Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.VIII. Sammler und Sammlungen -- Excerpte. Gegenständen ist nicht die Hauptsache, sondern der eigentlicheReiz beruht im Aufspüren, Erlegen, Erlangen. Es gibt leidenschaftliche Jäger, die kein Wildpret, und Angler, die keine Fische essen. Ein großer Freund der Wahrheit, Lessing, bekannte, daß ihm das Suchen und Streben danach lieber sei, als die Wahrheit selbst. Findet sich nicht gleich etwas von besonderer Anziehungskraft, so werde mit dem ersten Besten angefangen, der Appetit kommt vielleicht im Essen. Zuletzt läuft ja alles Lernen auf Sammeln hinaus. Wer eine Reise- schilderung schreiben will, sammelt Beobachtungen nebst seinen Gedanken und Empfindungen dabei, richtet seine Aufmerk- samkeit auf alles, was dafür brauchbar scheint, und verhält sich gleichgiltig oder abwehrend gegen das Uebrige. Ich kenne einen alten Herrn, der seit Langem sich mit In einer Winterpension waren verschiedene literarische VIII. Sammler und Sammlungen — Excerpte. Gegenſtänden iſt nicht die Hauptſache, ſondern der eigentlicheReiz beruht im Aufſpüren, Erlegen, Erlangen. Es gibt leidenſchaftliche Jäger, die kein Wildpret, und Angler, die keine Fiſche eſſen. Ein großer Freund der Wahrheit, Leſſing, bekannte, daß ihm das Suchen und Streben danach lieber ſei, als die Wahrheit ſelbſt. Findet ſich nicht gleich etwas von beſonderer Anziehungskraft, ſo werde mit dem erſten Beſten angefangen, der Appetit kommt vielleicht im Eſſen. Zuletzt läuft ja alles Lernen auf Sammeln hinaus. Wer eine Reiſe- ſchilderung ſchreiben will, ſammelt Beobachtungen nebſt ſeinen Gedanken und Empfindungen dabei, richtet ſeine Aufmerk- ſamkeit auf alles, was dafür brauchbar ſcheint, und verhält ſich gleichgiltig oder abwehrend gegen das Uebrige. Ich kenne einen alten Herrn, der ſeit Langem ſich mit In einer Winterpenſion waren verſchiedene literariſche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0270" n="256"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Sammler und Sammlungen — Excerpte.</fw><lb/> Gegenſtänden iſt nicht die Hauptſache, ſondern der eigentliche<lb/> Reiz beruht im Aufſpüren, Erlegen, Erlangen. Es gibt<lb/> leidenſchaftliche Jäger, die kein Wildpret, und Angler, die<lb/> keine Fiſche eſſen. Ein großer Freund der Wahrheit, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118572121">Leſſing</persName>,<lb/> bekannte, daß ihm das Suchen und Streben danach lieber ſei,<lb/> als die Wahrheit ſelbſt. Findet ſich nicht gleich etwas von<lb/> beſonderer Anziehungskraft, ſo werde mit dem erſten Beſten<lb/> angefangen, der Appetit kommt vielleicht im Eſſen. Zuletzt<lb/> läuft ja alles Lernen auf Sammeln hinaus. Wer eine Reiſe-<lb/> ſchilderung ſchreiben will, ſammelt Beobachtungen nebſt ſeinen<lb/> Gedanken und Empfindungen dabei, richtet ſeine Aufmerk-<lb/> ſamkeit auf alles, was dafür brauchbar ſcheint, und verhält<lb/> ſich gleichgiltig oder abwehrend gegen das Uebrige.</p><lb/> <p>Ich kenne einen alten Herrn, der ſeit Langem ſich mit<lb/> engliſcher und deutſcher Literatur beſchäftigt, vorzüglich in<lb/> der Abſicht, darin nach Schilderungen von Landſchaften zu<lb/> ſuchen. Was er der Art findet, ſchreibt er aus, ordnet und<lb/> gruppirt die Bruchſtücke nach ſeinem Sinne, nimmt die ganze<lb/> Collection mit auf jede ſeiner Reiſen und verſichert, daß alle<lb/> Naturſcenen, welche die Wirklichkeit ihm vorführt, ihn an<lb/> dieſen oder jenen Theil ſeiner Sammlung, und umgekehrt<lb/> jeder Theil derſelben, den er zu Hauſe lieſt, an genoſſene<lb/> Naturſchönheiten in der anregendſten Weiſe erinnere. Ge-<lb/> wiſſermaßen, ſagt er, habe ich mir Poetenaugen geborgt,<lb/> die immer mit meinen Herzensempfindungen im Einklang<lb/> ſind, weil ich jene mir nach dieſen ausſuchen kann, während<lb/> ich mich über die Citate in den Büchern, welche mir ſo oft<lb/> „Gefühlsrecepte“ aufdrängen wollen, meiſtens ärgere.</p><lb/> <p>In einer Winterpenſion waren verſchiedene literariſche<lb/> Excerpte unter den Damen Mode geworden und dieſe ver-<lb/> fuhren mit ihnen, wie Damen mit Moden verfahren, ſehr<lb/> ernſt und eifrig. Eine ſammelte „Lichtſtrahlen“ über Muſik,<lb/> eine andere über bildende Kunſt, eine dritte charakteriſtiſche<lb/> Ausſprüche über Dichter, eine vierte im Gebiete der Religion<lb/> und Pſychologie, alle behandelten jedoch ihre Schätze ohne<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [256/0270]
VIII. Sammler und Sammlungen — Excerpte.
Gegenſtänden iſt nicht die Hauptſache, ſondern der eigentliche
Reiz beruht im Aufſpüren, Erlegen, Erlangen. Es gibt
leidenſchaftliche Jäger, die kein Wildpret, und Angler, die
keine Fiſche eſſen. Ein großer Freund der Wahrheit, Leſſing,
bekannte, daß ihm das Suchen und Streben danach lieber ſei,
als die Wahrheit ſelbſt. Findet ſich nicht gleich etwas von
beſonderer Anziehungskraft, ſo werde mit dem erſten Beſten
angefangen, der Appetit kommt vielleicht im Eſſen. Zuletzt
läuft ja alles Lernen auf Sammeln hinaus. Wer eine Reiſe-
ſchilderung ſchreiben will, ſammelt Beobachtungen nebſt ſeinen
Gedanken und Empfindungen dabei, richtet ſeine Aufmerk-
ſamkeit auf alles, was dafür brauchbar ſcheint, und verhält
ſich gleichgiltig oder abwehrend gegen das Uebrige.
Ich kenne einen alten Herrn, der ſeit Langem ſich mit
engliſcher und deutſcher Literatur beſchäftigt, vorzüglich in
der Abſicht, darin nach Schilderungen von Landſchaften zu
ſuchen. Was er der Art findet, ſchreibt er aus, ordnet und
gruppirt die Bruchſtücke nach ſeinem Sinne, nimmt die ganze
Collection mit auf jede ſeiner Reiſen und verſichert, daß alle
Naturſcenen, welche die Wirklichkeit ihm vorführt, ihn an
dieſen oder jenen Theil ſeiner Sammlung, und umgekehrt
jeder Theil derſelben, den er zu Hauſe lieſt, an genoſſene
Naturſchönheiten in der anregendſten Weiſe erinnere. Ge-
wiſſermaßen, ſagt er, habe ich mir Poetenaugen geborgt,
die immer mit meinen Herzensempfindungen im Einklang
ſind, weil ich jene mir nach dieſen ausſuchen kann, während
ich mich über die Citate in den Büchern, welche mir ſo oft
„Gefühlsrecepte“ aufdrängen wollen, meiſtens ärgere.
In einer Winterpenſion waren verſchiedene literariſche
Excerpte unter den Damen Mode geworden und dieſe ver-
fuhren mit ihnen, wie Damen mit Moden verfahren, ſehr
ernſt und eifrig. Eine ſammelte „Lichtſtrahlen“ über Muſik,
eine andere über bildende Kunſt, eine dritte charakteriſtiſche
Ausſprüche über Dichter, eine vierte im Gebiete der Religion
und Pſychologie, alle behandelten jedoch ihre Schätze ohne
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