Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.Die Volksvertretung, ohne weder auf Links noch auf Rechts Die Volksvertretung, ohne weder auf Links noch auf Rechts <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0017" n="7"/> <p>Die Volksvertretung, ohne weder auf Links noch auf Rechts<lb/> zu achten, ging ruhig ihren geſetzlichen Weg weiter. Sie beſchloß<lb/> die Abſchaffung der Todesſtrafe; ſie nahm das Geſetz zum Schutz<lb/> der perſönliche Freiheit, das Bürgerwehrgeſetz an; ſie hob die Un-<lb/> gerechtigkeit des Jagens auf fremdem Grund und Boden ohne<lb/> Entſchädigung auf; ſie bereitete eine Gemeinde-, ſo wie eine Kreis-<lb/> und Bezirks-Ordnung vor; ſie wollte die Ungleichheit der Be-<lb/> ſteuerung in den einzelnen Provinzen, ſo wie die höhere Be-<lb/> laſtung des kleinern Grundbeſitzes dem größern gegenüber abſchaf-<lb/> fen. Hierdurch brachte ſie die Rittergutsbeſitzer, welche von den<lb/> Vorrechten, die ſie bei der Grundſteuer genoſſen, nichts aufopfern<lb/> wollten, gegen ſich aufs Aeußerſte in Harniſch. Ein geſchloſſener<lb/> Bund gegen dieſe Neuerungen zog ſich durchs ganze Land; die<lb/> alten Beamten waren geblieben, und unterſtützten meiſt dieſe Rück-<lb/> ſchrittsbeſtrebungen. Zeitungen derſelben Partei wußten immer<lb/> mehr Mißtrauens-Anſprachen, die überall her gepreßt wurden,<lb/> gegen die Volksvertretung aufzutreiben. Jm Gefühl ihres Rech-<lb/> tes und ihrer Würde verlangte die Verſammlung vom Miniſte-<lb/> rium Auskunft wegen jener volksfeindlichen Beamten. Solche Zwi-<lb/> ſchenverhandlungen wurden auch als Zeitverſchwendungen von den<lb/> Gegnern der Verſammlung ausgebeutet, da doch ohne ſie der Gang<lb/> der Verwaltung von der Verſammlung, wie es in verfaſſungs-<lb/> mäßigen Staaten der Fall ſein muß, gar nicht überwacht werden<lb/> kann. Das Miniſterium ſah ſich genöthigt, unter dem 15. Juli<lb/> ein Rundſchreiben gegen die den Rückſchritt fördernden Beamten<lb/> zu erlaſſen, über die aus den Provinzen vielfache Klagen einliefen,<lb/> und ſie mit Entfernung vom Amte zu bedrohen. War das aber<lb/> hinreichend? Konnte das neue Werk mit den alten Trägern ge-<lb/> ſchaffen werden? Und hat das Volk und ſeine Vertreter hier<lb/> nicht, wie überall die größte Milde und Mäßigung gezeigt? Dieſe<lb/> Duldſamkeit iſt der Fehler der Verſammlung geweſen, indem ſie<lb/> nur langſam und allmählig vom Geiſte der Neuzeit ergriffen wurde.<lb/> Und gerade dieſer Umſtand hat ihre Gegner zu ihrer Vernichtung<lb/> ermuthigt. Denn auch ſchon was ſie wirklich that, wurde als ein<lb/> Uebergriff von ihrer Seite, als ein Eingriff in die ausübende<lb/> Gewalt dargeſtellt, während ihr nur die Geſetzgebung zukomme.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [7/0017]
Die Volksvertretung, ohne weder auf Links noch auf Rechts
zu achten, ging ruhig ihren geſetzlichen Weg weiter. Sie beſchloß
die Abſchaffung der Todesſtrafe; ſie nahm das Geſetz zum Schutz
der perſönliche Freiheit, das Bürgerwehrgeſetz an; ſie hob die Un-
gerechtigkeit des Jagens auf fremdem Grund und Boden ohne
Entſchädigung auf; ſie bereitete eine Gemeinde-, ſo wie eine Kreis-
und Bezirks-Ordnung vor; ſie wollte die Ungleichheit der Be-
ſteuerung in den einzelnen Provinzen, ſo wie die höhere Be-
laſtung des kleinern Grundbeſitzes dem größern gegenüber abſchaf-
fen. Hierdurch brachte ſie die Rittergutsbeſitzer, welche von den
Vorrechten, die ſie bei der Grundſteuer genoſſen, nichts aufopfern
wollten, gegen ſich aufs Aeußerſte in Harniſch. Ein geſchloſſener
Bund gegen dieſe Neuerungen zog ſich durchs ganze Land; die
alten Beamten waren geblieben, und unterſtützten meiſt dieſe Rück-
ſchrittsbeſtrebungen. Zeitungen derſelben Partei wußten immer
mehr Mißtrauens-Anſprachen, die überall her gepreßt wurden,
gegen die Volksvertretung aufzutreiben. Jm Gefühl ihres Rech-
tes und ihrer Würde verlangte die Verſammlung vom Miniſte-
rium Auskunft wegen jener volksfeindlichen Beamten. Solche Zwi-
ſchenverhandlungen wurden auch als Zeitverſchwendungen von den
Gegnern der Verſammlung ausgebeutet, da doch ohne ſie der Gang
der Verwaltung von der Verſammlung, wie es in verfaſſungs-
mäßigen Staaten der Fall ſein muß, gar nicht überwacht werden
kann. Das Miniſterium ſah ſich genöthigt, unter dem 15. Juli
ein Rundſchreiben gegen die den Rückſchritt fördernden Beamten
zu erlaſſen, über die aus den Provinzen vielfache Klagen einliefen,
und ſie mit Entfernung vom Amte zu bedrohen. War das aber
hinreichend? Konnte das neue Werk mit den alten Trägern ge-
ſchaffen werden? Und hat das Volk und ſeine Vertreter hier
nicht, wie überall die größte Milde und Mäßigung gezeigt? Dieſe
Duldſamkeit iſt der Fehler der Verſammlung geweſen, indem ſie
nur langſam und allmählig vom Geiſte der Neuzeit ergriffen wurde.
Und gerade dieſer Umſtand hat ihre Gegner zu ihrer Vernichtung
ermuthigt. Denn auch ſchon was ſie wirklich that, wurde als ein
Uebergriff von ihrer Seite, als ein Eingriff in die ausübende
Gewalt dargeſtellt, während ihr nur die Geſetzgebung zukomme.
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