Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.constitutioneller König" zu bleiben versprach, sich in diesem Falle, Freilich, wem der Wurf gelingt in der Staatskunst, sagt man, conſtitutioneller König‟ zu bleiben verſprach, ſich in dieſem Falle, Freilich, wem der Wurf gelingt in der Staatskunſt, ſagt man, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0030" n="20"/> conſtitutioneller König‟ zu bleiben verſprach, ſich in dieſem Falle,<lb/> durch Verwirklichung der miniſteriellen Verantwortlichkeit, als eine<lb/> Wahrheit erweiſen konnten. Wenn aber Gefahr für die Krone<lb/> vorhanden war, ſo könnte ſie nur darin liegen, daß jener Weg<lb/> der Ungeſetzlichkeit betreten wurde. Die Wendung der Miniſter<lb/> gelang indeſſen in einem ſo jungen verfaſſungsmäßigen Leben noch<lb/> einmal; und nun drehten ſich auch viele ſtädtiſchen Behörden um.<lb/> Wozu das Volk ſich letztlich entſchließen wird, iſt noch unbeſtimmt. Aber<lb/> der Umſchwung der Meinungen hat ſchon längſt begonnen. Und die<lb/> Parteien ſtehen jetzt ziemlich gleich in der neuen Volksvertretung ein-<lb/> ander gegenüber, beſonders wenn man bedenkt, wie die Mehrheit meh-<lb/> rere ihrer Wahlen, die durchaus hätten beanſtandet werden müſſen,<lb/> durchließ. Ein ganz unabhängiger Gerichtshof müßte über ſolche<lb/> Fälle entſcheiden. Was aber das große Verbrechen der Steuer-<lb/> verweigerung betrifft, ſo bedenke man nur, wie England es<lb/> machte, das Land der Erbweisheit, um eine Reformbill zu erlan-<lb/> gen. Das Unterhaus hatte ſie angenommen, Lords und Krone<lb/> aber wollten ſie verwerfen. Da verweigert nicht das Unterhaus<lb/> die Steuern, ſondern jeder Bürger von London heftete an ſein Fen-<lb/> ſter eine Tafel: „Hier werden keine Taxen mehr bezahlt.‟ Hun-<lb/> derttauſend Männer marſchirten von Birmingham nach London,<lb/> um die Bill „dem großen Verräther‟ durch eine Sturmbittſchrift<lb/> abzutrotzen; und das Land erhielt die Reform.</p><lb/> <p>Freilich, wem der Wurf gelingt in der Staatskunſt, ſagt man,<lb/> der hat Recht; der Hochverrath wird zur „rettenden That.‟ Die<lb/> Verſammlung hätte aber auch dann immer nur einen ſtaatlichen<lb/> Fehler, nicht ein Verbrechen begangen, nämlich den, das Volk für<lb/> reifer gehalten zu haben, als es in der That wäre. Aber der Wurf iſt<lb/> den Miniſtern noch nicht ganz gelungen! Auch nicht, nachdem jene<lb/> Mehrheit in der Gefühls-Aeußerung der Anſprache an den<lb/> Fürſten die Anerkennung der Verfaſſung durchgeſetzt. Aber der<lb/> erſte Erfolg macht kühn; ſo beeilte ſich auch das Miniſterium,<lb/> den letzten Schritt mit der Auflöſung der Verſammlung zu thun.<lb/> Dieſelbe war ſchon längſt beſchloſſen, ungeachtet der Mahnungen<lb/><hi rendition="#g">Vincke’s,</hi> des Mannes des Rechtsbodens, dieſen nicht zu verlaſ-<lb/> ſen, wenn er nicht auf die äußerſte Linke treten ſolle. Die An-<lb/> hänger des Miniſteriums machten kein Hehl aus der Auflöſung.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [20/0030]
conſtitutioneller König‟ zu bleiben verſprach, ſich in dieſem Falle,
durch Verwirklichung der miniſteriellen Verantwortlichkeit, als eine
Wahrheit erweiſen konnten. Wenn aber Gefahr für die Krone
vorhanden war, ſo könnte ſie nur darin liegen, daß jener Weg
der Ungeſetzlichkeit betreten wurde. Die Wendung der Miniſter
gelang indeſſen in einem ſo jungen verfaſſungsmäßigen Leben noch
einmal; und nun drehten ſich auch viele ſtädtiſchen Behörden um.
Wozu das Volk ſich letztlich entſchließen wird, iſt noch unbeſtimmt. Aber
der Umſchwung der Meinungen hat ſchon längſt begonnen. Und die
Parteien ſtehen jetzt ziemlich gleich in der neuen Volksvertretung ein-
ander gegenüber, beſonders wenn man bedenkt, wie die Mehrheit meh-
rere ihrer Wahlen, die durchaus hätten beanſtandet werden müſſen,
durchließ. Ein ganz unabhängiger Gerichtshof müßte über ſolche
Fälle entſcheiden. Was aber das große Verbrechen der Steuer-
verweigerung betrifft, ſo bedenke man nur, wie England es
machte, das Land der Erbweisheit, um eine Reformbill zu erlan-
gen. Das Unterhaus hatte ſie angenommen, Lords und Krone
aber wollten ſie verwerfen. Da verweigert nicht das Unterhaus
die Steuern, ſondern jeder Bürger von London heftete an ſein Fen-
ſter eine Tafel: „Hier werden keine Taxen mehr bezahlt.‟ Hun-
derttauſend Männer marſchirten von Birmingham nach London,
um die Bill „dem großen Verräther‟ durch eine Sturmbittſchrift
abzutrotzen; und das Land erhielt die Reform.
Freilich, wem der Wurf gelingt in der Staatskunſt, ſagt man,
der hat Recht; der Hochverrath wird zur „rettenden That.‟ Die
Verſammlung hätte aber auch dann immer nur einen ſtaatlichen
Fehler, nicht ein Verbrechen begangen, nämlich den, das Volk für
reifer gehalten zu haben, als es in der That wäre. Aber der Wurf iſt
den Miniſtern noch nicht ganz gelungen! Auch nicht, nachdem jene
Mehrheit in der Gefühls-Aeußerung der Anſprache an den
Fürſten die Anerkennung der Verfaſſung durchgeſetzt. Aber der
erſte Erfolg macht kühn; ſo beeilte ſich auch das Miniſterium,
den letzten Schritt mit der Auflöſung der Verſammlung zu thun.
Dieſelbe war ſchon längſt beſchloſſen, ungeachtet der Mahnungen
Vincke’s, des Mannes des Rechtsbodens, dieſen nicht zu verlaſ-
ſen, wenn er nicht auf die äußerſte Linke treten ſolle. Die An-
hänger des Miniſteriums machten kein Hehl aus der Auflöſung.
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Zitationshilfe: | Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/30>, abgerufen am 16.07.2024. |