Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.II. Der Weber hatte außer der Sibylle noch zwei Kinder, einen Sohn, der Soldat war, eine jüngere Tochter, die noch in die Schule ging. Dem Sohn war natürlich die Sölde zugedacht, und da er im letzten Dienstjahre stand, so hätte er sie um so früher übernommen, als er dadurch auch den Wünschen des nicht mehr ganz rüstigen und etwas bequemen Vaters entgegenkam. Da traf eines Tages die Meldung ein, daß er in der Garnison an einer dort grassirenden Seuche plötzlich gestorben sei. Durch diesen Todesfall war der Stand der Dinge mit Einemmal verändert; und nachdem eine Woche in aufrichtiger Trauer und Theilnahme verflossen war, konnten die Betheiligten nicht umhin, ihn zu betrachten und ihre Entschließungen darnach einzurichten. Sibylle war jetzt nicht nur eine bessere Partie, sondern hatte auch Aussicht, Hauserbin zu werden, und eine solche hat für den Bauern stets einen eigenthümlichen Werth, indem sie das Herumsuchen nach einem Anwesen überflüssig macht und als der Vogel, der im Neste bleibt, auch bei der Theilung am besten wegzukommen pflegt. Bei der Gesinnung des Alten hatte es alle Wahrscheinlichkeit, daß er die Sölde an die ältere Tochter abgab, sofern sich ein Mann fand, der ihm besonders erwünscht sein mußte. II. Der Weber hatte außer der Sibylle noch zwei Kinder, einen Sohn, der Soldat war, eine jüngere Tochter, die noch in die Schule ging. Dem Sohn war natürlich die Sölde zugedacht, und da er im letzten Dienstjahre stand, so hätte er sie um so früher übernommen, als er dadurch auch den Wünschen des nicht mehr ganz rüstigen und etwas bequemen Vaters entgegenkam. Da traf eines Tages die Meldung ein, daß er in der Garnison an einer dort grassirenden Seuche plötzlich gestorben sei. Durch diesen Todesfall war der Stand der Dinge mit Einemmal verändert; und nachdem eine Woche in aufrichtiger Trauer und Theilnahme verflossen war, konnten die Betheiligten nicht umhin, ihn zu betrachten und ihre Entschließungen darnach einzurichten. Sibylle war jetzt nicht nur eine bessere Partie, sondern hatte auch Aussicht, Hauserbin zu werden, und eine solche hat für den Bauern stets einen eigenthümlichen Werth, indem sie das Herumsuchen nach einem Anwesen überflüssig macht und als der Vogel, der im Neste bleibt, auch bei der Theilung am besten wegzukommen pflegt. Bei der Gesinnung des Alten hatte es alle Wahrscheinlichkeit, daß er die Sölde an die ältere Tochter abgab, sofern sich ein Mann fand, der ihm besonders erwünscht sein mußte. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0033"/> <div type="chapter" n="2"> <head>II.</head> <p>Der Weber hatte außer der Sibylle noch zwei Kinder, einen Sohn, der Soldat war, eine jüngere Tochter, die noch in die Schule ging. Dem Sohn war natürlich die Sölde zugedacht, und da er im letzten Dienstjahre stand, so hätte er sie um so früher übernommen, als er dadurch auch den Wünschen des nicht mehr ganz rüstigen und etwas bequemen Vaters entgegenkam. Da traf eines Tages die Meldung ein, daß er in der Garnison an einer dort grassirenden Seuche plötzlich gestorben sei. Durch diesen Todesfall war der Stand der Dinge mit Einemmal verändert; und nachdem eine Woche in aufrichtiger Trauer und Theilnahme verflossen war, konnten die Betheiligten nicht umhin, ihn zu betrachten und ihre Entschließungen darnach einzurichten.</p><lb/> <p>Sibylle war jetzt nicht nur eine bessere Partie, sondern hatte auch Aussicht, Hauserbin zu werden, und eine solche hat für den Bauern stets einen eigenthümlichen Werth, indem sie das Herumsuchen nach einem Anwesen überflüssig macht und als der Vogel, der im Neste bleibt, auch bei der Theilung am besten wegzukommen pflegt. Bei der Gesinnung des Alten hatte es alle Wahrscheinlichkeit, daß er die Sölde an die ältere Tochter abgab, sofern sich ein Mann fand, der ihm besonders erwünscht sein mußte.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0033]
II. Der Weber hatte außer der Sibylle noch zwei Kinder, einen Sohn, der Soldat war, eine jüngere Tochter, die noch in die Schule ging. Dem Sohn war natürlich die Sölde zugedacht, und da er im letzten Dienstjahre stand, so hätte er sie um so früher übernommen, als er dadurch auch den Wünschen des nicht mehr ganz rüstigen und etwas bequemen Vaters entgegenkam. Da traf eines Tages die Meldung ein, daß er in der Garnison an einer dort grassirenden Seuche plötzlich gestorben sei. Durch diesen Todesfall war der Stand der Dinge mit Einemmal verändert; und nachdem eine Woche in aufrichtiger Trauer und Theilnahme verflossen war, konnten die Betheiligten nicht umhin, ihn zu betrachten und ihre Entschließungen darnach einzurichten.
Sibylle war jetzt nicht nur eine bessere Partie, sondern hatte auch Aussicht, Hauserbin zu werden, und eine solche hat für den Bauern stets einen eigenthümlichen Werth, indem sie das Herumsuchen nach einem Anwesen überflüssig macht und als der Vogel, der im Neste bleibt, auch bei der Theilung am besten wegzukommen pflegt. Bei der Gesinnung des Alten hatte es alle Wahrscheinlichkeit, daß er die Sölde an die ältere Tochter abgab, sofern sich ein Mann fand, der ihm besonders erwünscht sein mußte.
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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