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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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V. Dorfgeschichten -- häusliche Einrichtungen.
pflegt, sei uns ein Sporn, um so zeitiger damit zu beginnen.
Viel gewonnen wäre schon, wenn die Leute nur erst einmal
einsähen, daß sie manchen unsrer Wünsche weit leichter ent-
gegenkommen könnten, als sie meinen; daß uns Vieles gleich-
giltig oder lästig ist, worauf sie Werth legen und umgekehrt.
Ein bemittelter Landmann z. B. besitzt ein geräumiges Haus
mit viel mehr Zimmern, als er nebst Familie braucht. Die
nach seiner Meinung besten, nämlich die nach der geräusch-
vollen, staubigen Straße liegenden, richtet er für Fremde ein,
er, seine Familie und das Gesinde begnügt sich mit den
andern, auf Garten, Wiesen, Felder schauenden Zimmern,
die zwar etwas kleiner sind, dem Miether aber wegen ihrer
Ruhe und Freundlichkeit viel lieber und ersprießlicher ge-
wesen wären. Oder ein ländlicher Wirth, bei dem schon
seit Jahrzehnden viele Sommergäste hausen, hat einen großen
Obstgarten, baut darin für diese einen Pavillon (oberbairisch:
Salettel), sucht für ihn aber nicht etwa ein ruhiges, grünes,
"heimeliges" Plätzchen aus, woran kein Mangel ist, sondern
stellt ihn hart an die Landstraße, damit durch vorübergetriebe-
nes Vieh, Wagen und tobende Dorfjugend für "Unter-
haltung" gesorgt sei. Legt er noch eine Laube an, so muß
sie dicht an der "luschtigen" Kegelbahn stehen, oder an einem
Gänsestall. Noch Dutzende von Beispielen der Art ließen
sich anführen, die alle beweisen, daß die Ursache der Miß-
stände nicht in Armuth, Geiz oder bösem Willen zu suchen ist.

Den abgehärteten Organen des Landmanns bereitet einen
angenehmen Kitzel, was denen eines kränklichen Großstädters
eine ausgesuchte Marter ist, wie Schüsse, Peitschenknall,
Kindergeschrei, Geknarr von Thürangeln, Schmettern von
Kegelkugeln, überlauter Meinungsaustausch, Gesang und
Heiterkeit einer Dorfschenke, Gebrüll, Gebell, Geheul, Ge-
grunz, Geschnatter großer und kleiner Thiere, alles das be-
lästigt ihn so wenig, als einen Schlosser sein Hämmern,
unterhält ihn im Gegentheil, während Stille ihn langweilt.
Seine Nerven scheinen an Stärke und Widerstandskraft mit

V. Dorfgeſchichten — häusliche Einrichtungen.
pflegt, ſei uns ein Sporn, um ſo zeitiger damit zu beginnen.
Viel gewonnen wäre ſchon, wenn die Leute nur erſt einmal
einſähen, daß ſie manchen unſrer Wünſche weit leichter ent-
gegenkommen könnten, als ſie meinen; daß uns Vieles gleich-
giltig oder läſtig iſt, worauf ſie Werth legen und umgekehrt.
Ein bemittelter Landmann z. B. beſitzt ein geräumiges Haus
mit viel mehr Zimmern, als er nebſt Familie braucht. Die
nach ſeiner Meinung beſten, nämlich die nach der geräuſch-
vollen, ſtaubigen Straße liegenden, richtet er für Fremde ein,
er, ſeine Familie und das Geſinde begnügt ſich mit den
andern, auf Garten, Wieſen, Felder ſchauenden Zimmern,
die zwar etwas kleiner ſind, dem Miether aber wegen ihrer
Ruhe und Freundlichkeit viel lieber und erſprießlicher ge-
weſen wären. Oder ein ländlicher Wirth, bei dem ſchon
ſeit Jahrzehnden viele Sommergäſte hauſen, hat einen großen
Obſtgarten, baut darin für dieſe einen Pavillon (oberbairiſch:
Salettel), ſucht für ihn aber nicht etwa ein ruhiges, grünes,
„heimeliges“ Plätzchen aus, woran kein Mangel iſt, ſondern
ſtellt ihn hart an die Landſtraße, damit durch vorübergetriebe-
nes Vieh, Wagen und tobende Dorfjugend für „Unter-
haltung“ geſorgt ſei. Legt er noch eine Laube an, ſo muß
ſie dicht an der „luſchtigen“ Kegelbahn ſtehen, oder an einem
Gänſeſtall. Noch Dutzende von Beiſpielen der Art ließen
ſich anführen, die alle beweiſen, daß die Urſache der Miß-
ſtände nicht in Armuth, Geiz oder böſem Willen zu ſuchen iſt.

Den abgehärteten Organen des Landmanns bereitet einen
angenehmen Kitzel, was denen eines kränklichen Großſtädters
eine ausgeſuchte Marter iſt, wie Schüſſe, Peitſchenknall,
Kindergeſchrei, Geknarr von Thürangeln, Schmettern von
Kegelkugeln, überlauter Meinungsaustauſch, Geſang und
Heiterkeit einer Dorfſchenke, Gebrüll, Gebell, Geheul, Ge-
grunz, Geſchnatter großer und kleiner Thiere, alles das be-
läſtigt ihn ſo wenig, als einen Schloſſer ſein Hämmern,
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[110/0124] V. Dorfgeſchichten — häusliche Einrichtungen. pflegt, ſei uns ein Sporn, um ſo zeitiger damit zu beginnen. Viel gewonnen wäre ſchon, wenn die Leute nur erſt einmal einſähen, daß ſie manchen unſrer Wünſche weit leichter ent- gegenkommen könnten, als ſie meinen; daß uns Vieles gleich- giltig oder läſtig iſt, worauf ſie Werth legen und umgekehrt. Ein bemittelter Landmann z. B. beſitzt ein geräumiges Haus mit viel mehr Zimmern, als er nebſt Familie braucht. Die nach ſeiner Meinung beſten, nämlich die nach der geräuſch- vollen, ſtaubigen Straße liegenden, richtet er für Fremde ein, er, ſeine Familie und das Geſinde begnügt ſich mit den andern, auf Garten, Wieſen, Felder ſchauenden Zimmern, die zwar etwas kleiner ſind, dem Miether aber wegen ihrer Ruhe und Freundlichkeit viel lieber und erſprießlicher ge- weſen wären. Oder ein ländlicher Wirth, bei dem ſchon ſeit Jahrzehnden viele Sommergäſte hauſen, hat einen großen Obſtgarten, baut darin für dieſe einen Pavillon (oberbairiſch: Salettel), ſucht für ihn aber nicht etwa ein ruhiges, grünes, „heimeliges“ Plätzchen aus, woran kein Mangel iſt, ſondern ſtellt ihn hart an die Landſtraße, damit durch vorübergetriebe- nes Vieh, Wagen und tobende Dorfjugend für „Unter- haltung“ geſorgt ſei. Legt er noch eine Laube an, ſo muß ſie dicht an der „luſchtigen“ Kegelbahn ſtehen, oder an einem Gänſeſtall. Noch Dutzende von Beiſpielen der Art ließen ſich anführen, die alle beweiſen, daß die Urſache der Miß- ſtände nicht in Armuth, Geiz oder böſem Willen zu ſuchen iſt. Den abgehärteten Organen des Landmanns bereitet einen angenehmen Kitzel, was denen eines kränklichen Großſtädters eine ausgeſuchte Marter iſt, wie Schüſſe, Peitſchenknall, Kindergeſchrei, Geknarr von Thürangeln, Schmettern von Kegelkugeln, überlauter Meinungsaustauſch, Geſang und Heiterkeit einer Dorfſchenke, Gebrüll, Gebell, Geheul, Ge- grunz, Geſchnatter großer und kleiner Thiere, alles das be- läſtigt ihn ſo wenig, als einen Schloſſer ſein Hämmern, unterhält ihn im Gegentheil, während Stille ihn langweilt. Seine Nerven ſcheinen an Stärke und Widerſtandskraft mit

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/124>, abgerufen am 25.11.2024.