Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite
V. Laienwünsche.

Wie geht es nun aber wohl zu, daß viele dieser Schrift-
steller, die wir als patriotisch, gründlich, scharfblickend, beredt,
vielseitig kennen lernten, die eben abgehandelten allgemeinen
Verhältnisse, welche Gäste jeder Art nahe angehen und derent-
willen allein Viele den Punkt aufsuchen, gar nicht oder nur
oberflächlich berühren? Ein Ort hat z. B. das Glück, in
weite Nadelholzwaldungen förmlich gebettet zu sein, so daß
jeder Windhauch erfüllt ist von würzigem Athem; ein anderer
genießt des seltenen Vorzugs, daß viele seiner Privathäuser
villaartig gebaut und mit Gärten umgeben sind; ein dritter
streckt sich einem Park entlang, daß die Insassen von Gast-
und Privathäusern den Fuß gar nicht auf leidiges Straßen-
pflaster zu setzen brauchen, sondern im vertrautesten Umgang
mit einer durch Kunst veredelten Natur leben; ein vierter
hat eine Fülle promenadenartig gehaltener Waldwege. Von
alledem ist entweder gar nicht die Rede, oder es wird mit
nichtssagenden Floskeln abgefertigt, wie "herrliche Wald-
spaziergänge", "freundlicher Ort", "Comfort aller Art",
tief vergraben in einem Wust geschichtlicher und topographischer
Notizen. Ist es Geringschätzung oder im Gegentheil Furcht
vor der steigenden Macht des neuen Souveräns, der Luft,
von dem Sie, meine Herren Verfasser, Ihre mineralischen
Schützlinge nicht verdunkeln lassen wollen, daß Sie so wenig
Nachrichten aus dessen Reich geben? -- Nein, ich errathe,
Sie wollen "auch den Schein der Parteilichkeit meiden". Im
Interesse der Sache lassen Sie sich beschwören, werfen Sie
das Uebermaß von Zartgefühl ab, belehren Sie uns ein-
gehend über Alles, was zu Gunsten Ihres Curorts spricht.

Oft sucht man in einer dicken Monographie vergebens
nach Angaben, wie hoch der Punkt über dem Meere gelegen,
ob Wald in der Nähe, in welcher Entfernung er ist, ob dieser
aus Nadel- oder Laubholz besteht, ob es ausgedehnte Reviere
oder nur kleine Gehölzparcellen, wie die Wege beschaffen, ob
sie schattig, staubfrei sind u. s. w. Es will uns bedünken,
daß in einem Buche, das nur einem Orte gewidmet ist, nicht

V. Laienwünſche.

Wie geht es nun aber wohl zu, daß viele dieſer Schrift-
ſteller, die wir als patriotiſch, gründlich, ſcharfblickend, beredt,
vielſeitig kennen lernten, die eben abgehandelten allgemeinen
Verhältniſſe, welche Gäſte jeder Art nahe angehen und derent-
willen allein Viele den Punkt aufſuchen, gar nicht oder nur
oberflächlich berühren? Ein Ort hat z. B. das Glück, in
weite Nadelholzwaldungen förmlich gebettet zu ſein, ſo daß
jeder Windhauch erfüllt iſt von würzigem Athem; ein anderer
genießt des ſeltenen Vorzugs, daß viele ſeiner Privathäuſer
villaartig gebaut und mit Gärten umgeben ſind; ein dritter
ſtreckt ſich einem Park entlang, daß die Inſaſſen von Gaſt-
und Privathäuſern den Fuß gar nicht auf leidiges Straßen-
pflaſter zu ſetzen brauchen, ſondern im vertrauteſten Umgang
mit einer durch Kunſt veredelten Natur leben; ein vierter
hat eine Fülle promenadenartig gehaltener Waldwege. Von
alledem iſt entweder gar nicht die Rede, oder es wird mit
nichtsſagenden Floskeln abgefertigt, wie „herrliche Wald-
ſpaziergänge“, „freundlicher Ort“, „Comfort aller Art“,
tief vergraben in einem Wuſt geſchichtlicher und topographiſcher
Notizen. Iſt es Geringſchätzung oder im Gegentheil Furcht
vor der ſteigenden Macht des neuen Souveräns, der Luft,
von dem Sie, meine Herren Verfaſſer, Ihre mineraliſchen
Schützlinge nicht verdunkeln laſſen wollen, daß Sie ſo wenig
Nachrichten aus deſſen Reich geben? — Nein, ich errathe,
Sie wollen „auch den Schein der Parteilichkeit meiden“. Im
Intereſſe der Sache laſſen Sie ſich beſchwören, werfen Sie
das Uebermaß von Zartgefühl ab, belehren Sie uns ein-
gehend über Alles, was zu Gunſten Ihres Curorts ſpricht.

Oft ſucht man in einer dicken Monographie vergebens
nach Angaben, wie hoch der Punkt über dem Meere gelegen,
ob Wald in der Nähe, in welcher Entfernung er iſt, ob dieſer
aus Nadel- oder Laubholz beſteht, ob es ausgedehnte Reviere
oder nur kleine Gehölzparcellen, wie die Wege beſchaffen, ob
ſie ſchattig, ſtaubfrei ſind u. ſ. w. Es will uns bedünken,
daß in einem Buche, das nur einem Orte gewidmet iſt, nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0151" n="137"/>
        <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Laienwün&#x017F;che.</fw><lb/>
        <p>Wie geht es nun aber wohl zu, daß viele die&#x017F;er Schrift-<lb/>
&#x017F;teller, die wir als patrioti&#x017F;ch, gründlich, &#x017F;charfblickend, beredt,<lb/>
viel&#x017F;eitig kennen lernten, die eben abgehandelten allgemeinen<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e, welche Gä&#x017F;te jeder Art nahe angehen und derent-<lb/>
willen allein Viele den Punkt auf&#x017F;uchen, gar nicht oder nur<lb/>
oberflächlich berühren? Ein Ort hat z. B. das Glück, in<lb/>
weite Nadelholzwaldungen förmlich gebettet zu &#x017F;ein, &#x017F;o daß<lb/>
jeder Windhauch erfüllt i&#x017F;t von würzigem Athem; ein anderer<lb/>
genießt des &#x017F;eltenen Vorzugs, daß viele &#x017F;einer Privathäu&#x017F;er<lb/>
villaartig gebaut und mit Gärten umgeben &#x017F;ind; ein dritter<lb/>
&#x017F;treckt &#x017F;ich einem Park entlang, daß die In&#x017F;a&#x017F;&#x017F;en von Ga&#x017F;t-<lb/>
und Privathäu&#x017F;ern den Fuß gar nicht auf leidiges Straßen-<lb/>
pfla&#x017F;ter zu &#x017F;etzen brauchen, &#x017F;ondern im vertraute&#x017F;ten Umgang<lb/>
mit einer durch Kun&#x017F;t veredelten Natur leben; ein vierter<lb/>
hat eine Fülle promenadenartig gehaltener Waldwege. Von<lb/>
alledem i&#x017F;t entweder gar nicht die Rede, oder es wird mit<lb/>
nichts&#x017F;agenden Floskeln abgefertigt, wie &#x201E;herrliche Wald-<lb/>
&#x017F;paziergänge&#x201C;, &#x201E;freundlicher Ort&#x201C;, &#x201E;Comfort aller Art&#x201C;,<lb/>
tief vergraben in einem Wu&#x017F;t ge&#x017F;chichtlicher und topographi&#x017F;cher<lb/>
Notizen. I&#x017F;t es Gering&#x017F;chätzung oder im Gegentheil Furcht<lb/>
vor der &#x017F;teigenden Macht des neuen Souveräns, der Luft,<lb/>
von dem Sie, meine Herren Verfa&#x017F;&#x017F;er, Ihre minerali&#x017F;chen<lb/>
Schützlinge nicht verdunkeln la&#x017F;&#x017F;en wollen, daß Sie &#x017F;o wenig<lb/>
Nachrichten aus de&#x017F;&#x017F;en Reich geben? &#x2014; Nein, ich errathe,<lb/>
Sie wollen &#x201E;auch den Schein der Parteilichkeit meiden&#x201C;. Im<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;e der Sache la&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;ich be&#x017F;chwören, werfen Sie<lb/>
das Uebermaß von Zartgefühl ab, belehren Sie uns ein-<lb/>
gehend über Alles, was zu Gun&#x017F;ten Ihres Curorts &#x017F;pricht.</p><lb/>
        <p>Oft &#x017F;ucht man in einer dicken Monographie vergebens<lb/>
nach Angaben, wie hoch der Punkt über dem Meere gelegen,<lb/>
ob Wald in der Nähe, in welcher Entfernung er i&#x017F;t, ob die&#x017F;er<lb/>
aus Nadel- oder Laubholz be&#x017F;teht, ob es ausgedehnte Reviere<lb/>
oder nur kleine Gehölzparcellen, wie die Wege be&#x017F;chaffen, ob<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chattig, &#x017F;taubfrei &#x017F;ind u. &#x017F;. w. Es will uns bedünken,<lb/>
daß in einem Buche, das nur einem Orte gewidmet i&#x017F;t, nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0151] V. Laienwünſche. Wie geht es nun aber wohl zu, daß viele dieſer Schrift- ſteller, die wir als patriotiſch, gründlich, ſcharfblickend, beredt, vielſeitig kennen lernten, die eben abgehandelten allgemeinen Verhältniſſe, welche Gäſte jeder Art nahe angehen und derent- willen allein Viele den Punkt aufſuchen, gar nicht oder nur oberflächlich berühren? Ein Ort hat z. B. das Glück, in weite Nadelholzwaldungen förmlich gebettet zu ſein, ſo daß jeder Windhauch erfüllt iſt von würzigem Athem; ein anderer genießt des ſeltenen Vorzugs, daß viele ſeiner Privathäuſer villaartig gebaut und mit Gärten umgeben ſind; ein dritter ſtreckt ſich einem Park entlang, daß die Inſaſſen von Gaſt- und Privathäuſern den Fuß gar nicht auf leidiges Straßen- pflaſter zu ſetzen brauchen, ſondern im vertrauteſten Umgang mit einer durch Kunſt veredelten Natur leben; ein vierter hat eine Fülle promenadenartig gehaltener Waldwege. Von alledem iſt entweder gar nicht die Rede, oder es wird mit nichtsſagenden Floskeln abgefertigt, wie „herrliche Wald- ſpaziergänge“, „freundlicher Ort“, „Comfort aller Art“, tief vergraben in einem Wuſt geſchichtlicher und topographiſcher Notizen. Iſt es Geringſchätzung oder im Gegentheil Furcht vor der ſteigenden Macht des neuen Souveräns, der Luft, von dem Sie, meine Herren Verfaſſer, Ihre mineraliſchen Schützlinge nicht verdunkeln laſſen wollen, daß Sie ſo wenig Nachrichten aus deſſen Reich geben? — Nein, ich errathe, Sie wollen „auch den Schein der Parteilichkeit meiden“. Im Intereſſe der Sache laſſen Sie ſich beſchwören, werfen Sie das Uebermaß von Zartgefühl ab, belehren Sie uns ein- gehend über Alles, was zu Gunſten Ihres Curorts ſpricht. Oft ſucht man in einer dicken Monographie vergebens nach Angaben, wie hoch der Punkt über dem Meere gelegen, ob Wald in der Nähe, in welcher Entfernung er iſt, ob dieſer aus Nadel- oder Laubholz beſteht, ob es ausgedehnte Reviere oder nur kleine Gehölzparcellen, wie die Wege beſchaffen, ob ſie ſchattig, ſtaubfrei ſind u. ſ. w. Es will uns bedünken, daß in einem Buche, das nur einem Orte gewidmet iſt, nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/151
Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/151>, abgerufen am 24.11.2024.