Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

Bürgerwehrmänner von dem Gewehrfeuer einer Kompagnie Sol-
daten getödtet, die ganz widergesetzlich dazu den Befehl von ihrem
Führer bekommen hatte. Dieß veranlaßte die Versammlung am
9. August vom Ministerium, das auf eine desfallsige Anfrage
um Auskunft nur sehr ungenügend geantwortet hatte, einen ähn-
lichen Erlaß ans Heer zu verlangen, wie er auch an die Beam-
ten gerichtet war: Die Officiere möchten sich von Rückschritts-
Bestrebungen entfernt halten. Zu diesem mit bedeutender Mehr-
heit angenommenen Antrage des Abgeordneten Stein, wurde ein
Zusatz mit der Mehrheit von nur Einer Stimme gemacht: "Es
solle in diesem Rundschreiben den Officieren, mit deren staatlicher
Ueberzeugung der neue Rechtszustand nicht übereinstimme, zur
Ehrensache gemacht werden, ihren Abschied zu nehmen." Dieser
Zusatz wurde sogleich aufs Gehäßigste ausgebeutet; denn es ist
das Eigenthümliche der Partei, welche uns so lange beherrscht
hat, und die verlorenen Zügel wieder ergreifen will, durch ge-
waltsame Wortdeutungen die einfachsten Sachen in ein falsches
Licht zu setzen, um dadurch auf die Menge einzuwirken. Nichts
ist aber natürlicher, als daß nach einer Staatsumwälzung Kriegs-
und bürgerliche Beamte, die mit der neuen Ordnung der Dinge
sich in Widerspruch finden, von der Verwaltung selbst in Ruhe-
stand versetzt werden. Das ganze Zerwürfniß unsrer Zustände
rührt eben daher, daß dies nicht in ausgedehnterem Maaße ge-
schehen ist. Wenn man aber demjenigen, den man den bestehen-
den Gesetzen gemäß das Recht hat in Ruhestand zu versetzen, nur
den Rath giebt auszutreten, so ist das ein milderes Verfahren,
und keine Gewissensverfolgung, wie jene Partei es genannt hatte.

Die Minister selber schienen sich auch zunächst um diesen
Beschluß nicht weiter zu bekümmern; die Sache blieb auf sich be-
ruhen. Die Rückschrittsmänner aber stellten die Lehre auf, daß Eine
Stimme Mehrheit nicht den Ausschlag geben könne; und waren
bemüht, gerade an diesem Beispiele der Versammlung die
Ueberschreitung ihrer Befugnisse recht schlagend nachzuweisen
und vorzuwerfen. Ohne es zu wissen stützt sich dieser
Vorwurf auf die Lehre von der Trennung der Gewalten,
wie sie in der französischen Erklärung der Menschenrechte
vorkommt: "Ohne Trennung der Gewalten keine Freiheit."

Bürgerwehrmänner von dem Gewehrfeuer einer Kompagnie Sol-
daten getödtet, die ganz widergeſetzlich dazu den Befehl von ihrem
Führer bekommen hatte. Dieß veranlaßte die Verſammlung am
9. Auguſt vom Miniſterium, das auf eine desfallſige Anfrage
um Auskunft nur ſehr ungenügend geantwortet hatte, einen ähn-
lichen Erlaß ans Heer zu verlangen, wie er auch an die Beam-
ten gerichtet war: Die Officiere möchten ſich von Rückſchritts-
Beſtrebungen entfernt halten. Zu dieſem mit bedeutender Mehr-
heit angenommenen Antrage des Abgeordneten Stein, wurde ein
Zuſatz mit der Mehrheit von nur Einer Stimme gemacht: „Es
ſolle in dieſem Rundſchreiben den Officieren, mit deren ſtaatlicher
Ueberzeugung der neue Rechtszuſtand nicht übereinſtimme, zur
Ehrenſache gemacht werden, ihren Abſchied zu nehmen.‟ Dieſer
Zuſatz wurde ſogleich aufs Gehäßigſte ausgebeutet; denn es iſt
das Eigenthümliche der Partei, welche uns ſo lange beherrſcht
hat, und die verlorenen Zügel wieder ergreifen will, durch ge-
waltſame Wortdeutungen die einfachſten Sachen in ein falſches
Licht zu ſetzen, um dadurch auf die Menge einzuwirken. Nichts
iſt aber natürlicher, als daß nach einer Staatsumwälzung Kriegs-
und bürgerliche Beamte, die mit der neuen Ordnung der Dinge
ſich in Widerſpruch finden, von der Verwaltung ſelbſt in Ruhe-
ſtand verſetzt werden. Das ganze Zerwürfniß unſrer Zuſtände
rührt eben daher, daß dies nicht in ausgedehnterem Maaße ge-
ſchehen iſt. Wenn man aber demjenigen, den man den beſtehen-
den Geſetzen gemäß das Recht hat in Ruheſtand zu verſetzen, nur
den Rath giebt auszutreten, ſo iſt das ein milderes Verfahren,
und keine Gewiſſensverfolgung, wie jene Partei es genannt hatte.

Die Miniſter ſelber ſchienen ſich auch zunächſt um dieſen
Beſchluß nicht weiter zu bekümmern; die Sache blieb auf ſich be-
ruhen. Die Rückſchrittsmänner aber ſtellten die Lehre auf, daß Eine
Stimme Mehrheit nicht den Ausſchlag geben könne; und waren
bemüht, gerade an dieſem Beiſpiele der Verſammlung die
Ueberſchreitung ihrer Befugniſſe recht ſchlagend nachzuweiſen
und vorzuwerfen. Ohne es zu wiſſen ſtützt ſich dieſer
Vorwurf auf die Lehre von der Trennung der Gewalten,
wie ſie in der franzöſiſchen Erklärung der Menſchenrechte
vorkommt: „Ohne Trennung der Gewalten keine Freiheit.‟

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019" n="9"/>
Bürgerwehrmänner von dem Gewehrfeuer einer Kompagnie Sol-<lb/>
daten getödtet, die ganz widerge&#x017F;etzlich dazu den Befehl von ihrem<lb/>
Führer bekommen hatte. Dieß veranlaßte die Ver&#x017F;ammlung am<lb/>
9. Augu&#x017F;t vom Mini&#x017F;terium, das auf eine desfall&#x017F;ige Anfrage<lb/>
um Auskunft nur &#x017F;ehr ungenügend geantwortet hatte, einen ähn-<lb/>
lichen Erlaß ans Heer zu verlangen, wie er auch an die Beam-<lb/>
ten gerichtet war: Die Officiere möchten &#x017F;ich von Rück&#x017F;chritts-<lb/>
Be&#x017F;trebungen entfernt halten. Zu die&#x017F;em mit bedeutender Mehr-<lb/>
heit angenommenen Antrage des Abgeordneten <hi rendition="#g">Stein,</hi> wurde ein<lb/>
Zu&#x017F;atz mit der Mehrheit von nur Einer Stimme gemacht: &#x201E;Es<lb/>
&#x017F;olle in die&#x017F;em Rund&#x017F;chreiben den Officieren, mit deren &#x017F;taatlicher<lb/>
Ueberzeugung der neue Rechtszu&#x017F;tand nicht überein&#x017F;timme, zur<lb/>
Ehren&#x017F;ache gemacht werden, ihren Ab&#x017F;chied zu nehmen.&#x201F; Die&#x017F;er<lb/>
Zu&#x017F;atz wurde &#x017F;ogleich aufs Gehäßig&#x017F;te ausgebeutet; denn es i&#x017F;t<lb/>
das Eigenthümliche der Partei, welche uns &#x017F;o lange beherr&#x017F;cht<lb/>
hat, und die verlorenen Zügel wieder ergreifen will, durch ge-<lb/>
walt&#x017F;ame Wortdeutungen die einfach&#x017F;ten Sachen in ein fal&#x017F;ches<lb/>
Licht zu &#x017F;etzen, um dadurch auf die Menge einzuwirken. Nichts<lb/>
i&#x017F;t aber natürlicher, als daß nach einer Staatsumwälzung Kriegs-<lb/>
und bürgerliche Beamte, die mit der neuen Ordnung der Dinge<lb/>
&#x017F;ich in Wider&#x017F;pruch finden, von der Verwaltung &#x017F;elb&#x017F;t in Ruhe-<lb/>
&#x017F;tand ver&#x017F;etzt werden. Das ganze Zerwürfniß un&#x017F;rer Zu&#x017F;tände<lb/>
rührt eben daher, daß dies nicht in ausgedehnterem Maaße ge-<lb/>
&#x017F;chehen i&#x017F;t. Wenn man aber demjenigen, den man den be&#x017F;tehen-<lb/>
den Ge&#x017F;etzen gemäß das Recht hat in Ruhe&#x017F;tand zu ver&#x017F;etzen, nur<lb/>
den Rath giebt auszutreten, &#x017F;o i&#x017F;t das ein milderes Verfahren,<lb/>
und keine Gewi&#x017F;&#x017F;ensverfolgung, wie jene Partei es genannt hatte.</p><lb/>
        <p>Die Mini&#x017F;ter &#x017F;elber &#x017F;chienen &#x017F;ich auch zunäch&#x017F;t um die&#x017F;en<lb/>
Be&#x017F;chluß nicht weiter zu bekümmern; die Sache blieb auf &#x017F;ich be-<lb/>
ruhen. Die Rück&#x017F;chrittsmänner aber &#x017F;tellten die Lehre auf, daß Eine<lb/>
Stimme Mehrheit nicht den Aus&#x017F;chlag geben könne; und waren<lb/>
bemüht, gerade an die&#x017F;em Bei&#x017F;piele der Ver&#x017F;ammlung die<lb/>
Ueber&#x017F;chreitung ihrer Befugni&#x017F;&#x017F;e recht &#x017F;chlagend nachzuwei&#x017F;en<lb/>
und vorzuwerfen. Ohne es zu wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;tützt &#x017F;ich die&#x017F;er<lb/>
Vorwurf auf die Lehre von der Trennung der Gewalten,<lb/>
wie &#x017F;ie in der franzö&#x017F;i&#x017F;chen Erklärung der Men&#x017F;chenrechte<lb/>
vorkommt: &#x201E;Ohne Trennung der Gewalten keine Freiheit.&#x201F;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0019] Bürgerwehrmänner von dem Gewehrfeuer einer Kompagnie Sol- daten getödtet, die ganz widergeſetzlich dazu den Befehl von ihrem Führer bekommen hatte. Dieß veranlaßte die Verſammlung am 9. Auguſt vom Miniſterium, das auf eine desfallſige Anfrage um Auskunft nur ſehr ungenügend geantwortet hatte, einen ähn- lichen Erlaß ans Heer zu verlangen, wie er auch an die Beam- ten gerichtet war: Die Officiere möchten ſich von Rückſchritts- Beſtrebungen entfernt halten. Zu dieſem mit bedeutender Mehr- heit angenommenen Antrage des Abgeordneten Stein, wurde ein Zuſatz mit der Mehrheit von nur Einer Stimme gemacht: „Es ſolle in dieſem Rundſchreiben den Officieren, mit deren ſtaatlicher Ueberzeugung der neue Rechtszuſtand nicht übereinſtimme, zur Ehrenſache gemacht werden, ihren Abſchied zu nehmen.‟ Dieſer Zuſatz wurde ſogleich aufs Gehäßigſte ausgebeutet; denn es iſt das Eigenthümliche der Partei, welche uns ſo lange beherrſcht hat, und die verlorenen Zügel wieder ergreifen will, durch ge- waltſame Wortdeutungen die einfachſten Sachen in ein falſches Licht zu ſetzen, um dadurch auf die Menge einzuwirken. Nichts iſt aber natürlicher, als daß nach einer Staatsumwälzung Kriegs- und bürgerliche Beamte, die mit der neuen Ordnung der Dinge ſich in Widerſpruch finden, von der Verwaltung ſelbſt in Ruhe- ſtand verſetzt werden. Das ganze Zerwürfniß unſrer Zuſtände rührt eben daher, daß dies nicht in ausgedehnterem Maaße ge- ſchehen iſt. Wenn man aber demjenigen, den man den beſtehen- den Geſetzen gemäß das Recht hat in Ruheſtand zu verſetzen, nur den Rath giebt auszutreten, ſo iſt das ein milderes Verfahren, und keine Gewiſſensverfolgung, wie jene Partei es genannt hatte. Die Miniſter ſelber ſchienen ſich auch zunächſt um dieſen Beſchluß nicht weiter zu bekümmern; die Sache blieb auf ſich be- ruhen. Die Rückſchrittsmänner aber ſtellten die Lehre auf, daß Eine Stimme Mehrheit nicht den Ausſchlag geben könne; und waren bemüht, gerade an dieſem Beiſpiele der Verſammlung die Ueberſchreitung ihrer Befugniſſe recht ſchlagend nachzuweiſen und vorzuwerfen. Ohne es zu wiſſen ſtützt ſich dieſer Vorwurf auf die Lehre von der Trennung der Gewalten, wie ſie in der franzöſiſchen Erklärung der Menſchenrechte vorkommt: „Ohne Trennung der Gewalten keine Freiheit.‟

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/19
Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/19>, abgerufen am 24.11.2024.