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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
der Menschheit. Durch die ganze historische Zeit haben die Nationen,
Racen oder Classen, welche durch Muskelkraft, durch Reichthum
oder durch militärische Schulung die stärksten waren, die übrigen
unterworfen und in Unterthänigkeit erhalten. Wenn bei den vorge-
schrittensten Völkern das Gesetz des Schwertes endlich als unwürdig
verworfen wurde, so ist dies nur die Frucht des vielverleumdeten
achtzehnten Jahrhunderts. Die Eroberungskriege haben erst auf-
gehört, seitdem die demokratischen Revolutionen begonnen haben.
Die Welt ist noch sehr jung und hat eben erst angefangen, sich
von der Ungerechtigkeit frei zu machen. Sie entledigt sich erst jetzt
der Sclaverei der Neger, sie entledigt sich erst jetzt des Despo-
tismus der Alleinherrscher, sie entledigt sich erst jetzt des erblichen
Feudaladels, sie entledigt sich erst jetzt der Rechtsungleichheit auf
Grund der Religionsverschiedenheit. Sie beginnt eben erst, irgend
welche Männer außer den Reichen und einen begünstigten Theil
der Mittelclasse als Bürger zu behandeln. Dürfen wir uns
wundern, daß sie für die Frauen noch nicht so viel gethan hat?
Wie die Gesellschaft bis auf die wenigen letzten Generationen be-
stellt war, war die Ungleichheit ganz eigentlich ihre Grundlage;
irgend eine auf gleiche Rechte begründete Vereinigung bestand da-
mals kaum; Gleichheit bedeutete so viel als Feindschaft; zwei
Personen konnten kaum gemeinsam an irgend etwas arbeiten oder
in irgend ein freundliches Verhältniß zu einander treten, ohne daß
das Gesetz den Einen zum Vorgesetzten des Anderen bestellte. Die
Menschheit ist nun diesem Zustand entwachsen, und alles zielt dahin
an die Stelle der Herrschaft des Stärksten eine gerechte Gleichheit
als das allgemeine Princip der menschlichen Beziehungen zu setzen.
Von allen Verhältnissen aber mußte das zwischen Männern und
Frauen, da es das nächste und innigste und mit der größten An-
zahl intensiver Gefühle verknüpft ist, nothwendig das letzte sein,
bei dem die alte Richtschnur außer Uebung und die neue in Auf-
nahme kommt; denn im Verhältniß zur Stärke eines Gefühls steht
die Hartnäckigkeit, womit es an den Formen und Umständen festhält,
mit welchen es auch nur zufällig verkettet worden ist.

Wenn ein Vorurtheil, das irgendwie mit dem Gefühlsleben
verwachsen ist, sich in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt sieht,
Gründe anzugeben, so glaubt es genug gethan zu haben, wenn es in
Redensarten, welche sich auf das vorhandene Gefühl berufen, eben
den bestrittenen Punkt als Behauptung hinstellt. So glauben viele
Personen, die Einschränkungen, welche der Thätigkeit der Frauen
auferlegt sind, hinreichend gerechtfertigt zu haben, wenn sie sagen,
daß die Beschäftigungen, von denen die Frauen ausgeschlossen werden,

Ueber Frauenemancipation.
der Menschheit. Durch die ganze historische Zeit haben die Nationen,
Racen oder Classen, welche durch Muskelkraft, durch Reichthum
oder durch militärische Schulung die stärksten waren, die übrigen
unterworfen und in Unterthänigkeit erhalten. Wenn bei den vorge-
schrittensten Völkern das Gesetz des Schwertes endlich als unwürdig
verworfen wurde, so ist dies nur die Frucht des vielverleumdeten
achtzehnten Jahrhunderts. Die Eroberungskriege haben erst auf-
gehört, seitdem die demokratischen Revolutionen begonnen haben.
Die Welt ist noch sehr jung und hat eben erst angefangen, sich
von der Ungerechtigkeit frei zu machen. Sie entledigt sich erst jetzt
der Sclaverei der Neger, sie entledigt sich erst jetzt des Despo-
tismus der Alleinherrscher, sie entledigt sich erst jetzt des erblichen
Feudaladels, sie entledigt sich erst jetzt der Rechtsungleichheit auf
Grund der Religionsverschiedenheit. Sie beginnt eben erst, irgend
welche Männer außer den Reichen und einen begünstigten Theil
der Mittelclasse als Bürger zu behandeln. Dürfen wir uns
wundern, daß sie für die Frauen noch nicht so viel gethan hat?
Wie die Gesellschaft bis auf die wenigen letzten Generationen be-
stellt war, war die Ungleichheit ganz eigentlich ihre Grundlage;
irgend eine auf gleiche Rechte begründete Vereinigung bestand da-
mals kaum; Gleichheit bedeutete so viel als Feindschaft; zwei
Personen konnten kaum gemeinsam an irgend etwas arbeiten oder
in irgend ein freundliches Verhältniß zu einander treten, ohne daß
das Gesetz den Einen zum Vorgesetzten des Anderen bestellte. Die
Menschheit ist nun diesem Zustand entwachsen, und alles zielt dahin
an die Stelle der Herrschaft des Stärksten eine gerechte Gleichheit
als das allgemeine Princip der menschlichen Beziehungen zu setzen.
Von allen Verhältnissen aber mußte das zwischen Männern und
Frauen, da es das nächste und innigste und mit der größten An-
zahl intensiver Gefühle verknüpft ist, nothwendig das letzte sein,
bei dem die alte Richtschnur außer Uebung und die neue in Auf-
nahme kommt; denn im Verhältniß zur Stärke eines Gefühls steht
die Hartnäckigkeit, womit es an den Formen und Umständen festhält,
mit welchen es auch nur zufällig verkettet worden ist.

Wenn ein Vorurtheil, das irgendwie mit dem Gefühlsleben
verwachsen ist, sich in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt sieht,
Gründe anzugeben, so glaubt es genug gethan zu haben, wenn es in
Redensarten, welche sich auf das vorhandene Gefühl berufen, eben
den bestrittenen Punkt als Behauptung hinstellt. So glauben viele
Personen, die Einschränkungen, welche der Thätigkeit der Frauen
auferlegt sind, hinreichend gerechtfertigt zu haben, wenn sie sagen,
daß die Beschäftigungen, von denen die Frauen ausgeschlossen werden,

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[8/0008] Ueber Frauenemancipation. der Menschheit. Durch die ganze historische Zeit haben die Nationen, Racen oder Classen, welche durch Muskelkraft, durch Reichthum oder durch militärische Schulung die stärksten waren, die übrigen unterworfen und in Unterthänigkeit erhalten. Wenn bei den vorge- schrittensten Völkern das Gesetz des Schwertes endlich als unwürdig verworfen wurde, so ist dies nur die Frucht des vielverleumdeten achtzehnten Jahrhunderts. Die Eroberungskriege haben erst auf- gehört, seitdem die demokratischen Revolutionen begonnen haben. Die Welt ist noch sehr jung und hat eben erst angefangen, sich von der Ungerechtigkeit frei zu machen. Sie entledigt sich erst jetzt der Sclaverei der Neger, sie entledigt sich erst jetzt des Despo- tismus der Alleinherrscher, sie entledigt sich erst jetzt des erblichen Feudaladels, sie entledigt sich erst jetzt der Rechtsungleichheit auf Grund der Religionsverschiedenheit. Sie beginnt eben erst, irgend welche Männer außer den Reichen und einen begünstigten Theil der Mittelclasse als Bürger zu behandeln. Dürfen wir uns wundern, daß sie für die Frauen noch nicht so viel gethan hat? Wie die Gesellschaft bis auf die wenigen letzten Generationen be- stellt war, war die Ungleichheit ganz eigentlich ihre Grundlage; irgend eine auf gleiche Rechte begründete Vereinigung bestand da- mals kaum; Gleichheit bedeutete so viel als Feindschaft; zwei Personen konnten kaum gemeinsam an irgend etwas arbeiten oder in irgend ein freundliches Verhältniß zu einander treten, ohne daß das Gesetz den Einen zum Vorgesetzten des Anderen bestellte. Die Menschheit ist nun diesem Zustand entwachsen, und alles zielt dahin an die Stelle der Herrschaft des Stärksten eine gerechte Gleichheit als das allgemeine Princip der menschlichen Beziehungen zu setzen. Von allen Verhältnissen aber mußte das zwischen Männern und Frauen, da es das nächste und innigste und mit der größten An- zahl intensiver Gefühle verknüpft ist, nothwendig das letzte sein, bei dem die alte Richtschnur außer Uebung und die neue in Auf- nahme kommt; denn im Verhältniß zur Stärke eines Gefühls steht die Hartnäckigkeit, womit es an den Formen und Umständen festhält, mit welchen es auch nur zufällig verkettet worden ist. Wenn ein Vorurtheil, das irgendwie mit dem Gefühlsleben verwachsen ist, sich in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt sieht, Gründe anzugeben, so glaubt es genug gethan zu haben, wenn es in Redensarten, welche sich auf das vorhandene Gefühl berufen, eben den bestrittenen Punkt als Behauptung hinstellt. So glauben viele Personen, die Einschränkungen, welche der Thätigkeit der Frauen auferlegt sind, hinreichend gerechtfertigt zu haben, wenn sie sagen, daß die Beschäftigungen, von denen die Frauen ausgeschlossen werden,

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/8>, abgerufen am 27.04.2024.