studirt und ihr Handeln danach eingerichtet hätten. Aber dann hätten sie auch wissen müssen, daß eine Verfassung nicht so schnell, nicht in sechs Monaten geschaffen werden kann unter einem Volke, wo alles neu zu machen ist. Haben die Franzosen sie jetzt in einem halben Jahre zu Stande gebracht, so ist zu bemerken, daß sie im sechzigsten Jahre ihrer Staatsumwälzungen stehen, und also ein gut Stück Erfahrung vor uns voraus haben; mit solchen schweren Opfern haben sie das Lob praktischerer Menschen erkauft, und endlich Aussicht, fernern Erschütterungen zu entgehen. Und wie lange Jahre hat das Beamtenthum sich mit Umschmelzung des Preußischen Landrechts beschäftigt, ohne je zu Stande zu kommen?
Zum Unglück hatte die Preußische Volksvertretung auf Uh- lich's Antrag nach den erwähnten thätlichen Beleidigungen jener Abgeordneten den sehr vernünftigen Beschluß gefaßt, sich jede Schutzwache zu verbitten und sich dem Rechtsgefühl des Berliner Volks anzuvertrauen. Dies Vertrauen hatte sie nicht getäuscht. Die Versammlung blieb seitdem unverletzt. Aber die Rückschritts- partei, die stets verdächtigt, sah darin schon damals das Streben der Versammlung, sich auf die unmittelbare Gewalt des Volkes zu stützen. Dazu kam, daß die Führer des Volks und die Männer des Widerstands ihre Rollen vertauscht zu haben schienen. Die Volksredner ermahnten das Volk stets zur Ruhe, zur Gesetzlich- keit; -- natürlich, sie sahen ja, wie die Volksfreiheiten auf dem ruhigen Wege der Berathung der Volksvertreter sich allmählig entwickelten. Das brachte die Rückschrittspartei eben am meisten in Verzweifelung. Das konnte sie nicht ertragen. Die Gerüchte von vornehmen Herren, welche Arbeiter mit vielem Gelde besta- chen und trunken machten, um Unruhen zu stiften, häuften sich im- mer mehr. Gerichtlich steht bis jetzt nur dies fest, daß Graf Bresler, einem Rückschritts-Klub angehörig, verurtheilt worden, weil er zum Bau einer Barrikade aufgefordert hat: der Lehrer Erdtmann am 31. October die Arbeiter zu dem Aufruhr gereizt hatte, den die Führer der volksthümlichen Partei eben verhindern wollten. Daß Soldaten im trunkenen Zustande aufgestachelt wor- den waren, in einen volksthümlichen Bürgerverein zu Potsdam einzudringen und die gröbsten Ausschweifungen zu begehen, liegt auch außer allem Zweifel.
ſtudirt und ihr Handeln danach eingerichtet hätten. Aber dann hätten ſie auch wiſſen müſſen, daß eine Verfaſſung nicht ſo ſchnell, nicht in ſechs Monaten geſchaffen werden kann unter einem Volke, wo alles neu zu machen iſt. Haben die Franzoſen ſie jetzt in einem halben Jahre zu Stande gebracht, ſo iſt zu bemerken, daß ſie im ſechzigſten Jahre ihrer Staatsumwälzungen ſtehen, und alſo ein gut Stück Erfahrung vor uns voraus haben; mit ſolchen ſchweren Opfern haben ſie das Lob praktiſcherer Menſchen erkauft, und endlich Ausſicht, fernern Erſchütterungen zu entgehen. Und wie lange Jahre hat das Beamtenthum ſich mit Umſchmelzung des Preußiſchen Landrechts beſchäftigt, ohne je zu Stande zu kommen?
Zum Unglück hatte die Preußiſche Volksvertretung auf Uh- lich’s Antrag nach den erwähnten thätlichen Beleidigungen jener Abgeordneten den ſehr vernünftigen Beſchluß gefaßt, ſich jede Schutzwache zu verbitten und ſich dem Rechtsgefühl des Berliner Volks anzuvertrauen. Dies Vertrauen hatte ſie nicht getäuſcht. Die Verſammlung blieb ſeitdem unverletzt. Aber die Rückſchritts- partei, die ſtets verdächtigt, ſah darin ſchon damals das Streben der Verſammlung, ſich auf die unmittelbare Gewalt des Volkes zu ſtützen. Dazu kam, daß die Führer des Volks und die Männer des Widerſtands ihre Rollen vertauſcht zu haben ſchienen. Die Volksredner ermahnten das Volk ſtets zur Ruhe, zur Geſetzlich- keit; — natürlich, ſie ſahen ja, wie die Volksfreiheiten auf dem ruhigen Wege der Berathung der Volksvertreter ſich allmählig entwickelten. Das brachte die Rückſchrittspartei eben am meiſten in Verzweifelung. Das konnte ſie nicht ertragen. Die Gerüchte von vornehmen Herren, welche Arbeiter mit vielem Gelde beſta- chen und trunken machten, um Unruhen zu ſtiften, häuften ſich im- mer mehr. Gerichtlich ſteht bis jetzt nur dies feſt, daß Graf Bresler, einem Rückſchritts-Klub angehörig, verurtheilt worden, weil er zum Bau einer Barrikade aufgefordert hat: der Lehrer Erdtmann am 31. October die Arbeiter zu dem Aufruhr gereizt hatte, den die Führer der volksthümlichen Partei eben verhindern wollten. Daß Soldaten im trunkenen Zuſtande aufgeſtachelt wor- den waren, in einen volksthümlichen Bürgerverein zu Potsdam einzudringen und die gröbſten Ausſchweifungen zu begehen, liegt auch außer allem Zweifel.
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[6/0016]
ſtudirt und ihr Handeln danach eingerichtet hätten. Aber dann
hätten ſie auch wiſſen müſſen, daß eine Verfaſſung nicht ſo ſchnell,
nicht in ſechs Monaten geſchaffen werden kann unter einem Volke,
wo alles neu zu machen iſt. Haben die Franzoſen ſie jetzt in einem
halben Jahre zu Stande gebracht, ſo iſt zu bemerken, daß ſie im
ſechzigſten Jahre ihrer Staatsumwälzungen ſtehen, und alſo ein gut
Stück Erfahrung vor uns voraus haben; mit ſolchen ſchweren
Opfern haben ſie das Lob praktiſcherer Menſchen erkauft, und
endlich Ausſicht, fernern Erſchütterungen zu entgehen. Und wie
lange Jahre hat das Beamtenthum ſich mit Umſchmelzung des
Preußiſchen Landrechts beſchäftigt, ohne je zu Stande zu kommen?
Zum Unglück hatte die Preußiſche Volksvertretung auf Uh-
lich’s Antrag nach den erwähnten thätlichen Beleidigungen jener
Abgeordneten den ſehr vernünftigen Beſchluß gefaßt, ſich jede
Schutzwache zu verbitten und ſich dem Rechtsgefühl des Berliner
Volks anzuvertrauen. Dies Vertrauen hatte ſie nicht getäuſcht.
Die Verſammlung blieb ſeitdem unverletzt. Aber die Rückſchritts-
partei, die ſtets verdächtigt, ſah darin ſchon damals das Streben
der Verſammlung, ſich auf die unmittelbare Gewalt des Volkes zu
ſtützen. Dazu kam, daß die Führer des Volks und die Männer
des Widerſtands ihre Rollen vertauſcht zu haben ſchienen. Die
Volksredner ermahnten das Volk ſtets zur Ruhe, zur Geſetzlich-
keit; — natürlich, ſie ſahen ja, wie die Volksfreiheiten auf dem
ruhigen Wege der Berathung der Volksvertreter ſich allmählig
entwickelten. Das brachte die Rückſchrittspartei eben am meiſten
in Verzweifelung. Das konnte ſie nicht ertragen. Die Gerüchte
von vornehmen Herren, welche Arbeiter mit vielem Gelde beſta-
chen und trunken machten, um Unruhen zu ſtiften, häuften ſich im-
mer mehr. Gerichtlich ſteht bis jetzt nur dies feſt, daß Graf
Bresler, einem Rückſchritts-Klub angehörig, verurtheilt worden,
weil er zum Bau einer Barrikade aufgefordert hat: der Lehrer
Erdtmann am 31. October die Arbeiter zu dem Aufruhr gereizt
hatte, den die Führer der volksthümlichen Partei eben verhindern
wollten. Daß Soldaten im trunkenen Zuſtande aufgeſtachelt wor-
den waren, in einen volksthümlichen Bürgerverein zu Potsdam
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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/16>, abgerufen am 16.02.2025.
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