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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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II. Reisehandbücher.
letztern auch bei ihren abgerundeten Ecken, ihrem mäßigen
Umfang und Preise in keiner Weise beschwerlich fallen. Auf
jede Frage hat er eine Antwort und doch fühlt man sich kaum
je belästigt von aufdringlicher Führerredseligkeit, Abschwei-
fungen, unverdauter Gelehrsamkeit, Anläufen zum Humor
oder zur Rhetorik, noch von "vorgreiflichen Empfindungen";
nie will er "dem Ohre schildern, was nur das Auge begreift."
So gut er bewandert ist in den hohen Regionen der Alpen,
nie versteigt er sich in die höheren der Wissenschaft, Poesie,
Kunst; hat er von Gemälden zu berichten, so stützt er sich in
gedrängten Auszügen auf bewährte Schriftsteller. Alles bei
Bädeker stellt sich knapp gehalten dar, nüchtern, zur Sache,
"adrett" wie ein Militärrapport, rasch fertig und weithin-
treffend wie ein Hinterlader. Seine Leitung ist nicht die eines
mechanisch dressirten Miethlings, noch die eines pedantischen
Mentors, sondern man empfindet sie wie den Arm eines alten,
guten Bekannten, zuweilen fast wie die Hand einer Mutter. Jetzt
fühlen wir einen leisen Druck am Elbogen: es ist die Warnung
vor einem schlimmen Wirthshause, in das wir einzukehren, oder
vor einem steilen, steinigen Pfade, den einzuschlagen wir im
Begriff waren. Jetzt streckt sich sein Finger aus: da ist das
beste Bier, auf diesem Wege findest Du Vormittags Schat-
ten, jener Pfad ist bei nassem Wetter zu meiden, in dem La-
den kaufst Du gut und billig u. s. w. Solche Zuvorkommen-
heit, welche Wünsche, noch bevor sie aufgestiegen, ahnet und
befriedigt, über eine große Gewalt auf unser Gemüth: wir
Männer, auch wenn wir eng befreundet, pflegen uns derlei
kleine Aufmerksamkeiten nicht angedeihen zu lassen, nur von der
Gunst und Sorgfalt weiblicher Hände zu erfahren, desto mehr
überraschen und rühren sie uns, wenn wir sie in einem Buche
finden, und nicht in einem Damenromane, sondern in einem
schlichten Reiseführer. Ein dritter (ehemaliger) Buchhändler,
Herr Berlepsch, tritt seit mehren Jahren als Nebenbuhler
Bädeker's auf und der unermüdlich rege Wetteifer, den er ent-
wickelt, kann auch fernerhin nur zum Besten des Publikums

II. Reiſehandbücher.
letztern auch bei ihren abgerundeten Ecken, ihrem mäßigen
Umfang und Preiſe in keiner Weiſe beſchwerlich fallen. Auf
jede Frage hat er eine Antwort und doch fühlt man ſich kaum
je beläſtigt von aufdringlicher Führerredſeligkeit, Abſchwei-
fungen, unverdauter Gelehrſamkeit, Anläufen zum Humor
oder zur Rhetorik, noch von „vorgreiflichen Empfindungen“;
nie will er „dem Ohre ſchildern, was nur das Auge begreift.“
So gut er bewandert iſt in den hohen Regionen der Alpen,
nie verſteigt er ſich in die höheren der Wiſſenſchaft, Poeſie,
Kunſt; hat er von Gemälden zu berichten, ſo ſtützt er ſich in
gedrängten Auszügen auf bewährte Schriftſteller. Alles bei
Bädeker ſtellt ſich knapp gehalten dar, nüchtern, zur Sache,
„adrett“ wie ein Militärrapport, raſch fertig und weithin-
treffend wie ein Hinterlader. Seine Leitung iſt nicht die eines
mechaniſch dreſſirten Miethlings, noch die eines pedantiſchen
Mentors, ſondern man empfindet ſie wie den Arm eines alten,
guten Bekannten, zuweilen faſt wie die Hand einer Mutter. Jetzt
fühlen wir einen leiſen Druck am Elbogen: es iſt die Warnung
vor einem ſchlimmen Wirthshauſe, in das wir einzukehren, oder
vor einem ſteilen, ſteinigen Pfade, den einzuſchlagen wir im
Begriff waren. Jetzt ſtreckt ſich ſein Finger aus: da iſt das
beſte Bier, auf dieſem Wege findeſt Du Vormittags Schat-
ten, jener Pfad iſt bei naſſem Wetter zu meiden, in dem La-
den kaufſt Du gut und billig u. ſ. w. Solche Zuvorkommen-
heit, welche Wünſche, noch bevor ſie aufgeſtiegen, ahnet und
befriedigt, über eine große Gewalt auf unſer Gemüth: wir
Männer, auch wenn wir eng befreundet, pflegen uns derlei
kleine Aufmerkſamkeiten nicht angedeihen zu laſſen, nur von der
Gunſt und Sorgfalt weiblicher Hände zu erfahren, deſto mehr
überraſchen und rühren ſie uns, wenn wir ſie in einem Buche
finden, und nicht in einem Damenromane, ſondern in einem
ſchlichten Reiſeführer. Ein dritter (ehemaliger) Buchhändler,
Herr Berlepſch, tritt ſeit mehren Jahren als Nebenbuhler
Bädeker’s auf und der unermüdlich rege Wetteifer, den er ent-
wickelt, kann auch fernerhin nur zum Beſten des Publikums

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[10/0024] II. Reiſehandbücher. letztern auch bei ihren abgerundeten Ecken, ihrem mäßigen Umfang und Preiſe in keiner Weiſe beſchwerlich fallen. Auf jede Frage hat er eine Antwort und doch fühlt man ſich kaum je beläſtigt von aufdringlicher Führerredſeligkeit, Abſchwei- fungen, unverdauter Gelehrſamkeit, Anläufen zum Humor oder zur Rhetorik, noch von „vorgreiflichen Empfindungen“; nie will er „dem Ohre ſchildern, was nur das Auge begreift.“ So gut er bewandert iſt in den hohen Regionen der Alpen, nie verſteigt er ſich in die höheren der Wiſſenſchaft, Poeſie, Kunſt; hat er von Gemälden zu berichten, ſo ſtützt er ſich in gedrängten Auszügen auf bewährte Schriftſteller. Alles bei Bädeker ſtellt ſich knapp gehalten dar, nüchtern, zur Sache, „adrett“ wie ein Militärrapport, raſch fertig und weithin- treffend wie ein Hinterlader. Seine Leitung iſt nicht die eines mechaniſch dreſſirten Miethlings, noch die eines pedantiſchen Mentors, ſondern man empfindet ſie wie den Arm eines alten, guten Bekannten, zuweilen faſt wie die Hand einer Mutter. Jetzt fühlen wir einen leiſen Druck am Elbogen: es iſt die Warnung vor einem ſchlimmen Wirthshauſe, in das wir einzukehren, oder vor einem ſteilen, ſteinigen Pfade, den einzuſchlagen wir im Begriff waren. Jetzt ſtreckt ſich ſein Finger aus: da iſt das beſte Bier, auf dieſem Wege findeſt Du Vormittags Schat- ten, jener Pfad iſt bei naſſem Wetter zu meiden, in dem La- den kaufſt Du gut und billig u. ſ. w. Solche Zuvorkommen- heit, welche Wünſche, noch bevor ſie aufgeſtiegen, ahnet und befriedigt, über eine große Gewalt auf unſer Gemüth: wir Männer, auch wenn wir eng befreundet, pflegen uns derlei kleine Aufmerkſamkeiten nicht angedeihen zu laſſen, nur von der Gunſt und Sorgfalt weiblicher Hände zu erfahren, deſto mehr überraſchen und rühren ſie uns, wenn wir ſie in einem Buche finden, und nicht in einem Damenromane, ſondern in einem ſchlichten Reiſeführer. Ein dritter (ehemaliger) Buchhändler, Herr Berlepſch, tritt ſeit mehren Jahren als Nebenbuhler Bädeker’s auf und der unermüdlich rege Wetteifer, den er ent- wickelt, kann auch fernerhin nur zum Beſten des Publikums

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/24>, abgerufen am 19.04.2024.