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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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durch Fragen in Verlegenheit setzte. Dieser hielt ihn aber bloß für erhitzt und trug ihm eine Arbeit auf, ohne ihn weiter anzusehen; und nach und nach lernte der Gute in sein Glück sich finden und empfand die Seligkeit jener heimlichen Liebe, die bekanntlich heißer brennt, als eine glühende Kohle, eine Reihe von Tagen -- den schönsten seines Lebens. Ohnehin war's im Monat Mai, wo Alles in Blüte stand, die Vögel in Lüften und auf Bäumen wonniglich sangen und auch der gewöhnliche Bauernbursche die Welt "lieble" findet, um wie viel mehr ein liebender Schneider, der schon an sich zarter empfinden konnte, als irgend Einer im Dorfe! Die Beiden wußten es einzurichten, daß sie sich wenigstens flüchtig sahen -- und was brauchten sie zunächst mehr? Sie hatten ja die Gefühle der ersten Liebe, die herrlicher sind als Alles, was die Welt bieten kann. In dem Licht der Freude war es dem Schneider, als ob es kein Hinderniß gäbe für ihn und er Alles durchsetzen müßte, was er nur ernstlich wollte; und darum belebte fröhliche Hoffnung sein Herz, und er sah in die Zukunft, als ob er das Wünschhütlein besäße und nur sagen dürfte, das möcht' ich -- so hatt' er's!

Da trat plötzlich ein Ereigniß ein, das ihn aus dem Paradies, in welchem er sich und die Welt vergessen hatte, gewaltsam herausriß, indem es von ihm eine Entscheidung und, statt holder und beglückender Vorstellungen, eine That verlangte.

durch Fragen in Verlegenheit setzte. Dieser hielt ihn aber bloß für erhitzt und trug ihm eine Arbeit auf, ohne ihn weiter anzusehen; und nach und nach lernte der Gute in sein Glück sich finden und empfand die Seligkeit jener heimlichen Liebe, die bekanntlich heißer brennt, als eine glühende Kohle, eine Reihe von Tagen — den schönsten seines Lebens. Ohnehin war's im Monat Mai, wo Alles in Blüte stand, die Vögel in Lüften und auf Bäumen wonniglich sangen und auch der gewöhnliche Bauernbursche die Welt „lieble“ findet, um wie viel mehr ein liebender Schneider, der schon an sich zarter empfinden konnte, als irgend Einer im Dorfe! Die Beiden wußten es einzurichten, daß sie sich wenigstens flüchtig sahen — und was brauchten sie zunächst mehr? Sie hatten ja die Gefühle der ersten Liebe, die herrlicher sind als Alles, was die Welt bieten kann. In dem Licht der Freude war es dem Schneider, als ob es kein Hinderniß gäbe für ihn und er Alles durchsetzen müßte, was er nur ernstlich wollte; und darum belebte fröhliche Hoffnung sein Herz, und er sah in die Zukunft, als ob er das Wünschhütlein besäße und nur sagen dürfte, das möcht' ich — so hatt' er's!

Da trat plötzlich ein Ereigniß ein, das ihn aus dem Paradies, in welchem er sich und die Welt vergessen hatte, gewaltsam herausriß, indem es von ihm eine Entscheidung und, statt holder und beglückender Vorstellungen, eine That verlangte.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/32>, abgerufen am 24.11.2024.