Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

VIII. Ausschließlichkeit -- Befürchtungen.
Pflicht zugleich der Hauptreiz und der bleibendste Gewinn der
ganzen Reise wäre? -- Selbst Reisende, welche hohe, ernste
Zwecke verfolgen, die ihnen sehr am Herzen liegen -- mit
einem und dem andren Manne dieses Schlags hatte ich im
Laufe meiner Wanderjahre das Glück, bekannt zu werden,
und entsinne mich mancher darauf hinausgehenden Aeußerung,
aber keiner entgegengesetzten -- dürfen, wenn anders sie sich
frisch erhalten wollen, die Ausschließlichkeit nicht so weit trei-
ben, daß sie weder Zeit noch Sinn übrig behalten für ge-
selligen Umgang. Deshalb machte ich zu jenem allgemeinen
Satze die einschränkende Parenthese: "bis zu einer gewissen
Grenze".

Hier fiel Eduard ein: Camerad, ich beschwöre Sie,
predigen Sie in Ihrem Buche nicht derlei gefährliche Fourie-
ristische Schwärmereien, man ist sonst trotz allen Parenthesen
nirgend mehr sicher vor Zudringlichkeiten und freundschaft-
lichen Ansprachen, das goldene Zeitalter der Taschendiebe,
Schuldenmacher, Schwindler und Schwätzer bricht an und
die Sprechruhr aus in Waggons, Wäldern und Feldern,
die Gletscher zerfließen vor lauter Wärmeentwickelung -- --

-- Es freut mich, Säugling, daß Du meinen Lehren
und Deines Milchbruders Beredtsamkeit so viele Geistes-
macht und Ueberzeugungskraft zutraust. Vorläufig beruhige
Dich indeß nur. Die Naturgesetze der Anziehung und Ab-
stoßung, der Affinität etc., nationaler und individueller Ab-
stammung und Artung werden sich immer noch hinlänglich
geltend machen. Mein gelehriger Adoptivsohn wird auch ge-
wiß nicht mißverstanden haben, was von alledem meine
ernstliche Ueberzeugung und was nur scherzhafte Zuthat ist.

-- Verehrter Meister, sagte ich schüchtern, tausend Dank
für Ihre gute Meinung, ich bitte aber doch um die Erlaub-
niß, unser heutiges Gespräch gedruckt mittheilen zu dür-
fen, damit nicht die volle Last der Verantwortlichkeit auf
mich fällt.

-- Thun Sie das getrost, mein schüchterner Freund.

VIII. Ausſchließlichkeit — Befürchtungen.
Pflicht zugleich der Hauptreiz und der bleibendſte Gewinn der
ganzen Reiſe wäre? — Selbſt Reiſende, welche hohe, ernſte
Zwecke verfolgen, die ihnen ſehr am Herzen liegen — mit
einem und dem andren Manne dieſes Schlags hatte ich im
Laufe meiner Wanderjahre das Glück, bekannt zu werden,
und entſinne mich mancher darauf hinausgehenden Aeußerung,
aber keiner entgegengeſetzten — dürfen, wenn anders ſie ſich
friſch erhalten wollen, die Ausſchließlichkeit nicht ſo weit trei-
ben, daß ſie weder Zeit noch Sinn übrig behalten für ge-
ſelligen Umgang. Deshalb machte ich zu jenem allgemeinen
Satze die einſchränkende Parentheſe: „bis zu einer gewiſſen
Grenze“.

Hier fiel Eduard ein: Camerad, ich beſchwöre Sie,
predigen Sie in Ihrem Buche nicht derlei gefährliche Fourie-
riſtiſche Schwärmereien, man iſt ſonſt trotz allen Parentheſen
nirgend mehr ſicher vor Zudringlichkeiten und freundſchaft-
lichen Anſprachen, das goldene Zeitalter der Taſchendiebe,
Schuldenmacher, Schwindler und Schwätzer bricht an und
die Sprechruhr aus in Waggons, Wäldern und Feldern,
die Gletſcher zerfließen vor lauter Wärmeentwickelung — —

— Es freut mich, Säugling, daß Du meinen Lehren
und Deines Milchbruders Beredtſamkeit ſo viele Geiſtes-
macht und Ueberzeugungskraft zutrauſt. Vorläufig beruhige
Dich indeß nur. Die Naturgeſetze der Anziehung und Ab-
ſtoßung, der Affinität ꝛc., nationaler und individueller Ab-
ſtammung und Artung werden ſich immer noch hinlänglich
geltend machen. Mein gelehriger Adoptivſohn wird auch ge-
wiß nicht mißverſtanden haben, was von alledem meine
ernſtliche Ueberzeugung und was nur ſcherzhafte Zuthat iſt.

— Verehrter Meiſter, ſagte ich ſchüchtern, tauſend Dank
für Ihre gute Meinung, ich bitte aber doch um die Erlaub-
niß, unſer heutiges Geſpräch gedruckt mittheilen zu dür-
fen, damit nicht die volle Laſt der Verantwortlichkeit auf
mich fällt.

— Thun Sie das getroſt, mein ſchüchterner Freund.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0280" n="266"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Aus&#x017F;chließlichkeit &#x2014; Befürchtungen.</fw><lb/>
Pflicht zugleich der Hauptreiz und der bleibend&#x017F;te Gewinn der<lb/>
ganzen Rei&#x017F;e wäre? &#x2014; Selb&#x017F;t Rei&#x017F;ende, welche hohe, ern&#x017F;te<lb/>
Zwecke verfolgen, die ihnen &#x017F;ehr am Herzen liegen &#x2014; mit<lb/>
einem und dem andren Manne die&#x017F;es Schlags hatte ich im<lb/>
Laufe meiner Wanderjahre das Glück, bekannt zu werden,<lb/>
und ent&#x017F;inne mich mancher darauf hinausgehenden Aeußerung,<lb/>
aber keiner entgegenge&#x017F;etzten &#x2014; dürfen, wenn anders &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
fri&#x017F;ch erhalten wollen, die Aus&#x017F;chließlichkeit nicht &#x017F;o weit trei-<lb/>
ben, daß &#x017F;ie weder Zeit noch Sinn übrig behalten für ge-<lb/>
&#x017F;elligen Umgang. Deshalb machte ich zu jenem allgemeinen<lb/>
Satze die ein&#x017F;chränkende Parenthe&#x017F;e: &#x201E;bis zu einer gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Grenze&#x201C;.</p><lb/>
        <p>Hier fiel <hi rendition="#g"><persName ref="nognd">Eduard</persName></hi> ein: Camerad, ich be&#x017F;chwöre Sie,<lb/>
predigen Sie in Ihrem Buche nicht derlei gefährliche Fourie-<lb/>
ri&#x017F;ti&#x017F;che Schwärmereien, man i&#x017F;t &#x017F;on&#x017F;t trotz allen Parenthe&#x017F;en<lb/>
nirgend mehr &#x017F;icher vor Zudringlichkeiten und freund&#x017F;chaft-<lb/>
lichen An&#x017F;prachen, das goldene Zeitalter der Ta&#x017F;chendiebe,<lb/>
Schuldenmacher, Schwindler und Schwätzer bricht an und<lb/>
die Sprechruhr aus in Waggons, Wäldern und Feldern,<lb/>
die Glet&#x017F;cher zerfließen vor lauter Wärmeentwickelung &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x2014; Es freut mich, Säugling, daß Du meinen Lehren<lb/>
und Deines Milchbruders Beredt&#x017F;amkeit &#x017F;o viele Gei&#x017F;tes-<lb/>
macht und Ueberzeugungskraft zutrau&#x017F;t. Vorläufig beruhige<lb/>
Dich indeß nur. Die Naturge&#x017F;etze der Anziehung und Ab-<lb/>
&#x017F;toßung, der Affinität &#xA75B;c., nationaler und individueller Ab-<lb/>
&#x017F;tammung und Artung werden &#x017F;ich immer noch hinlänglich<lb/>
geltend machen. Mein gelehriger Adoptiv&#x017F;ohn wird auch ge-<lb/>
wiß nicht mißver&#x017F;tanden haben, was von alledem meine<lb/>
ern&#x017F;tliche Ueberzeugung und was nur &#x017F;cherzhafte Zuthat i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>&#x2014; Verehrter Mei&#x017F;ter, &#x017F;agte ich &#x017F;chüchtern, tau&#x017F;end Dank<lb/>
für Ihre gute Meinung, ich bitte aber doch um die Erlaub-<lb/>
niß, un&#x017F;er heutiges Ge&#x017F;präch gedruckt mittheilen zu dür-<lb/>
fen, damit nicht die volle La&#x017F;t der Verantwortlichkeit auf<lb/>
mich fällt.</p><lb/>
        <p>&#x2014; Thun Sie das getro&#x017F;t, mein &#x017F;chüchterner Freund.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0280] VIII. Ausſchließlichkeit — Befürchtungen. Pflicht zugleich der Hauptreiz und der bleibendſte Gewinn der ganzen Reiſe wäre? — Selbſt Reiſende, welche hohe, ernſte Zwecke verfolgen, die ihnen ſehr am Herzen liegen — mit einem und dem andren Manne dieſes Schlags hatte ich im Laufe meiner Wanderjahre das Glück, bekannt zu werden, und entſinne mich mancher darauf hinausgehenden Aeußerung, aber keiner entgegengeſetzten — dürfen, wenn anders ſie ſich friſch erhalten wollen, die Ausſchließlichkeit nicht ſo weit trei- ben, daß ſie weder Zeit noch Sinn übrig behalten für ge- ſelligen Umgang. Deshalb machte ich zu jenem allgemeinen Satze die einſchränkende Parentheſe: „bis zu einer gewiſſen Grenze“. Hier fiel Eduard ein: Camerad, ich beſchwöre Sie, predigen Sie in Ihrem Buche nicht derlei gefährliche Fourie- riſtiſche Schwärmereien, man iſt ſonſt trotz allen Parentheſen nirgend mehr ſicher vor Zudringlichkeiten und freundſchaft- lichen Anſprachen, das goldene Zeitalter der Taſchendiebe, Schuldenmacher, Schwindler und Schwätzer bricht an und die Sprechruhr aus in Waggons, Wäldern und Feldern, die Gletſcher zerfließen vor lauter Wärmeentwickelung — — — Es freut mich, Säugling, daß Du meinen Lehren und Deines Milchbruders Beredtſamkeit ſo viele Geiſtes- macht und Ueberzeugungskraft zutrauſt. Vorläufig beruhige Dich indeß nur. Die Naturgeſetze der Anziehung und Ab- ſtoßung, der Affinität ꝛc., nationaler und individueller Ab- ſtammung und Artung werden ſich immer noch hinlänglich geltend machen. Mein gelehriger Adoptivſohn wird auch ge- wiß nicht mißverſtanden haben, was von alledem meine ernſtliche Ueberzeugung und was nur ſcherzhafte Zuthat iſt. — Verehrter Meiſter, ſagte ich ſchüchtern, tauſend Dank für Ihre gute Meinung, ich bitte aber doch um die Erlaub- niß, unſer heutiges Geſpräch gedruckt mittheilen zu dür- fen, damit nicht die volle Laſt der Verantwortlichkeit auf mich fällt. — Thun Sie das getroſt, mein ſchüchterner Freund.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/280
Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/280>, abgerufen am 15.05.2024.