Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

einem förmlichen tiefen Knicks geehrt hatte, freundlich und richtete, bevor er weiter ging, einige wohlwollende Fragen an sie, die sie demüthig beantwortete. Tobias wartete und sah die Nachkommende mit einem Blick an, als wollte er sagen: O du gute Alte -- wie wenig hast du den Brief deines Sohnes begriffen! -- Auf dem Wege, den sie noch mit einander zu machen hatten, fand er seinen ruhigen Ernst wieder, gab dem Weibe zum Abschiede die Hand und sagte: Ich dank' Euch, daß Ihr mich den Brief habt lesen lassen. Ihr habt mir einen Gefallen gethan, wie mir kein Mensch einen größern hätte thun können. --

In seine Stube eintretend, fand er den Vater allein. Er grüßte ihn leicht, zeigte ihm die gekauften Sachen und empfing dafür seine Anerkennung, denn sie waren gut und billig erworben. Nachdem der Alte das Lob gespendet, verrieth er eine eigenthümliche Unruhe und eine Verlegenheit, als ob er nicht recht wüßte, was er nun thun, ja nicht einmal, was für ein Gesicht er machen sollte. Er rückte mehrmals an der alten Pelzkappe, die er im Hause trug, stellte sich dann zum Fenster und sah durch zwei Geranienstöcke, womit der Sims geziert war, auf die Gasse hinaus. Tobias betrachtete ihn und schüttelte den Kopf; er war seinerseits mit einem Vorsatz gekommen, überlegte nun, wie er die Sache einleiten sollte, und war eben daran, das Wort zu ergreifen, als der Alte sich umdrehte und entschlossen begann: Hör, wir müssen heut noch ein ernsthaftes Wort

einem förmlichen tiefen Knicks geehrt hatte, freundlich und richtete, bevor er weiter ging, einige wohlwollende Fragen an sie, die sie demüthig beantwortete. Tobias wartete und sah die Nachkommende mit einem Blick an, als wollte er sagen: O du gute Alte — wie wenig hast du den Brief deines Sohnes begriffen! — Auf dem Wege, den sie noch mit einander zu machen hatten, fand er seinen ruhigen Ernst wieder, gab dem Weibe zum Abschiede die Hand und sagte: Ich dank' Euch, daß Ihr mich den Brief habt lesen lassen. Ihr habt mir einen Gefallen gethan, wie mir kein Mensch einen größern hätte thun können. —

In seine Stube eintretend, fand er den Vater allein. Er grüßte ihn leicht, zeigte ihm die gekauften Sachen und empfing dafür seine Anerkennung, denn sie waren gut und billig erworben. Nachdem der Alte das Lob gespendet, verrieth er eine eigenthümliche Unruhe und eine Verlegenheit, als ob er nicht recht wüßte, was er nun thun, ja nicht einmal, was für ein Gesicht er machen sollte. Er rückte mehrmals an der alten Pelzkappe, die er im Hause trug, stellte sich dann zum Fenster und sah durch zwei Geranienstöcke, womit der Sims geziert war, auf die Gasse hinaus. Tobias betrachtete ihn und schüttelte den Kopf; er war seinerseits mit einem Vorsatz gekommen, überlegte nun, wie er die Sache einleiten sollte, und war eben daran, das Wort zu ergreifen, als der Alte sich umdrehte und entschlossen begann: Hör, wir müssen heut noch ein ernsthaftes Wort

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="5">
        <p><pb facs="#f0167"/>
einem förmlichen tiefen      Knicks geehrt hatte, freundlich und richtete, bevor er weiter ging, einige wohlwollende Fragen      an sie, die sie demüthig beantwortete. Tobias wartete und sah die Nachkommende mit einem Blick      an, als wollte er sagen: O du gute Alte &#x2014; wie wenig hast du den Brief deines Sohnes begriffen!      &#x2014; Auf dem Wege, den sie noch mit einander zu machen hatten, fand er seinen ruhigen Ernst      wieder, gab dem Weibe zum Abschiede die Hand und sagte: Ich dank' Euch, daß Ihr mich den Brief      habt lesen lassen. Ihr habt mir einen Gefallen gethan, wie mir kein Mensch einen größern hätte      thun können. &#x2014;</p><lb/>
        <p>In seine Stube eintretend, fand er den Vater allein. Er grüßte ihn leicht, zeigte ihm die      gekauften Sachen und empfing dafür seine Anerkennung, denn sie waren gut und billig erworben.      Nachdem der Alte das Lob gespendet, verrieth er eine eigenthümliche Unruhe und eine      Verlegenheit, als ob er nicht recht wüßte, was er nun thun, ja nicht einmal, was für ein      Gesicht er machen sollte. Er rückte mehrmals an der alten Pelzkappe, die er im Hause trug,      stellte sich dann zum Fenster und sah durch zwei Geranienstöcke, womit der Sims geziert war,      auf die Gasse hinaus. Tobias betrachtete ihn und schüttelte den Kopf; er war seinerseits mit      einem Vorsatz gekommen, überlegte nun, wie er die Sache einleiten sollte, und war eben daran,      das Wort zu ergreifen, als der Alte sich umdrehte und entschlossen begann: Hör, wir müssen heut      noch ein ernsthaftes Wort<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0167] einem förmlichen tiefen Knicks geehrt hatte, freundlich und richtete, bevor er weiter ging, einige wohlwollende Fragen an sie, die sie demüthig beantwortete. Tobias wartete und sah die Nachkommende mit einem Blick an, als wollte er sagen: O du gute Alte — wie wenig hast du den Brief deines Sohnes begriffen! — Auf dem Wege, den sie noch mit einander zu machen hatten, fand er seinen ruhigen Ernst wieder, gab dem Weibe zum Abschiede die Hand und sagte: Ich dank' Euch, daß Ihr mich den Brief habt lesen lassen. Ihr habt mir einen Gefallen gethan, wie mir kein Mensch einen größern hätte thun können. — In seine Stube eintretend, fand er den Vater allein. Er grüßte ihn leicht, zeigte ihm die gekauften Sachen und empfing dafür seine Anerkennung, denn sie waren gut und billig erworben. Nachdem der Alte das Lob gespendet, verrieth er eine eigenthümliche Unruhe und eine Verlegenheit, als ob er nicht recht wüßte, was er nun thun, ja nicht einmal, was für ein Gesicht er machen sollte. Er rückte mehrmals an der alten Pelzkappe, die er im Hause trug, stellte sich dann zum Fenster und sah durch zwei Geranienstöcke, womit der Sims geziert war, auf die Gasse hinaus. Tobias betrachtete ihn und schüttelte den Kopf; er war seinerseits mit einem Vorsatz gekommen, überlegte nun, wie er die Sache einleiten sollte, und war eben daran, das Wort zu ergreifen, als der Alte sich umdrehte und entschlossen begann: Hör, wir müssen heut noch ein ernsthaftes Wort

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/167
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/167>, abgerufen am 24.11.2024.