Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Er kann nur auf Möglichkeiten hinweisen und bittet den Leser, seine Entscheidung selber zu treffen.

Die Bäbe hatte eine Kamerädin, und diese eine Schwester. Es ist denkbar, daß sie der Getreuen, die ohnehin schon Mitwisserin geworden, in der Bedrängniß ihres Herzens, nach dem abgenommenen Versprechen einer vollständigen Geheimhaltung natürlich, den Handel erzählt, und diese wirklich keiner Seele davon gesagt, ausgenommen ihrer Schwester, die dann, durch ihre gleichfalls ertheilte Zusage schon weniger beengt, das Weitere sich erlaubt hatte. Auf der andern Seite stand aber die Frau Pfarrerin in einem Verhältniß wechselseitiger Mittheilungen mit der Frau Lehrerin, und diese hatte wieder eine Beziehung zur Frau Wirthin. Es ist möglich, daß die gute und im Grund ihres Wesens heitere Dame dem Reiz nicht widerstehen konnte, die ihr noch nie vorgekommene und darum höchst pikante Thatsache unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit der Vertrauten zu schildern, da nach der strengen Justiz, die sie gegen die Uebelthäterin geübt hatte, doch auch die komische Seite derselben ausgebeutet sein wollte. Daß dann die Frau Lehrerin die prächtige Geschichte nicht ganz und gar für sich behalten, sondern sie unter der nämlichen sichernden Bedingung der Wirthin vertraut, wäre ihr kaum zu verdenken gewesen. Um so weniger aber der Wirthin die Mittheilung an irgendeinen ihrer Gäste, für deren Unterhaltung zu sorgen ja zu ihren Pflichten gehörte! -- Genug, die Sache war ausgekom-

Er kann nur auf Möglichkeiten hinweisen und bittet den Leser, seine Entscheidung selber zu treffen.

Die Bäbe hatte eine Kamerädin, und diese eine Schwester. Es ist denkbar, daß sie der Getreuen, die ohnehin schon Mitwisserin geworden, in der Bedrängniß ihres Herzens, nach dem abgenommenen Versprechen einer vollständigen Geheimhaltung natürlich, den Handel erzählt, und diese wirklich keiner Seele davon gesagt, ausgenommen ihrer Schwester, die dann, durch ihre gleichfalls ertheilte Zusage schon weniger beengt, das Weitere sich erlaubt hatte. Auf der andern Seite stand aber die Frau Pfarrerin in einem Verhältniß wechselseitiger Mittheilungen mit der Frau Lehrerin, und diese hatte wieder eine Beziehung zur Frau Wirthin. Es ist möglich, daß die gute und im Grund ihres Wesens heitere Dame dem Reiz nicht widerstehen konnte, die ihr noch nie vorgekommene und darum höchst pikante Thatsache unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit der Vertrauten zu schildern, da nach der strengen Justiz, die sie gegen die Uebelthäterin geübt hatte, doch auch die komische Seite derselben ausgebeutet sein wollte. Daß dann die Frau Lehrerin die prächtige Geschichte nicht ganz und gar für sich behalten, sondern sie unter der nämlichen sichernden Bedingung der Wirthin vertraut, wäre ihr kaum zu verdenken gewesen. Um so weniger aber der Wirthin die Mittheilung an irgendeinen ihrer Gäste, für deren Unterhaltung zu sorgen ja zu ihren Pflichten gehörte! — Genug, die Sache war ausgekom-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <p><pb facs="#f0145"/>
Er kann nur auf Möglichkeiten hinweisen und bittet den Leser, seine      Entscheidung selber zu treffen.</p><lb/>
        <p>Die Bäbe hatte eine Kamerädin, und diese eine Schwester. Es ist denkbar, daß sie der      Getreuen, die ohnehin schon Mitwisserin geworden, in der Bedrängniß ihres Herzens, nach dem      abgenommenen Versprechen einer vollständigen Geheimhaltung natürlich, den Handel erzählt, und      diese wirklich keiner Seele davon gesagt, ausgenommen ihrer Schwester, die dann, durch ihre      gleichfalls ertheilte Zusage schon weniger beengt, das Weitere sich erlaubt hatte. Auf der      andern Seite stand aber die Frau Pfarrerin in einem Verhältniß wechselseitiger Mittheilungen      mit der Frau Lehrerin, und diese hatte wieder eine Beziehung zur Frau Wirthin. Es ist möglich,      daß die gute und im Grund ihres Wesens heitere Dame dem Reiz nicht widerstehen konnte, die ihr      noch nie vorgekommene und darum höchst pikante Thatsache unter dem Siegel der tiefsten      Verschwiegenheit der Vertrauten zu schildern, da nach der strengen Justiz, die sie gegen die      Uebelthäterin geübt hatte, doch auch die komische Seite derselben ausgebeutet sein wollte. Daß      dann die Frau Lehrerin die prächtige Geschichte nicht ganz und gar für sich behalten, sondern      sie unter der nämlichen sichernden Bedingung der Wirthin vertraut, wäre ihr kaum zu verdenken      gewesen. Um so weniger aber der Wirthin die Mittheilung an irgendeinen ihrer Gäste, für deren      Unterhaltung zu sorgen ja zu ihren Pflichten gehörte! &#x2014; Genug, die Sache war ausgekom-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] Er kann nur auf Möglichkeiten hinweisen und bittet den Leser, seine Entscheidung selber zu treffen. Die Bäbe hatte eine Kamerädin, und diese eine Schwester. Es ist denkbar, daß sie der Getreuen, die ohnehin schon Mitwisserin geworden, in der Bedrängniß ihres Herzens, nach dem abgenommenen Versprechen einer vollständigen Geheimhaltung natürlich, den Handel erzählt, und diese wirklich keiner Seele davon gesagt, ausgenommen ihrer Schwester, die dann, durch ihre gleichfalls ertheilte Zusage schon weniger beengt, das Weitere sich erlaubt hatte. Auf der andern Seite stand aber die Frau Pfarrerin in einem Verhältniß wechselseitiger Mittheilungen mit der Frau Lehrerin, und diese hatte wieder eine Beziehung zur Frau Wirthin. Es ist möglich, daß die gute und im Grund ihres Wesens heitere Dame dem Reiz nicht widerstehen konnte, die ihr noch nie vorgekommene und darum höchst pikante Thatsache unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit der Vertrauten zu schildern, da nach der strengen Justiz, die sie gegen die Uebelthäterin geübt hatte, doch auch die komische Seite derselben ausgebeutet sein wollte. Daß dann die Frau Lehrerin die prächtige Geschichte nicht ganz und gar für sich behalten, sondern sie unter der nämlichen sichernden Bedingung der Wirthin vertraut, wäre ihr kaum zu verdenken gewesen. Um so weniger aber der Wirthin die Mittheilung an irgendeinen ihrer Gäste, für deren Unterhaltung zu sorgen ja zu ihren Pflichten gehörte! — Genug, die Sache war ausgekom-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/145
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/145>, abgerufen am 26.06.2024.