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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mit einander reden. Ich hoff', du kannst etwas Vernünftiges anhören? -- Das schon, erwiderte Tobias verwundert. Grad heut! -- Das ist gut, versetzte der alte Schneider. Also kurz von der Sach' g'red't! Der junge Schuster hat heute Vormittag um die Sibylle anhalten lassen, die hat aber nicht Ja gesagt, sondern sich drei Tage Bedenkzeit ausgebeten, weil sie dich immer noch lieber hat und hofft, daß du jetzt, wenn du den Ernst siehst, deinen dummen Handel mit der Pfarrmagd lassen und zu ihr kommen wirst. Das hat mir Einer gesagt, der von dem Weber dazu den Auftrag gehabt hat. Der Weber giebt auch das Haus ab, und noch dazu weit billiger, als ich gedacht hab'. Also entschließ dich kurz, zieh dich an, und wir machen den Handel heut noch richtig. -- Tobias hatte mit steigender Verwunderung gehorcht; jetzt verzog er den Mund zu einem spöttischen Lächeln und erwiderte spielend: Ich glaub's nicht! Das machst du mir nur vor! -- Ich mach' dir nichts vor, entgegnete der Vater streng. Was ich sag', ist die lautere Wahrheit!

In der That verhielt es sich so. Die Sibylle, die von dem Verhältniß des jungen Schneiders zur Bäbe keine Ahnung gehabt und immer hoffend gewartet hatte, war freilich tief beleidigt durch die Streiche, die sie von ihm erfuhr, und verachtete ihn drei Tage lang von ganzem Herzen. Nach und nach trat aber doch die alte Neigung wieder hervor, sie dachte sich das Zusammenleben mit dem hübschen, bösen Menschen angenehmer als

mit einander reden. Ich hoff', du kannst etwas Vernünftiges anhören? — Das schon, erwiderte Tobias verwundert. Grad heut! — Das ist gut, versetzte der alte Schneider. Also kurz von der Sach' g'red't! Der junge Schuster hat heute Vormittag um die Sibylle anhalten lassen, die hat aber nicht Ja gesagt, sondern sich drei Tage Bedenkzeit ausgebeten, weil sie dich immer noch lieber hat und hofft, daß du jetzt, wenn du den Ernst siehst, deinen dummen Handel mit der Pfarrmagd lassen und zu ihr kommen wirst. Das hat mir Einer gesagt, der von dem Weber dazu den Auftrag gehabt hat. Der Weber giebt auch das Haus ab, und noch dazu weit billiger, als ich gedacht hab'. Also entschließ dich kurz, zieh dich an, und wir machen den Handel heut noch richtig. — Tobias hatte mit steigender Verwunderung gehorcht; jetzt verzog er den Mund zu einem spöttischen Lächeln und erwiderte spielend: Ich glaub's nicht! Das machst du mir nur vor! — Ich mach' dir nichts vor, entgegnete der Vater streng. Was ich sag', ist die lautere Wahrheit!

In der That verhielt es sich so. Die Sibylle, die von dem Verhältniß des jungen Schneiders zur Bäbe keine Ahnung gehabt und immer hoffend gewartet hatte, war freilich tief beleidigt durch die Streiche, die sie von ihm erfuhr, und verachtete ihn drei Tage lang von ganzem Herzen. Nach und nach trat aber doch die alte Neigung wieder hervor, sie dachte sich das Zusammenleben mit dem hübschen, bösen Menschen angenehmer als

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/168>, abgerufen am 27.11.2024.