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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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er die Pfarrmagd, und von dem Alten schon früher beordert, auf sie und Tobias ein Auge zu haben, schlich er ihr nach. Als er sie in seinen Garten schlüpfen sah, ging er in den Hof und bestieg eine an die Schupfe angelehnte Leiter, um zu sehen, was dort geschehen sollte. Bei der Begrüßung der Bäbe hatte Tobias einen Arm neben dem Gebüsch hervorblicken lassen, und der feindliche Bruder wußte genug. In der Freude seines Herzens riß er die Leiter um, stürzte selber mit ihr und begab sich erst, nachdem er sich erholt und gesäubert hatte, ins Wirthshaus. Es verging einige Zeit, ehe er den in behaglichem Discurs begriffenen Vater dazu bringen konnte, ihm in den Wirthshof zu folgen und seine Zeitung zu vernehmen. Um so heftiger wirkte diese. Mit dem größten Zorn über den heimtückischen Verräther ging der Alte nach Hause, grimmige Gedanken schossen auf dem Weg in ihm auf, aber sein starker Geist blieb Herr der Situation. Vorsichtig öffnete er die Gartenthüre am Hof, leise schlich er ans Gebüsch und kam eben recht, die letzten Reden des Sohnes zu vernehmen.

Wie er dastand vor Tobias, hätte er auch einem Andern, der sich gegen ihr vergangen, schrecklich erscheinen können. In dunklem Gewand, die Pelzkappe auf die Stirn gedrückt, die Augenbrauen zusammengezogen und starrend, die Nasenflügel in Bewegung, die Lippen auf einander gepreßt, das ganze Gesicht in dem unheimlichen Schein zurückgehaltener Wuth glänzend, schien er ein böser Geist zu sein, der aus der Erde emporgestie-

er die Pfarrmagd, und von dem Alten schon früher beordert, auf sie und Tobias ein Auge zu haben, schlich er ihr nach. Als er sie in seinen Garten schlüpfen sah, ging er in den Hof und bestieg eine an die Schupfe angelehnte Leiter, um zu sehen, was dort geschehen sollte. Bei der Begrüßung der Bäbe hatte Tobias einen Arm neben dem Gebüsch hervorblicken lassen, und der feindliche Bruder wußte genug. In der Freude seines Herzens riß er die Leiter um, stürzte selber mit ihr und begab sich erst, nachdem er sich erholt und gesäubert hatte, ins Wirthshaus. Es verging einige Zeit, ehe er den in behaglichem Discurs begriffenen Vater dazu bringen konnte, ihm in den Wirthshof zu folgen und seine Zeitung zu vernehmen. Um so heftiger wirkte diese. Mit dem größten Zorn über den heimtückischen Verräther ging der Alte nach Hause, grimmige Gedanken schossen auf dem Weg in ihm auf, aber sein starker Geist blieb Herr der Situation. Vorsichtig öffnete er die Gartenthüre am Hof, leise schlich er ans Gebüsch und kam eben recht, die letzten Reden des Sohnes zu vernehmen.

Wie er dastand vor Tobias, hätte er auch einem Andern, der sich gegen ihr vergangen, schrecklich erscheinen können. In dunklem Gewand, die Pelzkappe auf die Stirn gedrückt, die Augenbrauen zusammengezogen und starrend, die Nasenflügel in Bewegung, die Lippen auf einander gepreßt, das ganze Gesicht in dem unheimlichen Schein zurückgehaltener Wuth glänzend, schien er ein böser Geist zu sein, der aus der Erde emporgestie-

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[0063] er die Pfarrmagd, und von dem Alten schon früher beordert, auf sie und Tobias ein Auge zu haben, schlich er ihr nach. Als er sie in seinen Garten schlüpfen sah, ging er in den Hof und bestieg eine an die Schupfe angelehnte Leiter, um zu sehen, was dort geschehen sollte. Bei der Begrüßung der Bäbe hatte Tobias einen Arm neben dem Gebüsch hervorblicken lassen, und der feindliche Bruder wußte genug. In der Freude seines Herzens riß er die Leiter um, stürzte selber mit ihr und begab sich erst, nachdem er sich erholt und gesäubert hatte, ins Wirthshaus. Es verging einige Zeit, ehe er den in behaglichem Discurs begriffenen Vater dazu bringen konnte, ihm in den Wirthshof zu folgen und seine Zeitung zu vernehmen. Um so heftiger wirkte diese. Mit dem größten Zorn über den heimtückischen Verräther ging der Alte nach Hause, grimmige Gedanken schossen auf dem Weg in ihm auf, aber sein starker Geist blieb Herr der Situation. Vorsichtig öffnete er die Gartenthüre am Hof, leise schlich er ans Gebüsch und kam eben recht, die letzten Reden des Sohnes zu vernehmen. Wie er dastand vor Tobias, hätte er auch einem Andern, der sich gegen ihr vergangen, schrecklich erscheinen können. In dunklem Gewand, die Pelzkappe auf die Stirn gedrückt, die Augenbrauen zusammengezogen und starrend, die Nasenflügel in Bewegung, die Lippen auf einander gepreßt, das ganze Gesicht in dem unheimlichen Schein zurückgehaltener Wuth glänzend, schien er ein böser Geist zu sein, der aus der Erde emporgestie-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/63>, abgerufen am 20.05.2024.