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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VIII. Eitelkeits- und Phantasietouristen -- Poesie der Reise.
ihn, wenn er schließlich Gewinn und Verlust berechnet, starkes
Deficit finden, denn alle Ermahnungen der Reiseschule ver-
mögen nichts gegen die liebe Eitelkeit, die schlaue Gauklerin,
die ihre Prospecte eben so trügerisch zu fassen versteht, wie
gewisse industrielle Speculanten. Auch mit jenen Phantasie-
touristen haben wir nichts zu schaffen, welche in einem ver-
steckten Nestchen, etwa im Odenwald oder Fichtelgebirge,
einen Sommer zubringen, dort sich dem Studium einiger
Reisewerke widmen, dann zurückkehren und von den Welt-
fahrten erzählen, die -- ihre Einbildungskraft gemacht hat.
In einer mitteldeutschen Residenz war ich einst Zeuge, wie
ein derartiges Lügengewebe, das über eine ganze Gesellschaft
geworfen war und lange festgehalten hatte, plötzlich sich um-
kehrte, über den Erzähler fiel und ihn in einer so lächerlichen
Positur zeigte, daß er bald darauf gerathen fand, den Schau-
platz seiner Niederlage ganz und gar zu verlassen. -- Wir
fahren fort, Freud und Leid der Reise, ihre Freunde und
Feinde zu betrachten.

Eine der Anklagen, die heutzutage am häufigsten erhoben
und ohne Prüfung nachgesprochen werden, ist die: mit den
Eisenbahnen sei alle "Poesie der Reise" verschwunden.
Die Poesie liegt doch aber gewiß weniger in den Dingen, als
in der Betrachtungsweise, die wir ihnen widmen, und eine
Großthat des Menschengeistes, die eine dämonische Naturkraft
unterjochte, über Zeit und Raum, die alten Gewalthaber
der Welt, einen glänzenden Sieg davontrug, mithin der
Phantasie reiche Nahrung bietet, kann doch wohl nichts Un-
poetisches sein. Im späteren Lebensalter schauen wir aber mit
einer sehnsüchtigen Wehmuth auf die Vergangenheit zurück,
sie erscheint uns in verklärtem Lichte, wieviel Antheil an
diesem jedoch unsren jugendlichen Anschauungen und wieviel
den Gegenständen selbst zukommt, das zu ergründen wird
nicht leicht gelingen. Traulicher, idyllischer und in gewissem
Sinne behaglicher war allerdings die alte Art der Reise, die
Klänge des Posthorns thaten dem Ohre wohler, als die

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VIII. Eitelkeits- und Phantaſietouriſten — Poeſie der Reiſe.
ihn, wenn er ſchließlich Gewinn und Verluſt berechnet, ſtarkes
Deficit finden, denn alle Ermahnungen der Reiſeſchule ver-
mögen nichts gegen die liebe Eitelkeit, die ſchlaue Gauklerin,
die ihre Proſpecte eben ſo trügeriſch zu faſſen verſteht, wie
gewiſſe induſtrielle Speculanten. Auch mit jenen Phantaſie-
touriſten haben wir nichts zu ſchaffen, welche in einem ver-
ſteckten Neſtchen, etwa im Odenwald oder Fichtelgebirge,
einen Sommer zubringen, dort ſich dem Studium einiger
Reiſewerke widmen, dann zurückkehren und von den Welt-
fahrten erzählen, die — ihre Einbildungskraft gemacht hat.
In einer mitteldeutſchen Reſidenz war ich einſt Zeuge, wie
ein derartiges Lügengewebe, das über eine ganze Geſellſchaft
geworfen war und lange feſtgehalten hatte, plötzlich ſich um-
kehrte, über den Erzähler fiel und ihn in einer ſo lächerlichen
Poſitur zeigte, daß er bald darauf gerathen fand, den Schau-
platz ſeiner Niederlage ganz und gar zu verlaſſen. — Wir
fahren fort, Freud und Leid der Reiſe, ihre Freunde und
Feinde zu betrachten.

Eine der Anklagen, die heutzutage am häufigſten erhoben
und ohne Prüfung nachgeſprochen werden, iſt die: mit den
Eiſenbahnen ſei alle „Poeſie der Reiſe“ verſchwunden.
Die Poeſie liegt doch aber gewiß weniger in den Dingen, als
in der Betrachtungsweiſe, die wir ihnen widmen, und eine
Großthat des Menſchengeiſtes, die eine dämoniſche Naturkraft
unterjochte, über Zeit und Raum, die alten Gewalthaber
der Welt, einen glänzenden Sieg davontrug, mithin der
Phantaſie reiche Nahrung bietet, kann doch wohl nichts Un-
poetiſches ſein. Im ſpäteren Lebensalter ſchauen wir aber mit
einer ſehnſüchtigen Wehmuth auf die Vergangenheit zurück,
ſie erſcheint uns in verklärtem Lichte, wieviel Antheil an
dieſem jedoch unſren jugendlichen Anſchauungen und wieviel
den Gegenſtänden ſelbſt zukommt, das zu ergründen wird
nicht leicht gelingen. Traulicher, idylliſcher und in gewiſſem
Sinne behaglicher war allerdings die alte Art der Reiſe, die
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[243/0257] VIII. Eitelkeits- und Phantaſietouriſten — Poeſie der Reiſe. ihn, wenn er ſchließlich Gewinn und Verluſt berechnet, ſtarkes Deficit finden, denn alle Ermahnungen der Reiſeſchule ver- mögen nichts gegen die liebe Eitelkeit, die ſchlaue Gauklerin, die ihre Proſpecte eben ſo trügeriſch zu faſſen verſteht, wie gewiſſe induſtrielle Speculanten. Auch mit jenen Phantaſie- touriſten haben wir nichts zu ſchaffen, welche in einem ver- ſteckten Neſtchen, etwa im Odenwald oder Fichtelgebirge, einen Sommer zubringen, dort ſich dem Studium einiger Reiſewerke widmen, dann zurückkehren und von den Welt- fahrten erzählen, die — ihre Einbildungskraft gemacht hat. In einer mitteldeutſchen Reſidenz war ich einſt Zeuge, wie ein derartiges Lügengewebe, das über eine ganze Geſellſchaft geworfen war und lange feſtgehalten hatte, plötzlich ſich um- kehrte, über den Erzähler fiel und ihn in einer ſo lächerlichen Poſitur zeigte, daß er bald darauf gerathen fand, den Schau- platz ſeiner Niederlage ganz und gar zu verlaſſen. — Wir fahren fort, Freud und Leid der Reiſe, ihre Freunde und Feinde zu betrachten. Eine der Anklagen, die heutzutage am häufigſten erhoben und ohne Prüfung nachgeſprochen werden, iſt die: mit den Eiſenbahnen ſei alle „Poeſie der Reiſe“ verſchwunden. Die Poeſie liegt doch aber gewiß weniger in den Dingen, als in der Betrachtungsweiſe, die wir ihnen widmen, und eine Großthat des Menſchengeiſtes, die eine dämoniſche Naturkraft unterjochte, über Zeit und Raum, die alten Gewalthaber der Welt, einen glänzenden Sieg davontrug, mithin der Phantaſie reiche Nahrung bietet, kann doch wohl nichts Un- poetiſches ſein. Im ſpäteren Lebensalter ſchauen wir aber mit einer ſehnſüchtigen Wehmuth auf die Vergangenheit zurück, ſie erſcheint uns in verklärtem Lichte, wieviel Antheil an dieſem jedoch unſren jugendlichen Anſchauungen und wieviel den Gegenſtänden ſelbſt zukommt, das zu ergründen wird nicht leicht gelingen. Traulicher, idylliſcher und in gewiſſem Sinne behaglicher war allerdings die alte Art der Reiſe, die Klänge des Poſthorns thaten dem Ohre wohler, als die 16*

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/257>, abgerufen am 15.05.2024.