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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gen war, um ein Opfer zu holen. In der Rechten hielt er seine Tabakspfeife, einen großen Ulmerkopf, der in seiner Hand genügt hätte, einem Widerspenstigen den Garaus zu machen. Doch er bediente sich dieses Instrumentes nicht, ihm genügte der Blick seiner Augen; mit diesen, die fest auf ihn gerichtet waren, durchbohrte er den Ertappten und Erstarrten und schien ihn völlig vernichten zu wollen.

Tobias hatte nur das fürchterliche Bild vor Augen und die Strafen, die ihn jetzt wegen des verübten Frevels unausbleiblich treffen müßten. Alle anderen Kräfte waren aus ihm gewichen, er konnte nichts mehr denken und sich vorstellen, er hatte keinen Willen und kein Gedächtniß mehr, er war nichts mehr als ein Gefäß der Sündenangst und der Gerichtsfurcht. Aber plötzlich machte er eine Anstrengung. Es schien, als wolle er sich aus der Betäubung reißen, in die ihn das überraschende Phantom versetzt hatte; als wolle er sich ermannen, den Zauber brechen, der auf ihm lastete, und ein Mensch dem Menschen entgegentreten. Seine Glieder bewegten sich, er erhob den Kopf, wendete sich und -- lief davon. --

Die Bäbe hatte sich nach einem kurzen Moment der Betroffenheit gefaßt; aller Muth war ihr gekommen und damit der Gedanke, daß man diesen Ueberfall benutzen müsse, um die Sache sogleich zur Entscheidung zu bringen. Als Tobias sich aufrichtete, hatte sie gehofft, er wollte in diesem Sinne handeln und seine Verzagt-

gen war, um ein Opfer zu holen. In der Rechten hielt er seine Tabakspfeife, einen großen Ulmerkopf, der in seiner Hand genügt hätte, einem Widerspenstigen den Garaus zu machen. Doch er bediente sich dieses Instrumentes nicht, ihm genügte der Blick seiner Augen; mit diesen, die fest auf ihn gerichtet waren, durchbohrte er den Ertappten und Erstarrten und schien ihn völlig vernichten zu wollen.

Tobias hatte nur das fürchterliche Bild vor Augen und die Strafen, die ihn jetzt wegen des verübten Frevels unausbleiblich treffen müßten. Alle anderen Kräfte waren aus ihm gewichen, er konnte nichts mehr denken und sich vorstellen, er hatte keinen Willen und kein Gedächtniß mehr, er war nichts mehr als ein Gefäß der Sündenangst und der Gerichtsfurcht. Aber plötzlich machte er eine Anstrengung. Es schien, als wolle er sich aus der Betäubung reißen, in die ihn das überraschende Phantom versetzt hatte; als wolle er sich ermannen, den Zauber brechen, der auf ihm lastete, und ein Mensch dem Menschen entgegentreten. Seine Glieder bewegten sich, er erhob den Kopf, wendete sich und — lief davon. —

Die Bäbe hatte sich nach einem kurzen Moment der Betroffenheit gefaßt; aller Muth war ihr gekommen und damit der Gedanke, daß man diesen Ueberfall benutzen müsse, um die Sache sogleich zur Entscheidung zu bringen. Als Tobias sich aufrichtete, hatte sie gehofft, er wollte in diesem Sinne handeln und seine Verzagt-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/64>, abgerufen am 27.11.2024.