Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie sie nur ganz leise an dem Einen Grundpfeiler der un-
umschränkten Herrschaft, dem Beamtenstand, rüttelte, so ebenso an
dem zweiten, der Heer-Verfassung. Durch die Landwehr und die
ursprüngliche Einrichtung, nach der die ganze Wehrverfassung mit
der Erhebung Preußens und dem Abschütteln der Fremdherrschaft
geordnet worden war, sollte das Heer durchaus eins mit dem
Volke, kurz volksthümlich sein. Jn dem Bürgerwehrgesetze war
dies auch wieder in Aussicht gestellt, da in der Zwischenzeit der
Kastengeist immer mehr in das Heer war eingeführt worden, der
Krieger sich, durch seinen Rock, als ein Wesen anderer Art betrach-
ten sollte, das durch seine leibliche Kraft unbedingt das Volk be-
herrschen müsse. Namentlich hatte die Garde eine solche überhe-
bende Stellung angenommen. Die Bewaffnung der Bürgerwehr
und der Auszug der Garden am 19. März hatte diese Kluft zwi-
schen Volk und Heer noch um ein Bedeutendes vermehrt. Der
Garde wurde vorgesagt, sie müsse jene Scharte auswetzen. Und
wie schon seit Monaten prophezeit wurde, daß ein Radetzki, Win-
disch-Grätz und Jellachich, wenn sie erst mit Jtalien, Böhmen
und Ungarn fertig sein würden, nach Wien rücken würden, um
den Reichstag und die Volksthümlichen aufzuheben: so sollen dem
Preußischen Heere unter Wrangel in Schleswig ähnliche Ver-
heissungen gemacht worden sein. Die Rückschrittspartei war eifrig
bemüht, diese Gerüchte zu widerlegen. Der Berliner Reichstag
und das Volk trauten auf die Königlichen Märzverheissungen,
deren eine war, daß das Heer bei unruhigen Auftritten nicht
ohne das Verlangen der Bürgerschaft einschreiten solle.

Aus diesem Grunde blieb auch die Berliner Bevölkerung un-
besorgt, als bedeutende Truppenmassen um Berlin herumgelagert
wurden. Sie sind ja Volk vom Volk, sagte man; sie können uns
unsere Freiheiten nicht nehmen, sondern nur schützen, wenn wir
sie rufen. Der Zwiespalt des März schien ausgeglichen. Manche
Regimenter, die freilich schon ohne Zustimmung der Bürger in
die Stadt aufgenommen wurden, näherten sich den Bürgern, und
beide äußersten Parteien suchten die Soldaten für sich zu gewin-
nen. Ein Ereigniß legte den Keim zur unheilvollen Entscheidung,
unter der wir jetzt schmachten. Jn Schweidnitz wurden am
30. Juli mehrere, zum Schutz der öffentliche Ruhe herbeieilende

Wie ſie nur ganz leiſe an dem Einen Grundpfeiler der un-
umſchränkten Herrſchaft, dem Beamtenſtand, rüttelte, ſo ebenſo an
dem zweiten, der Heer-Verfaſſung. Durch die Landwehr und die
urſprüngliche Einrichtung, nach der die ganze Wehrverfaſſung mit
der Erhebung Preußens und dem Abſchütteln der Fremdherrſchaft
geordnet worden war, ſollte das Heer durchaus eins mit dem
Volke, kurz volksthümlich ſein. Jn dem Bürgerwehrgeſetze war
dies auch wieder in Ausſicht geſtellt, da in der Zwiſchenzeit der
Kaſtengeiſt immer mehr in das Heer war eingeführt worden, der
Krieger ſich, durch ſeinen Rock, als ein Weſen anderer Art betrach-
ten ſollte, das durch ſeine leibliche Kraft unbedingt das Volk be-
herrſchen müſſe. Namentlich hatte die Garde eine ſolche überhe-
bende Stellung angenommen. Die Bewaffnung der Bürgerwehr
und der Auszug der Garden am 19. März hatte dieſe Kluft zwi-
ſchen Volk und Heer noch um ein Bedeutendes vermehrt. Der
Garde wurde vorgeſagt, ſie müſſe jene Scharte auswetzen. Und
wie ſchon ſeit Monaten prophezeit wurde, daß ein Radetzki, Win-
diſch-Grätz und Jellachich, wenn ſie erſt mit Jtalien, Böhmen
und Ungarn fertig ſein würden, nach Wien rücken würden, um
den Reichstag und die Volksthümlichen aufzuheben: ſo ſollen dem
Preußiſchen Heere unter Wrangel in Schleswig ähnliche Ver-
heiſſungen gemacht worden ſein. Die Rückſchrittspartei war eifrig
bemüht, dieſe Gerüchte zu widerlegen. Der Berliner Reichstag
und das Volk trauten auf die Königlichen Märzverheiſſungen,
deren eine war, daß das Heer bei unruhigen Auftritten nicht
ohne das Verlangen der Bürgerſchaft einſchreiten ſolle.

Aus dieſem Grunde blieb auch die Berliner Bevölkerung un-
beſorgt, als bedeutende Truppenmaſſen um Berlin herumgelagert
wurden. Sie ſind ja Volk vom Volk, ſagte man; ſie können uns
unſere Freiheiten nicht nehmen, ſondern nur ſchützen, wenn wir
ſie rufen. Der Zwieſpalt des März ſchien ausgeglichen. Manche
Regimenter, die freilich ſchon ohne Zuſtimmung der Bürger in
die Stadt aufgenommen wurden, näherten ſich den Bürgern, und
beide äußerſten Parteien ſuchten die Soldaten für ſich zu gewin-
nen. Ein Ereigniß legte den Keim zur unheilvollen Entſcheidung,
unter der wir jetzt ſchmachten. Jn Schweidnitz wurden am
30. Juli mehrere, zum Schutz der öffentliche Ruhe herbeieilende

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0018" n="8"/>
        <p>Wie &#x017F;ie nur ganz lei&#x017F;e an dem Einen Grundpfeiler der un-<lb/>
um&#x017F;chränkten Herr&#x017F;chaft, dem Beamten&#x017F;tand, rüttelte, &#x017F;o eben&#x017F;o an<lb/>
dem zweiten, der Heer-Verfa&#x017F;&#x017F;ung. Durch die Landwehr und die<lb/>
ur&#x017F;prüngliche Einrichtung, nach der die ganze Wehrverfa&#x017F;&#x017F;ung mit<lb/>
der Erhebung Preußens und dem Ab&#x017F;chütteln der Fremdherr&#x017F;chaft<lb/>
geordnet worden war, &#x017F;ollte das Heer durchaus eins mit dem<lb/>
Volke, kurz volksthümlich &#x017F;ein. Jn dem Bürgerwehrge&#x017F;etze war<lb/>
dies auch wieder in Aus&#x017F;icht ge&#x017F;tellt, da in der Zwi&#x017F;chenzeit der<lb/>
Ka&#x017F;tengei&#x017F;t immer mehr in das Heer war eingeführt worden, der<lb/>
Krieger &#x017F;ich, durch &#x017F;einen Rock, als ein We&#x017F;en anderer Art betrach-<lb/>
ten &#x017F;ollte, das durch &#x017F;eine leibliche Kraft unbedingt das Volk be-<lb/>
herr&#x017F;chen mü&#x017F;&#x017F;e. Namentlich hatte die Garde eine &#x017F;olche überhe-<lb/>
bende Stellung angenommen. Die Bewaffnung der Bürgerwehr<lb/>
und der Auszug der Garden am 19. März hatte die&#x017F;e Kluft zwi-<lb/>
&#x017F;chen Volk und Heer noch um ein Bedeutendes vermehrt. Der<lb/>
Garde wurde vorge&#x017F;agt, &#x017F;ie mü&#x017F;&#x017F;e jene Scharte auswetzen. Und<lb/>
wie &#x017F;chon &#x017F;eit Monaten prophezeit wurde, daß ein Radetzki, Win-<lb/>
di&#x017F;ch-Grätz und Jellachich, wenn &#x017F;ie er&#x017F;t mit Jtalien, Böhmen<lb/>
und Ungarn fertig &#x017F;ein würden, nach Wien rücken würden, um<lb/>
den Reichstag und die Volksthümlichen aufzuheben: &#x017F;o &#x017F;ollen dem<lb/>
Preußi&#x017F;chen Heere unter <hi rendition="#g">Wrangel</hi> in Schleswig ähnliche Ver-<lb/>
hei&#x017F;&#x017F;ungen gemacht worden &#x017F;ein. Die Rück&#x017F;chrittspartei war eifrig<lb/>
bemüht, die&#x017F;e Gerüchte zu widerlegen. Der Berliner Reichstag<lb/>
und das Volk trauten auf die Königlichen Märzverhei&#x017F;&#x017F;ungen,<lb/>
deren eine war, daß das Heer bei unruhigen Auftritten nicht<lb/>
ohne das Verlangen der Bürger&#x017F;chaft ein&#x017F;chreiten &#x017F;olle.</p><lb/>
        <p>Aus die&#x017F;em Grunde blieb auch die Berliner Bevölkerung un-<lb/>
be&#x017F;orgt, als bedeutende Truppenma&#x017F;&#x017F;en um Berlin herumgelagert<lb/>
wurden. Sie &#x017F;ind ja Volk vom Volk, &#x017F;agte man; &#x017F;ie können uns<lb/>
un&#x017F;ere Freiheiten nicht nehmen, &#x017F;ondern nur &#x017F;chützen, wenn wir<lb/>
&#x017F;ie rufen. Der Zwie&#x017F;palt des März &#x017F;chien ausgeglichen. Manche<lb/>
Regimenter, die freilich &#x017F;chon ohne Zu&#x017F;timmung der Bürger in<lb/>
die Stadt aufgenommen wurden, näherten &#x017F;ich den Bürgern, und<lb/>
beide äußer&#x017F;ten Parteien &#x017F;uchten die Soldaten für &#x017F;ich zu gewin-<lb/>
nen. Ein Ereigniß legte den Keim zur unheilvollen Ent&#x017F;cheidung,<lb/>
unter der wir jetzt &#x017F;chmachten. Jn Schweidnitz wurden am<lb/>
30. Juli mehrere, zum Schutz der öffentliche Ruhe herbeieilende<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0018] Wie ſie nur ganz leiſe an dem Einen Grundpfeiler der un- umſchränkten Herrſchaft, dem Beamtenſtand, rüttelte, ſo ebenſo an dem zweiten, der Heer-Verfaſſung. Durch die Landwehr und die urſprüngliche Einrichtung, nach der die ganze Wehrverfaſſung mit der Erhebung Preußens und dem Abſchütteln der Fremdherrſchaft geordnet worden war, ſollte das Heer durchaus eins mit dem Volke, kurz volksthümlich ſein. Jn dem Bürgerwehrgeſetze war dies auch wieder in Ausſicht geſtellt, da in der Zwiſchenzeit der Kaſtengeiſt immer mehr in das Heer war eingeführt worden, der Krieger ſich, durch ſeinen Rock, als ein Weſen anderer Art betrach- ten ſollte, das durch ſeine leibliche Kraft unbedingt das Volk be- herrſchen müſſe. Namentlich hatte die Garde eine ſolche überhe- bende Stellung angenommen. Die Bewaffnung der Bürgerwehr und der Auszug der Garden am 19. März hatte dieſe Kluft zwi- ſchen Volk und Heer noch um ein Bedeutendes vermehrt. Der Garde wurde vorgeſagt, ſie müſſe jene Scharte auswetzen. Und wie ſchon ſeit Monaten prophezeit wurde, daß ein Radetzki, Win- diſch-Grätz und Jellachich, wenn ſie erſt mit Jtalien, Böhmen und Ungarn fertig ſein würden, nach Wien rücken würden, um den Reichstag und die Volksthümlichen aufzuheben: ſo ſollen dem Preußiſchen Heere unter Wrangel in Schleswig ähnliche Ver- heiſſungen gemacht worden ſein. Die Rückſchrittspartei war eifrig bemüht, dieſe Gerüchte zu widerlegen. Der Berliner Reichstag und das Volk trauten auf die Königlichen Märzverheiſſungen, deren eine war, daß das Heer bei unruhigen Auftritten nicht ohne das Verlangen der Bürgerſchaft einſchreiten ſolle. Aus dieſem Grunde blieb auch die Berliner Bevölkerung un- beſorgt, als bedeutende Truppenmaſſen um Berlin herumgelagert wurden. Sie ſind ja Volk vom Volk, ſagte man; ſie können uns unſere Freiheiten nicht nehmen, ſondern nur ſchützen, wenn wir ſie rufen. Der Zwieſpalt des März ſchien ausgeglichen. Manche Regimenter, die freilich ſchon ohne Zuſtimmung der Bürger in die Stadt aufgenommen wurden, näherten ſich den Bürgern, und beide äußerſten Parteien ſuchten die Soldaten für ſich zu gewin- nen. Ein Ereigniß legte den Keim zur unheilvollen Entſcheidung, unter der wir jetzt ſchmachten. Jn Schweidnitz wurden am 30. Juli mehrere, zum Schutz der öffentliche Ruhe herbeieilende

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/18
Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/18>, abgerufen am 28.03.2024.