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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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II. Reisehandbücher.
unter dem Arm fast jedes Briten zu sehen, der auf dem Conti-
nent einen Wagen bestieg. Lange blieb Mr. Murray ohne
Nebenbuhler, bis endlich ein anderer Buchhändler, der ver-
storbene Karl Bädeker in Coblenz, die englische Erfindung
auf deutschen Boden verpflanzte. In der Regel hatten die
alten Führer *) weniger die Bequemlichkeit des Lesers als
ihre eigene im Auge, viele nothwendige Angaben enthielten
sie ihm vor, weil sie die Mühe und Kosten der Ermittelung
scheuten, bedachten ihn dafür um so reichlicher mit uner-
wünschten Ablagerungen aus Chroniken und Monographien;
Winke über Wege, Entfernungen, Wirthshäuser, Preise streu-
ten sie nur sehr spärlich ein, bald hier bald da, so daß sie sich
wie der Hauch eines Kameels in der Wüste verloren; mit
vornehmer Gleichgiltigkeit, etwa wie prinzliche Hofmeister,
blickten sie auf gewisse Dinge herab, die doch für die Mehr-
zahl der Reisenden von Belang sind, z. B. Ersparnisse; in
der Einleitung empfahlen sie dringend, recht viel zu Fuße zu
gehen, ließen im Buche jedoch allenthalben durchblicken, daß
sie diesen Rath zu reichlich gespendet, um für sich selbst davon
noch übrig zu haben; ferner -- -- doch halt! beinahe wäre
ich selbst in den schlimmsten der Führerfehler gerathen und
hätte die Tour zu lang bemessen. So brechen wir denn
eiligst das Sündenregister der alten Guiden ab und wenden
uns wieder zu den Verdiensten Bädeker's. Wie Mr. Murray
Verfasser und Verleger in einer Person, ging er von dem
Grundsatze aus, daß ein dickes, schweres, theures Buch den
meisten deutschen Taschen unzuträglich sein dürfte, und stellte
eine Sammlung von Bänden her, die sich in ihrer hellrothen,
glatten, glänzenden, biegsamen Leinwandlivree dem Auge,
der Hand und der Tasche unwiderstehlich einschmeicheln, der

*) Unter den Ausnahmen älterer Zeit ist das verdienstvolle Ebel'sche Hand-
buch für die Schweiz vor allen zu nennen, es litt aber lange an der unzweck-
mäßigen alphabetischen Anordnung, bis es endlich nach Murray auch die Routen-
eintheilung einführte. Für Italien war einst das Förster'sche das erste gute
Reisebuch, in seinen neuen Auflagen ist es aber zurückgeblieben.

II. Reiſehandbücher.
unter dem Arm faſt jedes Briten zu ſehen, der auf dem Conti-
nent einen Wagen beſtieg. Lange blieb Mr. Murray ohne
Nebenbuhler, bis endlich ein anderer Buchhändler, der ver-
ſtorbene Karl Bädeker in Coblenz, die engliſche Erfindung
auf deutſchen Boden verpflanzte. In der Regel hatten die
alten Führer *) weniger die Bequemlichkeit des Leſers als
ihre eigene im Auge, viele nothwendige Angaben enthielten
ſie ihm vor, weil ſie die Mühe und Koſten der Ermittelung
ſcheuten, bedachten ihn dafür um ſo reichlicher mit uner-
wünſchten Ablagerungen aus Chroniken und Monographien;
Winke über Wege, Entfernungen, Wirthshäuſer, Preiſe ſtreu-
ten ſie nur ſehr ſpärlich ein, bald hier bald da, ſo daß ſie ſich
wie der Hauch eines Kameels in der Wüſte verloren; mit
vornehmer Gleichgiltigkeit, etwa wie prinzliche Hofmeiſter,
blickten ſie auf gewiſſe Dinge herab, die doch für die Mehr-
zahl der Reiſenden von Belang ſind, z. B. Erſparniſſe; in
der Einleitung empfahlen ſie dringend, recht viel zu Fuße zu
gehen, ließen im Buche jedoch allenthalben durchblicken, daß
ſie dieſen Rath zu reichlich geſpendet, um für ſich ſelbſt davon
noch übrig zu haben; ferner — — doch halt! beinahe wäre
ich ſelbſt in den ſchlimmſten der Führerfehler gerathen und
hätte die Tour zu lang bemeſſen. So brechen wir denn
eiligſt das Sündenregiſter der alten Guiden ab und wenden
uns wieder zu den Verdienſten Bädeker’s. Wie Mr. Murray
Verfaſſer und Verleger in einer Perſon, ging er von dem
Grundſatze aus, daß ein dickes, ſchweres, theures Buch den
meiſten deutſchen Taſchen unzuträglich ſein dürfte, und ſtellte
eine Sammlung von Bänden her, die ſich in ihrer hellrothen,
glatten, glänzenden, biegſamen Leinwandlivree dem Auge,
der Hand und der Taſche unwiderſtehlich einſchmeicheln, der

*) Unter den Ausnahmen älterer Zeit iſt das verdienſtvolle Ebel’ſche Hand-
buch für die Schweiz vor allen zu nennen, es litt aber lange an der unzweck-
mäßigen alphabetiſchen Anordnung, bis es endlich nach Murray auch die Routen-
eintheilung einführte. Für Italien war einſt das Förſter’ſche das erſte gute
Reiſebuch, in ſeinen neuen Auflagen iſt es aber zurückgeblieben.
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[9/0023] II. Reiſehandbücher. unter dem Arm faſt jedes Briten zu ſehen, der auf dem Conti- nent einen Wagen beſtieg. Lange blieb Mr. Murray ohne Nebenbuhler, bis endlich ein anderer Buchhändler, der ver- ſtorbene Karl Bädeker in Coblenz, die engliſche Erfindung auf deutſchen Boden verpflanzte. In der Regel hatten die alten Führer *) weniger die Bequemlichkeit des Leſers als ihre eigene im Auge, viele nothwendige Angaben enthielten ſie ihm vor, weil ſie die Mühe und Koſten der Ermittelung ſcheuten, bedachten ihn dafür um ſo reichlicher mit uner- wünſchten Ablagerungen aus Chroniken und Monographien; Winke über Wege, Entfernungen, Wirthshäuſer, Preiſe ſtreu- ten ſie nur ſehr ſpärlich ein, bald hier bald da, ſo daß ſie ſich wie der Hauch eines Kameels in der Wüſte verloren; mit vornehmer Gleichgiltigkeit, etwa wie prinzliche Hofmeiſter, blickten ſie auf gewiſſe Dinge herab, die doch für die Mehr- zahl der Reiſenden von Belang ſind, z. B. Erſparniſſe; in der Einleitung empfahlen ſie dringend, recht viel zu Fuße zu gehen, ließen im Buche jedoch allenthalben durchblicken, daß ſie dieſen Rath zu reichlich geſpendet, um für ſich ſelbſt davon noch übrig zu haben; ferner — — doch halt! beinahe wäre ich ſelbſt in den ſchlimmſten der Führerfehler gerathen und hätte die Tour zu lang bemeſſen. So brechen wir denn eiligſt das Sündenregiſter der alten Guiden ab und wenden uns wieder zu den Verdienſten Bädeker’s. Wie Mr. Murray Verfaſſer und Verleger in einer Perſon, ging er von dem Grundſatze aus, daß ein dickes, ſchweres, theures Buch den meiſten deutſchen Taſchen unzuträglich ſein dürfte, und ſtellte eine Sammlung von Bänden her, die ſich in ihrer hellrothen, glatten, glänzenden, biegſamen Leinwandlivree dem Auge, der Hand und der Taſche unwiderſtehlich einſchmeicheln, der *) Unter den Ausnahmen älterer Zeit iſt das verdienſtvolle Ebel’ſche Hand- buch für die Schweiz vor allen zu nennen, es litt aber lange an der unzweck- mäßigen alphabetiſchen Anordnung, bis es endlich nach Murray auch die Routen- eintheilung einführte. Für Italien war einſt das Förſter’ſche das erſte gute Reiſebuch, in ſeinen neuen Auflagen iſt es aber zurückgeblieben.

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/23>, abgerufen am 25.04.2024.