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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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Das Ministerium wünschte, sagt man, selber nicht, daß die Ver-
sammlung am 27. in Brandenburg zu Stande komme. Doch
wartete es auch da noch, als nur die beschlußunfähige Zahl von
154 Mitgliedern gegenwärtig war, um sich den Schein des Rech-
tes zu geben. Es sei, hieß es in einem halb-amtlichen Zeitungs-
aufsatz, das Ministerium in einer starken Unthätigkeit geblieben, um
zu sehen, ob die Versammlung noch Lebensfähigkeit habe, oder ob sie
sich selbst auflöse. Die folgenden Sitzungen waren nicht viel vollzäh-
liger. Endlich hatte die Mehrheit das Schwerste vollbracht; sie
hatte, der Stimme des Volkes hörend, sich selbst überwunden, und
gegen ihre Ueberzeugung, um des Vaterlandes Wohl, nach Bran-
denburg am 7. December zu gehen beschlossen, um auch dort ei-
nem volksfeindlichen Ministerium entgegenzutreten. Da war es
hohe Zeit für dieses, jene letzte Hoffnung des Volks auf eine
gesetzliche Lösung der Wirren zu vernichten. Eine Kriegslist,
welche die Rechte öfters gebraucht hatte, um nicht zu unterliegen,
nämlich den Saal zu verlassen, wurde am 1. December einem
Theil der Linken angedichtet, da sie doch ausdrücklich bemerkte, daß
sie nicht zum Beschließen, sondern blos darum gekommen sei, die
Ankunft der ganzen Mehrheit anzukündigen. Das große Ver-
brechen der Volksversammlung, was ihr die Auflösung zuzog, war
also der verlangte Aufschub einiger Tage! Und auf wie viel Tage
hatte das Ministerium sie aufgeschoben! Aber die Einberufung
derselben durch den Sprecher v. Unruh selbst galt, in den Augen
der Hofpartei, als ein neues Verbrechen; und man erklärte eine
Versammlung für lebensunfähig in dem Augenblicke, wo sich die
von der Regierung selbst zerschnittenen Glieder wieder zusammen-
fügen wollten.

Am 5. December wurde die Versammlung aufgelöst und eine
aufgedrungene Verfassung veröffentlicht. Man behandelte die
Rechte nicht besser, als die Linke. Selbst die Rechte wollte im
Dom zu Brandenburg nur das Recht der Verlegung, nicht das
der Vertagung an sich zugestehen. Man löste die Versammlung auf,
ohne es ihr in Person zu sagen. Eine Verwaltung, welche den
geheiligten Vertretern des Volks so gewaltsam entgegentritt, thut
sich selbst den größten Schaden. Wo soll im Volke Achtung vor
den nach der Willkür der Regierung eingesetzten Kammern her-

Das Miniſterium wünſchte, ſagt man, ſelber nicht, daß die Ver-
ſammlung am 27. in Brandenburg zu Stande komme. Doch
wartete es auch da noch, als nur die beſchlußunfähige Zahl von
154 Mitgliedern gegenwärtig war, um ſich den Schein des Rech-
tes zu geben. Es ſei, hieß es in einem halb-amtlichen Zeitungs-
aufſatz, das Miniſterium in einer ſtarken Unthätigkeit geblieben, um
zu ſehen, ob die Verſammlung noch Lebensfähigkeit habe, oder ob ſie
ſich ſelbſt auflöſe. Die folgenden Sitzungen waren nicht viel vollzäh-
liger. Endlich hatte die Mehrheit das Schwerſte vollbracht; ſie
hatte, der Stimme des Volkes hörend, ſich ſelbſt überwunden, und
gegen ihre Ueberzeugung, um des Vaterlandes Wohl, nach Bran-
denburg am 7. December zu gehen beſchloſſen, um auch dort ei-
nem volksfeindlichen Miniſterium entgegenzutreten. Da war es
hohe Zeit für dieſes, jene letzte Hoffnung des Volks auf eine
geſetzliche Löſung der Wirren zu vernichten. Eine Kriegsliſt,
welche die Rechte öfters gebraucht hatte, um nicht zu unterliegen,
nämlich den Saal zu verlaſſen, wurde am 1. December einem
Theil der Linken angedichtet, da ſie doch ausdrücklich bemerkte, daß
ſie nicht zum Beſchließen, ſondern blos darum gekommen ſei, die
Ankunft der ganzen Mehrheit anzukündigen. Das große Ver-
brechen der Volksverſammlung, was ihr die Auflöſung zuzog, war
alſo der verlangte Aufſchub einiger Tage! Und auf wie viel Tage
hatte das Miniſterium ſie aufgeſchoben! Aber die Einberufung
derſelben durch den Sprecher v. Unruh ſelbſt galt, in den Augen
der Hofpartei, als ein neues Verbrechen; und man erklärte eine
Verſammlung für lebensunfähig in dem Augenblicke, wo ſich die
von der Regierung ſelbſt zerſchnittenen Glieder wieder zuſammen-
fügen wollten.

Am 5. December wurde die Verſammlung aufgelöſt und eine
aufgedrungene Verfaſſung veröffentlicht. Man behandelte die
Rechte nicht beſſer, als die Linke. Selbſt die Rechte wollte im
Dom zu Brandenburg nur das Recht der Verlegung, nicht das
der Vertagung an ſich zugeſtehen. Man löſte die Verſammlung auf,
ohne es ihr in Perſon zu ſagen. Eine Verwaltung, welche den
geheiligten Vertretern des Volks ſo gewaltſam entgegentritt, thut
ſich ſelbſt den größten Schaden. Wo ſoll im Volke Achtung vor
den nach der Willkür der Regierung eingeſetzten Kammern her-

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[21/0031] Das Miniſterium wünſchte, ſagt man, ſelber nicht, daß die Ver- ſammlung am 27. in Brandenburg zu Stande komme. Doch wartete es auch da noch, als nur die beſchlußunfähige Zahl von 154 Mitgliedern gegenwärtig war, um ſich den Schein des Rech- tes zu geben. Es ſei, hieß es in einem halb-amtlichen Zeitungs- aufſatz, das Miniſterium in einer ſtarken Unthätigkeit geblieben, um zu ſehen, ob die Verſammlung noch Lebensfähigkeit habe, oder ob ſie ſich ſelbſt auflöſe. Die folgenden Sitzungen waren nicht viel vollzäh- liger. Endlich hatte die Mehrheit das Schwerſte vollbracht; ſie hatte, der Stimme des Volkes hörend, ſich ſelbſt überwunden, und gegen ihre Ueberzeugung, um des Vaterlandes Wohl, nach Bran- denburg am 7. December zu gehen beſchloſſen, um auch dort ei- nem volksfeindlichen Miniſterium entgegenzutreten. Da war es hohe Zeit für dieſes, jene letzte Hoffnung des Volks auf eine geſetzliche Löſung der Wirren zu vernichten. Eine Kriegsliſt, welche die Rechte öfters gebraucht hatte, um nicht zu unterliegen, nämlich den Saal zu verlaſſen, wurde am 1. December einem Theil der Linken angedichtet, da ſie doch ausdrücklich bemerkte, daß ſie nicht zum Beſchließen, ſondern blos darum gekommen ſei, die Ankunft der ganzen Mehrheit anzukündigen. Das große Ver- brechen der Volksverſammlung, was ihr die Auflöſung zuzog, war alſo der verlangte Aufſchub einiger Tage! Und auf wie viel Tage hatte das Miniſterium ſie aufgeſchoben! Aber die Einberufung derſelben durch den Sprecher v. Unruh ſelbſt galt, in den Augen der Hofpartei, als ein neues Verbrechen; und man erklärte eine Verſammlung für lebensunfähig in dem Augenblicke, wo ſich die von der Regierung ſelbſt zerſchnittenen Glieder wieder zuſammen- fügen wollten. Am 5. December wurde die Verſammlung aufgelöſt und eine aufgedrungene Verfaſſung veröffentlicht. Man behandelte die Rechte nicht beſſer, als die Linke. Selbſt die Rechte wollte im Dom zu Brandenburg nur das Recht der Verlegung, nicht das der Vertagung an ſich zugeſtehen. Man löſte die Verſammlung auf, ohne es ihr in Perſon zu ſagen. Eine Verwaltung, welche den geheiligten Vertretern des Volks ſo gewaltſam entgegentritt, thut ſich ſelbſt den größten Schaden. Wo ſoll im Volke Achtung vor den nach der Willkür der Regierung eingeſetzten Kammern her-

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/31>, abgerufen am 25.11.2024.