Wege und auf Ruhebänke verwandt -- um nur gleich ein Stück vom Nothwendigsten zu nennen.
Gästen, welche das Bedürfniß fühlen, ihrer Dankbarkeit für den heilbringenden Ort einen dauernden Ausdruck zu geben, soll ein bescheidenes Wort der Mahnung nicht vor- enthalten werden. In alter Zeit wurden im Drange dieses Gefühls Kirchen, Klöster, Capellen, Kreuze errichtet, je nach Rang und Mitteln des Stifters, meistens ein Zeugniß, daß die- ser dabei nicht blos an sein liebes Ich und dessen Verherrlichung dachte. Derselbe Sinn sucht in neuerer Zeit sich zu bethätigen durch Stiftung eines Krankenhauses oder ein Geldgeschenk für öffentliche Zwecke. Wünscht der Genesene etwas zu thun, das Besuchern aus allen Classen zu Gute kommt, so läßt er einen Waldweg bahnen, oder baut eine Zufluchtsstätte gegen Regen (weniger auf entlegenen, selten besuchten Gipfeln, sondern vor- züglich an Stellen, wo sie der Masse der Spaziergänger zugute kommt), oder nur eine Bank. Findet er jedoch für seine Ge- fühle und Gedanken keinen andern Ausdruck, als vergoldete Worte in Marmor oder Granit, die nur Vorwand scheinen, auch seine werthe Adresse bekannt zu geben, so stellt er sich damit auf eine geistige Rangstufe mit den Besitzern der Hände, welche in ihren Namen dermaßen verliebt sind, daß sie ihn gern in jede Rinde schnitten, in jeden Stein grüben und auf jedes Brett schrieben. ME SAXA LOQVVNTVR! Könn- ten jene Liebhaber wohlfeiler Unsterblichkeit nur einige der Bemerkungen hören, die ihre steinerne Selbstgefälligkeit her- vorruft, so würden sie gewiß für ihre Lyrik die mindere Oeffentlichkeit des Druckpapiers vorgezogen haben. Man denke sich nur in die Stimmung von Leuten, denen es obliegt, ein Dutzend täglich wiederkehrender Mußestunden auszufüllen! Schlägt das Heilverfahren gut an, so ist der Gast lustig, ausgelassen, rücksichtslos; will's mit ihm nicht recht vorwärts, so sucht er sich lustig zu machen über Alles, was ihm in den Weg kommt, und ist noch rücksichtsloser. Seine gute wie seine üble Laune läßt er besonders gern aus an Monumenten der
V. Stiftungen — wohlfeile Unſterblichkeit.
Wege und auf Ruhebänke verwandt — um nur gleich ein Stück vom Nothwendigſten zu nennen.
Gäſten, welche das Bedürfniß fühlen, ihrer Dankbarkeit für den heilbringenden Ort einen dauernden Ausdruck zu geben, ſoll ein beſcheidenes Wort der Mahnung nicht vor- enthalten werden. In alter Zeit wurden im Drange dieſes Gefühls Kirchen, Klöſter, Capellen, Kreuze errichtet, je nach Rang und Mitteln des Stifters, meiſtens ein Zeugniß, daß die- ſer dabei nicht blos an ſein liebes Ich und deſſen Verherrlichung dachte. Derſelbe Sinn ſucht in neuerer Zeit ſich zu bethätigen durch Stiftung eines Krankenhauſes oder ein Geldgeſchenk für öffentliche Zwecke. Wünſcht der Geneſene etwas zu thun, das Beſuchern aus allen Claſſen zu Gute kommt, ſo läßt er einen Waldweg bahnen, oder baut eine Zufluchtsſtätte gegen Regen (weniger auf entlegenen, ſelten beſuchten Gipfeln, ſondern vor- züglich an Stellen, wo ſie der Maſſe der Spaziergänger zugute kommt), oder nur eine Bank. Findet er jedoch für ſeine Ge- fühle und Gedanken keinen andern Ausdruck, als vergoldete Worte in Marmor oder Granit, die nur Vorwand ſcheinen, auch ſeine werthe Adreſſe bekannt zu geben, ſo ſtellt er ſich damit auf eine geiſtige Rangſtufe mit den Beſitzern der Hände, welche in ihren Namen dermaßen verliebt ſind, daß ſie ihn gern in jede Rinde ſchnitten, in jeden Stein grüben und auf jedes Brett ſchrieben. ME SAXA LOQVVNTVR! Könn- ten jene Liebhaber wohlfeiler Unſterblichkeit nur einige der Bemerkungen hören, die ihre ſteinerne Selbſtgefälligkeit her- vorruft, ſo würden ſie gewiß für ihre Lyrik die mindere Oeffentlichkeit des Druckpapiers vorgezogen haben. Man denke ſich nur in die Stimmung von Leuten, denen es obliegt, ein Dutzend täglich wiederkehrender Mußeſtunden auszufüllen! Schlägt das Heilverfahren gut an, ſo iſt der Gaſt luſtig, ausgelaſſen, rückſichtslos; will’s mit ihm nicht recht vorwärts, ſo ſucht er ſich luſtig zu machen über Alles, was ihm in den Weg kommt, und iſt noch rückſichtsloſer. Seine gute wie ſeine üble Laune läßt er beſonders gern aus an Monumenten der
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V. Stiftungen — wohlfeile Unſterblichkeit.
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Stück vom Nothwendigſten zu nennen.
Gäſten, welche das Bedürfniß fühlen, ihrer Dankbarkeit
für den heilbringenden Ort einen dauernden Ausdruck zu
geben, ſoll ein beſcheidenes Wort der Mahnung nicht vor-
enthalten werden. In alter Zeit wurden im Drange dieſes
Gefühls Kirchen, Klöſter, Capellen, Kreuze errichtet, je nach
Rang und Mitteln des Stifters, meiſtens ein Zeugniß, daß die-
ſer dabei nicht blos an ſein liebes Ich und deſſen Verherrlichung
dachte. Derſelbe Sinn ſucht in neuerer Zeit ſich zu bethätigen
durch Stiftung eines Krankenhauſes oder ein Geldgeſchenk für
öffentliche Zwecke. Wünſcht der Geneſene etwas zu thun, das
Beſuchern aus allen Claſſen zu Gute kommt, ſo läßt er einen
Waldweg bahnen, oder baut eine Zufluchtsſtätte gegen Regen
(weniger auf entlegenen, ſelten beſuchten Gipfeln, ſondern vor-
züglich an Stellen, wo ſie der Maſſe der Spaziergänger zugute
kommt), oder nur eine Bank. Findet er jedoch für ſeine Ge-
fühle und Gedanken keinen andern Ausdruck, als vergoldete
Worte in Marmor oder Granit, die nur Vorwand ſcheinen,
auch ſeine werthe Adreſſe bekannt zu geben, ſo ſtellt er ſich
damit auf eine geiſtige Rangſtufe mit den Beſitzern der Hände,
welche in ihren Namen dermaßen verliebt ſind, daß ſie ihn
gern in jede Rinde ſchnitten, in jeden Stein grüben und auf
jedes Brett ſchrieben. ME SAXA LOQVVNTVR! Könn-
ten jene Liebhaber wohlfeiler Unſterblichkeit nur einige der
Bemerkungen hören, die ihre ſteinerne Selbſtgefälligkeit her-
vorruft, ſo würden ſie gewiß für ihre Lyrik die mindere
Oeffentlichkeit des Druckpapiers vorgezogen haben. Man
denke ſich nur in die Stimmung von Leuten, denen es obliegt,
ein Dutzend täglich wiederkehrender Mußeſtunden auszufüllen!
Schlägt das Heilverfahren gut an, ſo iſt der Gaſt luſtig,
ausgelaſſen, rückſichtslos; will’s mit ihm nicht recht vorwärts,
ſo ſucht er ſich luſtig zu machen über Alles, was ihm in den
Weg kommt, und iſt noch rückſichtsloſer. Seine gute wie ſeine
üble Laune läßt er beſonders gern aus an Monumenten der
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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/118>, abgerufen am 16.02.2025.
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