Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.VIII. Triebfedern. Selbständigkeit des Charakters, Festigkeit und Unerschrocken-heit ausbildet. Hinsichtlich der Ersprießlichkeit großer Reisen sind die Unter den Triebfedern zur Reise ist bisher einer noch VIII. Triebfedern. Selbſtändigkeit des Charakters, Feſtigkeit und Unerſchrocken-heit ausbildet. Hinſichtlich der Erſprießlichkeit großer Reiſen ſind die Unter den Triebfedern zur Reiſe iſt bisher einer noch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0256" n="242"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Triebfedern.</fw><lb/> Selbſtändigkeit des Charakters, Feſtigkeit und Unerſchrocken-<lb/> heit ausbildet.</p><lb/> <p>Hinſichtlich der Erſprießlichkeit großer Reiſen ſind die<lb/> Anſichten getheilt. Ein franzöſiſcher Schriftſteller meint, nur<lb/> Madeirawein gewinne dadurch, ein anderer ſieht in jeder<lb/> Reiſe, die nicht in Geſchäften unternommen wird, weniger<lb/> eine Sehnſucht nach der Ferne und dem was ſie verſpricht,<lb/> als vielmehr einen Zug der Seele von den Perſonen und<lb/> Dingen hinweg, die man verläßt. Beide Ausſprüche ſind<lb/><choice><sic>arakteriſtiſch</sic><corr>charakteriſtiſch</corr></choice> für die Franzoſen, die ungern reiſen. Haben<lb/> doch von jeher zu ihren ſchwachen Seiten Geographie und<lb/> fremde Sprachen gehört. Der Franzoſe liebt nur eine Reiſe:<lb/> die in ſeine Hauptſtadt, wenn er den Schmerz und die Be-<lb/> ſchämung hat, nicht in derſelben zu wohnen. Auch Frau<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118616617">v. Sta<hi rendition="#aq">ë</hi>l</persName> nennt das Reiſen eines der traurigſten Vergnügen<lb/> des Lebens. Nur ein franzöſiſcher Autor, wenn ich nicht<lb/> irre <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118945521">Cuſtine</persName>, rühmt von der Reiſe, daß ſie ein Mittel biete,<lb/> das Gefängniß, welches unſre Erde doch einmal ſei, einiger-<lb/> maßen zu erweitern. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118512749">Börne</persName> empfiehlt, um ſo weiter und<lb/> öfter zu reiſen, je älter und nüchterner wir werden, dann<lb/> ſagt er, man gewinne dadurch die Fertigkeit, ſich überall zu<lb/> Hauſe zu fühlen. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118557211">Jean Paul</persName> bemerkt, es nehme dem Men-<lb/> ſchen das Hölzerne wie das Verſetzen den Kohlrüben das<lb/> Holzige. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118594893">Plato</persName> räth, nicht vor dem ſechzigſten Jahre zu<lb/> reiſen, um es mit Nutzen zu thun.</p><lb/> <p>Unter den Triebfedern zur Reiſe iſt bisher einer noch<lb/> nicht gedacht worden, die, wer Touriſtenherzen und Nieren<lb/> prüfen könnte, häufig genug finden würde, und welche Urſache<lb/> ſein mag, daß Mancher von ſeinem erſten größeren Ausfluge<lb/> reiſeſatt zurückkehrt und nie einen zweiten wagt: — er wählte<lb/> Weg und Ziel nicht ſeinen Intereſſen gemäß, nicht weil er<lb/> ſich von ihnen Belehrung, Anregung, Genuß verſprach,<lb/> ſondern lediglich, weil er „etwas Apartes“ haben, weil er<lb/> Gebiete ſehen wollte, die noch Keiner aus ſeinem heimiſchen<lb/> Kreiſe ſah. Laſſen wir ihn ſeine Straße ziehen, laſſen wir<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [242/0256]
VIII. Triebfedern.
Selbſtändigkeit des Charakters, Feſtigkeit und Unerſchrocken-
heit ausbildet.
Hinſichtlich der Erſprießlichkeit großer Reiſen ſind die
Anſichten getheilt. Ein franzöſiſcher Schriftſteller meint, nur
Madeirawein gewinne dadurch, ein anderer ſieht in jeder
Reiſe, die nicht in Geſchäften unternommen wird, weniger
eine Sehnſucht nach der Ferne und dem was ſie verſpricht,
als vielmehr einen Zug der Seele von den Perſonen und
Dingen hinweg, die man verläßt. Beide Ausſprüche ſind
charakteriſtiſch für die Franzoſen, die ungern reiſen. Haben
doch von jeher zu ihren ſchwachen Seiten Geographie und
fremde Sprachen gehört. Der Franzoſe liebt nur eine Reiſe:
die in ſeine Hauptſtadt, wenn er den Schmerz und die Be-
ſchämung hat, nicht in derſelben zu wohnen. Auch Frau
v. Staël nennt das Reiſen eines der traurigſten Vergnügen
des Lebens. Nur ein franzöſiſcher Autor, wenn ich nicht
irre Cuſtine, rühmt von der Reiſe, daß ſie ein Mittel biete,
das Gefängniß, welches unſre Erde doch einmal ſei, einiger-
maßen zu erweitern. Börne empfiehlt, um ſo weiter und
öfter zu reiſen, je älter und nüchterner wir werden, dann
ſagt er, man gewinne dadurch die Fertigkeit, ſich überall zu
Hauſe zu fühlen. Jean Paul bemerkt, es nehme dem Men-
ſchen das Hölzerne wie das Verſetzen den Kohlrüben das
Holzige. Plato räth, nicht vor dem ſechzigſten Jahre zu
reiſen, um es mit Nutzen zu thun.
Unter den Triebfedern zur Reiſe iſt bisher einer noch
nicht gedacht worden, die, wer Touriſtenherzen und Nieren
prüfen könnte, häufig genug finden würde, und welche Urſache
ſein mag, daß Mancher von ſeinem erſten größeren Ausfluge
reiſeſatt zurückkehrt und nie einen zweiten wagt: — er wählte
Weg und Ziel nicht ſeinen Intereſſen gemäß, nicht weil er
ſich von ihnen Belehrung, Anregung, Genuß verſprach,
ſondern lediglich, weil er „etwas Apartes“ haben, weil er
Gebiete ſehen wollte, die noch Keiner aus ſeinem heimiſchen
Kreiſe ſah. Laſſen wir ihn ſeine Straße ziehen, laſſen wir
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