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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
dieselben begehren, dieß auch aussprechen werden. Jhre Lage
gleicht jener von Pächtern oder Arbeitern, welche gegen ihre
eigenen Jnteressen stimmen, ihrem Gutsherrn oder Arbeitsgeber
zu Gefallen; wozu noch der ganz eigenartige Umstand tritt, daß
ihnen Unterwürfigkeit von Jugend auf als besonderer Reiz und
Zierde ihres Wesens eingeschärft wurde. Sie sind gelehrt worden
zu denken, daß die thätige Zurückweisung selbst eines ihnen an-
gethanen, offenkundigen Unrechtes einigermaßen unweiblich ist und
besser einem männlichen Freund oder Beschützer überlassen bleibt.
Die Auflehnung gegen irgend etwas, was man eine Einrichtung
der Gesellschaft nennen kann, haben sie als ein ernstes Vergehen
zum mindesten gegen die Anstandsregeln ihres Geschlechtes be-
trachten und meiden gelernt. Es erfordert ungewöhnlichen mora-
lischen Muth und Uneigennützigkeit bei einer Frau, um sich zu
Gunsten der Emancipation der Frauen auszusprechen, so lange
wenigstens, bis einige Aussicht auf Erfolg vorhanden ist. Die
Annehmlichkeit ihres eigenen Lebens und ihr Ansehen in der Ge-
sellschaft hängt gewöhnlich von dem Wohlwollen derjenigen ab,
welche sich im Besitze der rechtswidrigen Macht befinden; und
Machthabern erscheint keine noch so bittere Klage über den
Mißbrauch ihrer Gewalt als ein ebenso schreiender Act der
Widersetzlichkeit wie eine Anfechtung dieser Macht selbst. Die
diesbezüglichen Bekenntnisse der Frauen erinnern uns an die Hoch-
verräther der alten Zeiten, welche unmittelbar vor der Hinrichtung
ihre Liebe und Hingebung für den Fürsten zu betheuern pflegten,
durch dessen Ungerechtigkeit sie zu leiden hatten. Die Reden,
welche Shakespeare den männlichen Opfern königlicher Laune und
Tyrannei in den Mund legt, z. B. dem Herzog von Buckingham
und selbst Wolsey in Heinrich VIII., halten den Vergleich mit
denen einer Griseldis aus. Die Schriftstellerinnen von Beruf,
besonders jene in England, beeifern sich jeden Wunsch nach Gleich-
stellung oder nach den Bürgerrechten geflissentlich zu verleugnen
und ihre volle Zufriedenheit mit der Stellung, welche ihnen die
Gesellschaft anweist, zu verkünden; sie üben darin, wie in mancher
anderen Hinsicht, einen höchst ungünstigen Einfluß auf die Ge-
fühle und Ansichten der Männer aus, welche diese Speichelleckerei
arglos als Zugeständnisse an die Macht der Wahrheit ansehen,
ohne zu überlegen, daß es im persönlichen Jnteresse dieser Frauen
liegt, keine anderen Meinungen auszusprechen, als solche, von
denen sie hoffen können, daß sie den Männern genehm sein
werden. Wir werden die Führer einer demokratischen Bewegung
nicht gerade unter jenen Männern von Talent suchen, die aus

Ueber Frauenemancipation.
dieselben begehren, dieß auch aussprechen werden. Jhre Lage
gleicht jener von Pächtern oder Arbeitern, welche gegen ihre
eigenen Jnteressen stimmen, ihrem Gutsherrn oder Arbeitsgeber
zu Gefallen; wozu noch der ganz eigenartige Umstand tritt, daß
ihnen Unterwürfigkeit von Jugend auf als besonderer Reiz und
Zierde ihres Wesens eingeschärft wurde. Sie sind gelehrt worden
zu denken, daß die thätige Zurückweisung selbst eines ihnen an-
gethanen, offenkundigen Unrechtes einigermaßen unweiblich ist und
besser einem männlichen Freund oder Beschützer überlassen bleibt.
Die Auflehnung gegen irgend etwas, was man eine Einrichtung
der Gesellschaft nennen kann, haben sie als ein ernstes Vergehen
zum mindesten gegen die Anstandsregeln ihres Geschlechtes be-
trachten und meiden gelernt. Es erfordert ungewöhnlichen mora-
lischen Muth und Uneigennützigkeit bei einer Frau, um sich zu
Gunsten der Emancipation der Frauen auszusprechen, so lange
wenigstens, bis einige Aussicht auf Erfolg vorhanden ist. Die
Annehmlichkeit ihres eigenen Lebens und ihr Ansehen in der Ge-
sellschaft hängt gewöhnlich von dem Wohlwollen derjenigen ab,
welche sich im Besitze der rechtswidrigen Macht befinden; und
Machthabern erscheint keine noch so bittere Klage über den
Mißbrauch ihrer Gewalt als ein ebenso schreiender Act der
Widersetzlichkeit wie eine Anfechtung dieser Macht selbst. Die
diesbezüglichen Bekenntnisse der Frauen erinnern uns an die Hoch-
verräther der alten Zeiten, welche unmittelbar vor der Hinrichtung
ihre Liebe und Hingebung für den Fürsten zu betheuern pflegten,
durch dessen Ungerechtigkeit sie zu leiden hatten. Die Reden,
welche Shakespeare den männlichen Opfern königlicher Laune und
Tyrannei in den Mund legt, z. B. dem Herzog von Buckingham
und selbst Wolsey in Heinrich VIII., halten den Vergleich mit
denen einer Griseldis aus. Die Schriftstellerinnen von Beruf,
besonders jene in England, beeifern sich jeden Wunsch nach Gleich-
stellung oder nach den Bürgerrechten geflissentlich zu verleugnen
und ihre volle Zufriedenheit mit der Stellung, welche ihnen die
Gesellschaft anweist, zu verkünden; sie üben darin, wie in mancher
anderen Hinsicht, einen höchst ungünstigen Einfluß auf die Ge-
fühle und Ansichten der Männer aus, welche diese Speichelleckerei
arglos als Zugeständnisse an die Macht der Wahrheit ansehen,
ohne zu überlegen, daß es im persönlichen Jnteresse dieser Frauen
liegt, keine anderen Meinungen auszusprechen, als solche, von
denen sie hoffen können, daß sie den Männern genehm sein
werden. Wir werden die Führer einer demokratischen Bewegung
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[27/0027] Ueber Frauenemancipation. dieselben begehren, dieß auch aussprechen werden. Jhre Lage gleicht jener von Pächtern oder Arbeitern, welche gegen ihre eigenen Jnteressen stimmen, ihrem Gutsherrn oder Arbeitsgeber zu Gefallen; wozu noch der ganz eigenartige Umstand tritt, daß ihnen Unterwürfigkeit von Jugend auf als besonderer Reiz und Zierde ihres Wesens eingeschärft wurde. Sie sind gelehrt worden zu denken, daß die thätige Zurückweisung selbst eines ihnen an- gethanen, offenkundigen Unrechtes einigermaßen unweiblich ist und besser einem männlichen Freund oder Beschützer überlassen bleibt. Die Auflehnung gegen irgend etwas, was man eine Einrichtung der Gesellschaft nennen kann, haben sie als ein ernstes Vergehen zum mindesten gegen die Anstandsregeln ihres Geschlechtes be- trachten und meiden gelernt. Es erfordert ungewöhnlichen mora- lischen Muth und Uneigennützigkeit bei einer Frau, um sich zu Gunsten der Emancipation der Frauen auszusprechen, so lange wenigstens, bis einige Aussicht auf Erfolg vorhanden ist. Die Annehmlichkeit ihres eigenen Lebens und ihr Ansehen in der Ge- sellschaft hängt gewöhnlich von dem Wohlwollen derjenigen ab, welche sich im Besitze der rechtswidrigen Macht befinden; und Machthabern erscheint keine noch so bittere Klage über den Mißbrauch ihrer Gewalt als ein ebenso schreiender Act der Widersetzlichkeit wie eine Anfechtung dieser Macht selbst. Die diesbezüglichen Bekenntnisse der Frauen erinnern uns an die Hoch- verräther der alten Zeiten, welche unmittelbar vor der Hinrichtung ihre Liebe und Hingebung für den Fürsten zu betheuern pflegten, durch dessen Ungerechtigkeit sie zu leiden hatten. Die Reden, welche Shakespeare den männlichen Opfern königlicher Laune und Tyrannei in den Mund legt, z. B. dem Herzog von Buckingham und selbst Wolsey in Heinrich VIII., halten den Vergleich mit denen einer Griseldis aus. Die Schriftstellerinnen von Beruf, besonders jene in England, beeifern sich jeden Wunsch nach Gleich- stellung oder nach den Bürgerrechten geflissentlich zu verleugnen und ihre volle Zufriedenheit mit der Stellung, welche ihnen die Gesellschaft anweist, zu verkünden; sie üben darin, wie in mancher anderen Hinsicht, einen höchst ungünstigen Einfluß auf die Ge- fühle und Ansichten der Männer aus, welche diese Speichelleckerei arglos als Zugeständnisse an die Macht der Wahrheit ansehen, ohne zu überlegen, daß es im persönlichen Jnteresse dieser Frauen liegt, keine anderen Meinungen auszusprechen, als solche, von denen sie hoffen können, daß sie den Männern genehm sein werden. Wir werden die Führer einer demokratischen Bewegung nicht gerade unter jenen Männern von Talent suchen, die aus

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Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-07-09T17:21:46Z)

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/27>, abgerufen am 27.04.2024.