Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

men, ging wie ein Lauffeuer im Dorfe herum, und der Schneider hatte die Folgen zu dulden.

Mit welchen Empfindungen dieser den Wirthsgarten verließ, kann man sich denken. Das ihm angeborene Ehrgefühl, durch die übelsten Erfahrungen nicht unterdrückt, war nach dem gestrigen Sieg über seinen Vater mächtig emporgelodert; seine Ansprüche auf Achtung hatten sich erneuert, und er glaubte sich durch die Erreichung seines Zweckes, die er für gewiß annahm, allgemein in Ansehen bringen zu können. -- Nun war Alles wieder zu Wasser geworden. Das heutige Gesicht des Alten hatte ihn belehrt, daß er seine Einwilligung in die Heirath mit der Bäbe weniger als jemals hoffen könne -- daß er die Schläge fruchtlos erduldet hatte! Und zu alledem war seine Schmach öffentlich geworden -- er, der Geschädigte, war dem Spott und der Mißhandlung preisgegeben, wer weiß auf wie lange! -- Der Boden brannte unter ihm, er fürchtete sich unendlich, Jemand zu begegnen, und eilte auf dem kürzesten Wege aus dem Dorfe ins Feld, wo er den am wenigsten betretenen Fußpfad aufsuchte.

Als er hier weitherum Niemand gewahrte, entlastete er das gepreßte Herz und brach in laute Verwünschungen aus. Er sagte sich in wilder Leidenschaft vor, was er erduldet, schmähte, daß ihm -- grad ihm das begegnen sollte, malte sich aus, was er ferner werde zu leiden haben, und wühlte sich immer tiefer in sein Elend hinein. Die Worte gingen ihm endlich aus, aber

men, ging wie ein Lauffeuer im Dorfe herum, und der Schneider hatte die Folgen zu dulden.

Mit welchen Empfindungen dieser den Wirthsgarten verließ, kann man sich denken. Das ihm angeborene Ehrgefühl, durch die übelsten Erfahrungen nicht unterdrückt, war nach dem gestrigen Sieg über seinen Vater mächtig emporgelodert; seine Ansprüche auf Achtung hatten sich erneuert, und er glaubte sich durch die Erreichung seines Zweckes, die er für gewiß annahm, allgemein in Ansehen bringen zu können. — Nun war Alles wieder zu Wasser geworden. Das heutige Gesicht des Alten hatte ihn belehrt, daß er seine Einwilligung in die Heirath mit der Bäbe weniger als jemals hoffen könne — daß er die Schläge fruchtlos erduldet hatte! Und zu alledem war seine Schmach öffentlich geworden — er, der Geschädigte, war dem Spott und der Mißhandlung preisgegeben, wer weiß auf wie lange! — Der Boden brannte unter ihm, er fürchtete sich unendlich, Jemand zu begegnen, und eilte auf dem kürzesten Wege aus dem Dorfe ins Feld, wo er den am wenigsten betretenen Fußpfad aufsuchte.

Als er hier weitherum Niemand gewahrte, entlastete er das gepreßte Herz und brach in laute Verwünschungen aus. Er sagte sich in wilder Leidenschaft vor, was er erduldet, schmähte, daß ihm — grad ihm das begegnen sollte, malte sich aus, was er ferner werde zu leiden haben, und wühlte sich immer tiefer in sein Elend hinein. Die Worte gingen ihm endlich aus, aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <p><pb facs="#f0146"/>
men, ging      wie ein Lauffeuer im Dorfe herum, und der Schneider hatte die Folgen zu dulden.</p><lb/>
        <p>Mit welchen Empfindungen dieser den Wirthsgarten verließ, kann man sich denken. Das ihm      angeborene Ehrgefühl, durch die übelsten Erfahrungen nicht unterdrückt, war nach dem gestrigen      Sieg über seinen Vater mächtig emporgelodert; seine Ansprüche auf Achtung hatten sich erneuert,      und er glaubte sich durch die Erreichung seines Zweckes, die er für gewiß annahm, allgemein in      Ansehen bringen zu können. &#x2014; Nun war Alles wieder zu Wasser geworden. Das heutige Gesicht des      Alten hatte ihn belehrt, daß er seine Einwilligung in die Heirath mit der Bäbe weniger als      jemals hoffen könne &#x2014; daß er die Schläge fruchtlos erduldet hatte! Und zu alledem war seine      Schmach öffentlich geworden &#x2014; er, der Geschädigte, war dem Spott und der Mißhandlung      preisgegeben, wer weiß auf wie lange! &#x2014; Der Boden brannte unter ihm, er fürchtete sich      unendlich, Jemand zu begegnen, und eilte auf dem kürzesten Wege aus dem Dorfe ins Feld, wo er      den am wenigsten betretenen Fußpfad aufsuchte.</p><lb/>
        <p>Als er hier weitherum Niemand gewahrte, entlastete er das gepreßte Herz und brach in laute      Verwünschungen aus. Er sagte sich in wilder Leidenschaft vor, was er erduldet, schmähte, daß      ihm &#x2014; grad ihm das begegnen sollte, malte sich aus, was er ferner werde zu leiden haben, und      wühlte sich immer tiefer in sein Elend hinein. Die Worte gingen ihm endlich aus, aber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0146] men, ging wie ein Lauffeuer im Dorfe herum, und der Schneider hatte die Folgen zu dulden. Mit welchen Empfindungen dieser den Wirthsgarten verließ, kann man sich denken. Das ihm angeborene Ehrgefühl, durch die übelsten Erfahrungen nicht unterdrückt, war nach dem gestrigen Sieg über seinen Vater mächtig emporgelodert; seine Ansprüche auf Achtung hatten sich erneuert, und er glaubte sich durch die Erreichung seines Zweckes, die er für gewiß annahm, allgemein in Ansehen bringen zu können. — Nun war Alles wieder zu Wasser geworden. Das heutige Gesicht des Alten hatte ihn belehrt, daß er seine Einwilligung in die Heirath mit der Bäbe weniger als jemals hoffen könne — daß er die Schläge fruchtlos erduldet hatte! Und zu alledem war seine Schmach öffentlich geworden — er, der Geschädigte, war dem Spott und der Mißhandlung preisgegeben, wer weiß auf wie lange! — Der Boden brannte unter ihm, er fürchtete sich unendlich, Jemand zu begegnen, und eilte auf dem kürzesten Wege aus dem Dorfe ins Feld, wo er den am wenigsten betretenen Fußpfad aufsuchte. Als er hier weitherum Niemand gewahrte, entlastete er das gepreßte Herz und brach in laute Verwünschungen aus. Er sagte sich in wilder Leidenschaft vor, was er erduldet, schmähte, daß ihm — grad ihm das begegnen sollte, malte sich aus, was er ferner werde zu leiden haben, und wühlte sich immer tiefer in sein Elend hinein. Die Worte gingen ihm endlich aus, aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/146
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/146>, abgerufen am 27.11.2024.