Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.VIII. Die Reise ein Maskenball -- Zwiegespräche. Die Leser, an welche sich unser Buch vorzugsweise wendet,werden nicht in Mißverständnisse fallen, uns z. B. auch nicht zutrauen, daß wir für die gesellige Annäherung Grundsätze aufstellen wollen, als deren Vertreter Weinreisende und Stubenfliegen gelten können. -- Ich verglich die Reise einem Maskenball. Am liebsten trete ich in leichtem Domino auf, um volle Freiheit der Action zu haben. Eine Kunst, die ich eifrig übe, ist die Demaskirung. Harlekinen gegenüber ver- halte ich mich abwartend, lasse mich aber eine Weile necken und kehre ihnen erst den Rücken, wenn ich merke, daß, was ich für Maske hielt, ihr Fleisch und Blut ist und daß sie ein ernsthaftes Gesicht weder haben noch sehen mögen. Bei Charaktermasken und andren Dominos klopfe ich nicht selten leise an, warte, bis es ihnen beliebt, die Larve abzuwerfen, und thue dann entweder ein Gleiches oder wandre fürbaß, je nachdem mir ihr wahres Antlitz gefällt. Der Tourist braucht, wie schon angedeutet, nicht so vorsichtig zu sein, als der Cur- gast, denn er hat nicht so lange als dieser für Fehlgriffe zu büßen. Einen Unterschied mache ich zwischen großen touristi- schen Sammelplätzen und Luxusbädern einerseits und ent- legenen, wenig besuchten Reisegebieten und kleinen Curorten andererseits: die Ersteren sehe ich wie öffentliche Maskeraden an, wo man auf Alles und Jedes gefaßt sein muß, vermeide die Initiative, so lange nicht besonders günstiger Anlaß vor- handen; die Letzteren dagegen betrachte ich wie Privatbälle und behandle Jeden, der mir nahe kommt, nicht als wild- fremde gleichgiltige Person, sondern etwa so, wie ein Mit- glied einer geschlossenen Gesellschaft oder eines Vereins inner- halb desselben Jemanden begegnen würde, der zwar fremd scheint, aber doch möglicherweise von einem seiner Freunde eingeführt ist, wenigstens muthmaßlich nicht unter die Leute gehört, die wir grundsätzlich meiden. Selten gehe ich an Gruppen oder Paare heran, desto häufiger an Einzelne, über- haupt ziehe ich das Zwiegespräch der Unterhaltung in größeren Kreisen vor, denn daß die letzteren der Geselligkeit VIII. Die Reiſe ein Maskenball — Zwiegeſpräche. Die Leſer, an welche ſich unſer Buch vorzugsweiſe wendet,werden nicht in Mißverſtändniſſe fallen, uns z. B. auch nicht zutrauen, daß wir für die geſellige Annäherung Grundſätze aufſtellen wollen, als deren Vertreter Weinreiſende und Stubenfliegen gelten können. — Ich verglich die Reiſe einem Maskenball. Am liebſten trete ich in leichtem Domino auf, um volle Freiheit der Action zu haben. Eine Kunſt, die ich eifrig übe, iſt die Demaskirung. Harlekinen gegenüber ver- halte ich mich abwartend, laſſe mich aber eine Weile necken und kehre ihnen erſt den Rücken, wenn ich merke, daß, was ich für Maske hielt, ihr Fleiſch und Blut iſt und daß ſie ein ernſthaftes Geſicht weder haben noch ſehen mögen. Bei Charaktermasken und andren Dominos klopfe ich nicht ſelten leiſe an, warte, bis es ihnen beliebt, die Larve abzuwerfen, und thue dann entweder ein Gleiches oder wandre fürbaß, je nachdem mir ihr wahres Antlitz gefällt. Der Touriſt braucht, wie ſchon angedeutet, nicht ſo vorſichtig zu ſein, als der Cur- gaſt, denn er hat nicht ſo lange als dieſer für Fehlgriffe zu büßen. Einen Unterſchied mache ich zwiſchen großen touriſti- ſchen Sammelplätzen und Luxusbädern einerſeits und ent- legenen, wenig beſuchten Reiſegebieten und kleinen Curorten andererſeits: die Erſteren ſehe ich wie öffentliche Maskeraden an, wo man auf Alles und Jedes gefaßt ſein muß, vermeide die Initiative, ſo lange nicht beſonders günſtiger Anlaß vor- handen; die Letzteren dagegen betrachte ich wie Privatbälle und behandle Jeden, der mir nahe kommt, nicht als wild- fremde gleichgiltige Perſon, ſondern etwa ſo, wie ein Mit- glied einer geſchloſſenen Geſellſchaft oder eines Vereins inner- halb deſſelben Jemanden begegnen würde, der zwar fremd ſcheint, aber doch möglicherweiſe von einem ſeiner Freunde eingeführt iſt, wenigſtens muthmaßlich nicht unter die Leute gehört, die wir grundſätzlich meiden. Selten gehe ich an Gruppen oder Paare heran, deſto häufiger an Einzelne, über- haupt ziehe ich das Zwiegeſpräch der Unterhaltung in größeren Kreiſen vor, denn daß die letzteren der Geſelligkeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0281" n="267"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Die Reiſe ein Maskenball — Zwiegeſpräche.</fw><lb/> Die Leſer, an welche ſich unſer Buch vorzugsweiſe wendet,<lb/> werden nicht in Mißverſtändniſſe fallen, uns z. B. auch nicht<lb/> zutrauen, daß wir für die geſellige Annäherung Grundſätze<lb/> aufſtellen wollen, als deren Vertreter Weinreiſende und<lb/> Stubenfliegen gelten können. — Ich verglich die Reiſe einem<lb/> Maskenball. Am liebſten trete ich in leichtem Domino auf,<lb/> um volle Freiheit der Action zu haben. Eine Kunſt, die ich<lb/> eifrig übe, iſt die Demaskirung. 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VIII. Die Reiſe ein Maskenball — Zwiegeſpräche.
Die Leſer, an welche ſich unſer Buch vorzugsweiſe wendet,
werden nicht in Mißverſtändniſſe fallen, uns z. B. auch nicht
zutrauen, daß wir für die geſellige Annäherung Grundſätze
aufſtellen wollen, als deren Vertreter Weinreiſende und
Stubenfliegen gelten können. — Ich verglich die Reiſe einem
Maskenball. Am liebſten trete ich in leichtem Domino auf,
um volle Freiheit der Action zu haben. Eine Kunſt, die ich
eifrig übe, iſt die Demaskirung. Harlekinen gegenüber ver-
halte ich mich abwartend, laſſe mich aber eine Weile necken
und kehre ihnen erſt den Rücken, wenn ich merke, daß, was
ich für Maske hielt, ihr Fleiſch und Blut iſt und daß ſie ein
ernſthaftes Geſicht weder haben noch ſehen mögen. Bei
Charaktermasken und andren Dominos klopfe ich nicht ſelten
leiſe an, warte, bis es ihnen beliebt, die Larve abzuwerfen,
und thue dann entweder ein Gleiches oder wandre fürbaß, je
nachdem mir ihr wahres Antlitz gefällt. Der Touriſt braucht,
wie ſchon angedeutet, nicht ſo vorſichtig zu ſein, als der Cur-
gaſt, denn er hat nicht ſo lange als dieſer für Fehlgriffe zu
büßen. Einen Unterſchied mache ich zwiſchen großen touriſti-
ſchen Sammelplätzen und Luxusbädern einerſeits und ent-
legenen, wenig beſuchten Reiſegebieten und kleinen Curorten
andererſeits: die Erſteren ſehe ich wie öffentliche Maskeraden
an, wo man auf Alles und Jedes gefaßt ſein muß, vermeide
die Initiative, ſo lange nicht beſonders günſtiger Anlaß vor-
handen; die Letzteren dagegen betrachte ich wie Privatbälle
und behandle Jeden, der mir nahe kommt, nicht als wild-
fremde gleichgiltige Perſon, ſondern etwa ſo, wie ein Mit-
glied einer geſchloſſenen Geſellſchaft oder eines Vereins inner-
halb deſſelben Jemanden begegnen würde, der zwar fremd
ſcheint, aber doch möglicherweiſe von einem ſeiner Freunde
eingeführt iſt, wenigſtens muthmaßlich nicht unter die Leute
gehört, die wir grundſätzlich meiden. Selten gehe ich an
Gruppen oder Paare heran, deſto häufiger an Einzelne, über-
haupt ziehe ich das Zwiegeſpräch der Unterhaltung in
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