt niemand mehr von uns uͤbrig;<lb/> wir waren fuͤnf Geſchwiſter, und ſind alle wegge-<lb/> ſtorben, bis an mich, ob ich gleich immer der<lb/> ſchwaͤchlichſte unter ihnen war. Aber haͤtt ich<lb/> auch nicht ſo ordentlich und maͤßig gelebt, ich waͤre<lb/> laͤngſt nicht mehr da. Kinder! ich ſag immer:<lb/> Ordnung, und Maͤßigkeit iſt die beſte Arzeney!<lb/> Laßt euch das zur Regel dienen, und ihr werdet<lb/> mit Freuden alt. So hat man ſich nichts vorzu-<lb/> werfen, wenn der Tod kommt. Jch habs Gott-<lb/> lob! bey meinen Bauren auch ſo weit gebracht,<lb/> daß man ſelten einen aus meinem Dorf betrunken<lb/> ſieht, und Sonn- und Feyertags beym Wirtshaus<lb/> vorbeygehen kann, ohne das aͤrgerliche Gejuchz zu<lb/> hoͤren. — — Jſt der Kaffee ſchon fertig, Su-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [148/0152]
traurige Nachricht gekriegt. Mein Bruder in
Burgau iſt geſtorben, und hinterlaͤßt ſechs vater-
und mutterloſe Waiſen. Jch habs zwar ſchon
immer im Sinn gehabt, daß ich fuͤr ſie ſorgen will;
und das Bischen Vermoͤgen, was ich von meinem
Einkommen zuruͤckgelegt habe, faͤllt ihnen zu;
aber was hilft Kindern Geld und Gut, wenns
an der Erziehung fehlt? Man weis ſchon, wie’s
bey fremden Leuten geht. Nun, nun, Gott wird
ſich ihrer auch annehmen; er iſt doch der rechte
Vater. Nun iſt niemand mehr von uns uͤbrig;
wir waren fuͤnf Geſchwiſter, und ſind alle wegge-
ſtorben, bis an mich, ob ich gleich immer der
ſchwaͤchlichſte unter ihnen war. Aber haͤtt ich
auch nicht ſo ordentlich und maͤßig gelebt, ich waͤre
laͤngſt nicht mehr da. Kinder! ich ſag immer:
Ordnung, und Maͤßigkeit iſt die beſte Arzeney!
Laßt euch das zur Regel dienen, und ihr werdet
mit Freuden alt. So hat man ſich nichts vorzu-
werfen, wenn der Tod kommt. Jch habs Gott-
lob! bey meinen Bauren auch ſo weit gebracht,
daß man ſelten einen aus meinem Dorf betrunken
ſieht, und Sonn- und Feyertags beym Wirtshaus
vorbeygehen kann, ohne das aͤrgerliche Gejuchz zu
hoͤren. — — Jſt der Kaffee ſchon fertig, Su-
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Zitationshilfe: | Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/152>, abgerufen am 16.02.2025. |