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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
dem Volk hervorgegangen sind und von der Aristokratie beschützt
und gehätschelt werden. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß er-
folgreiche Schriftstellerinnen die Sache der Frauen ihrem eigenen
Ansehen in der Gesellschaft vorziehen werden. Sie hängen in ihren
literarischen wie in ihren Erfolgen als Frauen ganz von den
Männern ab, und sie haben eine so schlechte Meinung von den-
selben, daß sie glauben, unter zehntausend gebe es kaum Einen, der
nicht Kraft, Freimuth oder Furchtlosigkeit bei einem Weibe haßt
und fürchtet. Daher sind sie ängstlich bemüht, durch ein Zurschau-
tragen von Unterwürfigkeit auf diesem Gebiete Verzeihung und
Duldung für alles zu erlangen, was ihre Schriften über andere
Gegenstände etwa von solchen Eigenschaften verrathen mögen; sie
wollen Alltagsmännern keine Gelegenheit geben zu sagen (was
Alltagsmänner unter allen Umständen sagen werden), daß Gelehr-
samkeit unweiblich macht, und daß schriftstellernde Damen wahr-
scheinlich schlechte Hausfrauen sein werden.

Doch genug davon; besonders da die Thatsache, welche den
Anlaß zu diesem Aufsatze bot, es unmöglich macht, die allgemeine
(nur durch individuelle Ausnahmen getrübte) Zufriedenheit der
Frauen mit ihrer untergeordneten Stellung noch länger zu be-
haupten. Jn den Vereinigten Staaten wenigstens giebt es Frauen,
anscheinend in großer Zahl und nunmehr zu gemeinsamer Einwir-
kung auf den öffentlichen Geist vereinigt, welche Gleichheit im
weitesten Sinne des Wortes fordern, und sie fordern durch einen
freimüthigen Appell an den Rechtssinn der Männer, nicht sie erbitten
unter schüchterner Beschwörung ihres Mißvergnügens.

Allein wie andere Volksbewegungen kann auch diese durch die
Fehlschritte ihrer Anhänger ernstlich verzögert werden. Zwar sind,
wenn man den gewöhnlichen Maßstab von Volksversammlungen
anlegt, die Reden bei der Frauenversammlung durch das Ueber-
gewicht des Verständigen über das Phrasenhafte sehr bemerkens-
werth; aber es sind einige Ausnahmen vorgekommen, und Dinge,
in denen es schwer ist einen vernünftigen Sinn zu erkennen, haben
in die Resolutionen Eingang gefunden. So erscheint in der Resolu-
tion, welche die zu Gunsten der Frauen erhobenen Forderungen
aufzählt, nach der Forderung der Gleichheit in Erziehung, in ge-
werblicher Thätigkeit und in politischen Rechten, als ein vierter
Punkt etwas unter dem Namen einer "gesellschaftlichen und geistigen
Vereinigung" und "eines Mediums um die höchsten moralischen
und geistigen Gesichtspunkte der Gerechtigkeit zu vertreten" nebst
anderem ähnlichem Gerede, das nur dazu dient, die Einfachheit
und Verständigkeit der übrigen Forderungen zu beeinträchtigen;

Ueber Frauenemancipation.
dem Volk hervorgegangen sind und von der Aristokratie beschützt
und gehätschelt werden. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß er-
folgreiche Schriftstellerinnen die Sache der Frauen ihrem eigenen
Ansehen in der Gesellschaft vorziehen werden. Sie hängen in ihren
literarischen wie in ihren Erfolgen als Frauen ganz von den
Männern ab, und sie haben eine so schlechte Meinung von den-
selben, daß sie glauben, unter zehntausend gebe es kaum Einen, der
nicht Kraft, Freimuth oder Furchtlosigkeit bei einem Weibe haßt
und fürchtet. Daher sind sie ängstlich bemüht, durch ein Zurschau-
tragen von Unterwürfigkeit auf diesem Gebiete Verzeihung und
Duldung für alles zu erlangen, was ihre Schriften über andere
Gegenstände etwa von solchen Eigenschaften verrathen mögen; sie
wollen Alltagsmännern keine Gelegenheit geben zu sagen (was
Alltagsmänner unter allen Umständen sagen werden), daß Gelehr-
samkeit unweiblich macht, und daß schriftstellernde Damen wahr-
scheinlich schlechte Hausfrauen sein werden.

Doch genug davon; besonders da die Thatsache, welche den
Anlaß zu diesem Aufsatze bot, es unmöglich macht, die allgemeine
(nur durch individuelle Ausnahmen getrübte) Zufriedenheit der
Frauen mit ihrer untergeordneten Stellung noch länger zu be-
haupten. Jn den Vereinigten Staaten wenigstens giebt es Frauen,
anscheinend in großer Zahl und nunmehr zu gemeinsamer Einwir-
kung auf den öffentlichen Geist vereinigt, welche Gleichheit im
weitesten Sinne des Wortes fordern, und sie fordern durch einen
freimüthigen Appell an den Rechtssinn der Männer, nicht sie erbitten
unter schüchterner Beschwörung ihres Mißvergnügens.

Allein wie andere Volksbewegungen kann auch diese durch die
Fehlschritte ihrer Anhänger ernstlich verzögert werden. Zwar sind,
wenn man den gewöhnlichen Maßstab von Volksversammlungen
anlegt, die Reden bei der Frauenversammlung durch das Ueber-
gewicht des Verständigen über das Phrasenhafte sehr bemerkens-
werth; aber es sind einige Ausnahmen vorgekommen, und Dinge,
in denen es schwer ist einen vernünftigen Sinn zu erkennen, haben
in die Resolutionen Eingang gefunden. So erscheint in der Resolu-
tion, welche die zu Gunsten der Frauen erhobenen Forderungen
aufzählt, nach der Forderung der Gleichheit in Erziehung, in ge-
werblicher Thätigkeit und in politischen Rechten, als ein vierter
Punkt etwas unter dem Namen einer „gesellschaftlichen und geistigen
Vereinigung“ und „eines Mediums um die höchsten moralischen
und geistigen Gesichtspunkte der Gerechtigkeit zu vertreten“ nebst
anderem ähnlichem Gerede, das nur dazu dient, die Einfachheit
und Verständigkeit der übrigen Forderungen zu beeinträchtigen;

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[28/0028] Ueber Frauenemancipation. dem Volk hervorgegangen sind und von der Aristokratie beschützt und gehätschelt werden. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß er- folgreiche Schriftstellerinnen die Sache der Frauen ihrem eigenen Ansehen in der Gesellschaft vorziehen werden. Sie hängen in ihren literarischen wie in ihren Erfolgen als Frauen ganz von den Männern ab, und sie haben eine so schlechte Meinung von den- selben, daß sie glauben, unter zehntausend gebe es kaum Einen, der nicht Kraft, Freimuth oder Furchtlosigkeit bei einem Weibe haßt und fürchtet. Daher sind sie ängstlich bemüht, durch ein Zurschau- tragen von Unterwürfigkeit auf diesem Gebiete Verzeihung und Duldung für alles zu erlangen, was ihre Schriften über andere Gegenstände etwa von solchen Eigenschaften verrathen mögen; sie wollen Alltagsmännern keine Gelegenheit geben zu sagen (was Alltagsmänner unter allen Umständen sagen werden), daß Gelehr- samkeit unweiblich macht, und daß schriftstellernde Damen wahr- scheinlich schlechte Hausfrauen sein werden. Doch genug davon; besonders da die Thatsache, welche den Anlaß zu diesem Aufsatze bot, es unmöglich macht, die allgemeine (nur durch individuelle Ausnahmen getrübte) Zufriedenheit der Frauen mit ihrer untergeordneten Stellung noch länger zu be- haupten. Jn den Vereinigten Staaten wenigstens giebt es Frauen, anscheinend in großer Zahl und nunmehr zu gemeinsamer Einwir- kung auf den öffentlichen Geist vereinigt, welche Gleichheit im weitesten Sinne des Wortes fordern, und sie fordern durch einen freimüthigen Appell an den Rechtssinn der Männer, nicht sie erbitten unter schüchterner Beschwörung ihres Mißvergnügens. Allein wie andere Volksbewegungen kann auch diese durch die Fehlschritte ihrer Anhänger ernstlich verzögert werden. Zwar sind, wenn man den gewöhnlichen Maßstab von Volksversammlungen anlegt, die Reden bei der Frauenversammlung durch das Ueber- gewicht des Verständigen über das Phrasenhafte sehr bemerkens- werth; aber es sind einige Ausnahmen vorgekommen, und Dinge, in denen es schwer ist einen vernünftigen Sinn zu erkennen, haben in die Resolutionen Eingang gefunden. So erscheint in der Resolu- tion, welche die zu Gunsten der Frauen erhobenen Forderungen aufzählt, nach der Forderung der Gleichheit in Erziehung, in ge- werblicher Thätigkeit und in politischen Rechten, als ein vierter Punkt etwas unter dem Namen einer „gesellschaftlichen und geistigen Vereinigung“ und „eines Mediums um die höchsten moralischen und geistigen Gesichtspunkte der Gerechtigkeit zu vertreten“ nebst anderem ähnlichem Gerede, das nur dazu dient, die Einfachheit und Verständigkeit der übrigen Forderungen zu beeinträchtigen;

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/28>, abgerufen am 28.04.2024.