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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
unweibliche sind, und daß der angemessene Wirkungs-
kreis
der Frauen nicht Politik oder die Oeffentlichkeit, sondern
das häusliche und Privatleben ist. Wir bestreiten es, daß irgend
ein Theil der Gattung oder ein Jndividuum das Recht hat, für
einen anderen Theil oder für ein anderes Jndividuum zu ent-
scheiden, was und was nicht sein angemessener Wirkungskreis ist.
Der angemessene Wirkungskreis aller menschlichen Wesen ist der
höchste und weiteste, zu dem sie sich erheben können. Welches
dieser ist, kann ohne vollständige Freiheit der Wahl nicht ent-
schieden werden. Die Redner bei der Versammlung in Amerika
haben daher recht und weise gehandelt, als sie es ablehnten,
auf die Frage nach den Frauen oder Männern besonders eigen-
thümlichen Fähigkeiten und den Grenzen einzugehen, innerhalb
welcher diese oder jene Beschäftigung für das eine oder das andere
Geschlecht geeigneter erscheinen mag. Sie behaupten ganz richtig,
daß diese Fragen nur durch die volle Freiheit beantwortet werden
können. Stellt Jedem jede Beschäftigung frei, ohne irgend welche
Gunst oder Ungunst, und die Berufsarten werden in die Hände
jener Männer oder Frauen gerathen, welche sich durch die Er-
fahrung am fähigsten erweisen, sie würdig auszuüben. Man braucht
nicht zu fürchten, daß die Frauen den Männern irgend eine Be-
schäftigung entreißen werden, welche diese besser als jene betreiben.
Jedes Jndividuum wird seine oder ihre Befähigung auf dem
einzigen Wege erweisen auf dem sich Befähigung erweisen läßt,
nämlich durch den Versuch, und die Welt wird aus den besten
Fähigkeiten aller ihrer Bewohner Vortheil ziehen. Aber im vor-
aus mit einer willkürlichen Beschränkung einzugreifen und zu er-
klären, daß, wie groß immer das Genie oder Talent, die Energie
oder Geisteskraft eines Wesens aus einem gewissen Geschlecht
oder Kreise sein mag, diese Gaben nicht gebraucht werden oder
doch nur in einigen wenigen von den vielen Weisen gebraucht
werden dürfen, welche Anderen für ihre Fähigkeiten offen stehen, -
das ist nicht nur eine Ungerechtigkeit gegen den Einzelnen und eine
Schädigung der Gesellschaft, welche dadurch verliert was sie nur
schwer entbehren kann, sondern es ist auch der sicherste Weg um in
dem also niedergehaltenen Geschlechte oder Kreise die Eigenschaften
zu ertödten, deren Gebrauch man nicht gestatten will.

Wir werden dem sehr löblichen Beispiel der Versammlung
folgen, indem wir nicht in die Fragen nach den angeblichen Unter-
schieden in physischen oder geistigen Eigenschaften zwischen beiden
Geschlechtern eingehen, nicht etwa weil wir darüber nichts, sondern
weil wir zuviel zu sagen haben; diesen einen Punkt angemessen zu

Ueber Frauenemancipation.
unweibliche sind, und daß der angemessene Wirkungs-
kreis
der Frauen nicht Politik oder die Oeffentlichkeit, sondern
das häusliche und Privatleben ist. Wir bestreiten es, daß irgend
ein Theil der Gattung oder ein Jndividuum das Recht hat, für
einen anderen Theil oder für ein anderes Jndividuum zu ent-
scheiden, was und was nicht sein angemessener Wirkungskreis ist.
Der angemessene Wirkungskreis aller menschlichen Wesen ist der
höchste und weiteste, zu dem sie sich erheben können. Welches
dieser ist, kann ohne vollständige Freiheit der Wahl nicht ent-
schieden werden. Die Redner bei der Versammlung in Amerika
haben daher recht und weise gehandelt, als sie es ablehnten,
auf die Frage nach den Frauen oder Männern besonders eigen-
thümlichen Fähigkeiten und den Grenzen einzugehen, innerhalb
welcher diese oder jene Beschäftigung für das eine oder das andere
Geschlecht geeigneter erscheinen mag. Sie behaupten ganz richtig,
daß diese Fragen nur durch die volle Freiheit beantwortet werden
können. Stellt Jedem jede Beschäftigung frei, ohne irgend welche
Gunst oder Ungunst, und die Berufsarten werden in die Hände
jener Männer oder Frauen gerathen, welche sich durch die Er-
fahrung am fähigsten erweisen, sie würdig auszuüben. Man braucht
nicht zu fürchten, daß die Frauen den Männern irgend eine Be-
schäftigung entreißen werden, welche diese besser als jene betreiben.
Jedes Jndividuum wird seine oder ihre Befähigung auf dem
einzigen Wege erweisen auf dem sich Befähigung erweisen läßt,
nämlich durch den Versuch, und die Welt wird aus den besten
Fähigkeiten aller ihrer Bewohner Vortheil ziehen. Aber im vor-
aus mit einer willkürlichen Beschränkung einzugreifen und zu er-
klären, daß, wie groß immer das Genie oder Talent, die Energie
oder Geisteskraft eines Wesens aus einem gewissen Geschlecht
oder Kreise sein mag, diese Gaben nicht gebraucht werden oder
doch nur in einigen wenigen von den vielen Weisen gebraucht
werden dürfen, welche Anderen für ihre Fähigkeiten offen stehen, –
das ist nicht nur eine Ungerechtigkeit gegen den Einzelnen und eine
Schädigung der Gesellschaft, welche dadurch verliert was sie nur
schwer entbehren kann, sondern es ist auch der sicherste Weg um in
dem also niedergehaltenen Geschlechte oder Kreise die Eigenschaften
zu ertödten, deren Gebrauch man nicht gestatten will.

Wir werden dem sehr löblichen Beispiel der Versammlung
folgen, indem wir nicht in die Fragen nach den angeblichen Unter-
schieden in physischen oder geistigen Eigenschaften zwischen beiden
Geschlechtern eingehen, nicht etwa weil wir darüber nichts, sondern
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[9/0009] Ueber Frauenemancipation. unweibliche sind, und daß der angemessene Wirkungs- kreis der Frauen nicht Politik oder die Oeffentlichkeit, sondern das häusliche und Privatleben ist. Wir bestreiten es, daß irgend ein Theil der Gattung oder ein Jndividuum das Recht hat, für einen anderen Theil oder für ein anderes Jndividuum zu ent- scheiden, was und was nicht sein angemessener Wirkungskreis ist. Der angemessene Wirkungskreis aller menschlichen Wesen ist der höchste und weiteste, zu dem sie sich erheben können. Welches dieser ist, kann ohne vollständige Freiheit der Wahl nicht ent- schieden werden. Die Redner bei der Versammlung in Amerika haben daher recht und weise gehandelt, als sie es ablehnten, auf die Frage nach den Frauen oder Männern besonders eigen- thümlichen Fähigkeiten und den Grenzen einzugehen, innerhalb welcher diese oder jene Beschäftigung für das eine oder das andere Geschlecht geeigneter erscheinen mag. Sie behaupten ganz richtig, daß diese Fragen nur durch die volle Freiheit beantwortet werden können. Stellt Jedem jede Beschäftigung frei, ohne irgend welche Gunst oder Ungunst, und die Berufsarten werden in die Hände jener Männer oder Frauen gerathen, welche sich durch die Er- fahrung am fähigsten erweisen, sie würdig auszuüben. Man braucht nicht zu fürchten, daß die Frauen den Männern irgend eine Be- schäftigung entreißen werden, welche diese besser als jene betreiben. Jedes Jndividuum wird seine oder ihre Befähigung auf dem einzigen Wege erweisen auf dem sich Befähigung erweisen läßt, nämlich durch den Versuch, und die Welt wird aus den besten Fähigkeiten aller ihrer Bewohner Vortheil ziehen. Aber im vor- aus mit einer willkürlichen Beschränkung einzugreifen und zu er- klären, daß, wie groß immer das Genie oder Talent, die Energie oder Geisteskraft eines Wesens aus einem gewissen Geschlecht oder Kreise sein mag, diese Gaben nicht gebraucht werden oder doch nur in einigen wenigen von den vielen Weisen gebraucht werden dürfen, welche Anderen für ihre Fähigkeiten offen stehen, – das ist nicht nur eine Ungerechtigkeit gegen den Einzelnen und eine Schädigung der Gesellschaft, welche dadurch verliert was sie nur schwer entbehren kann, sondern es ist auch der sicherste Weg um in dem also niedergehaltenen Geschlechte oder Kreise die Eigenschaften zu ertödten, deren Gebrauch man nicht gestatten will. Wir werden dem sehr löblichen Beispiel der Versammlung folgen, indem wir nicht in die Fragen nach den angeblichen Unter- schieden in physischen oder geistigen Eigenschaften zwischen beiden Geschlechtern eingehen, nicht etwa weil wir darüber nichts, sondern weil wir zuviel zu sagen haben; diesen einen Punkt angemessen zu

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/9>, abgerufen am 27.04.2024.