Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Antwort überhoben zu werden. Aber sein Quälgeist war nicht gemeint, ihn in Ruhe zu lassen. Nachdem er selber einen tüchtigen Schluck zu sich genommen, begann er: Nun also, -- was ist dir geschehen? Sag's! -- Jetzt verlor Tobias die Geduld. So sei doch gescheidt rief er mit hohem Verdruß, und laß mich gehen mit deinen einfältigen Fragen! Nichts ist mir geschehen !

Leard schüttelte den Kopf und versetzte: Du bist nicht höflich, Tobias, und vergiltst mir meine Freundschaft schlecht. -- Ein vierschrötiger Bursch ergriff jetzt das Wort und sagte: Ich hab' bis jetzt geschwiegen; aber weil der Schneider gar nicht bekennen will, so muß ich doch reden. Gestern in der Früh bin ich in meinem Garten gewesen und hab' ihn sechs Schritt hinter seinem Vater nach der Wiese gehen sehen. Das Gesicht, das er da gemacht hat, wird mir im Gedächtniß bleiben. Wie soll ich nur gleich sagen? Er hat ausgesehen, als ob ihn die "Wura'moesa'" (Ameisen) aufm Brachacker 'rumg'schleift hätten! -- Da haben wir's, rief Leard. Also gestern? Dann muß ihm das Unglück am Freitag Nachts zugestoßen sein! -- Und vor sich hinsehend, fragte er sich: Was ist's jetzt wohl gewesen? -- Der feine junge Bursch sagte lachend: Ich glaub', er ist aufm Geißbock spazieren geritten und der hat ihn 'runtergeworfen! -- Leard entgegnete: Nichts da! Das ist eine alte Sag'! Heutzutag reiten die Schneider nicht mehr auf Geißböcken, sie sind auch aufgeklärter geworden und

Antwort überhoben zu werden. Aber sein Quälgeist war nicht gemeint, ihn in Ruhe zu lassen. Nachdem er selber einen tüchtigen Schluck zu sich genommen, begann er: Nun also, — was ist dir geschehen? Sag's! — Jetzt verlor Tobias die Geduld. So sei doch gescheidt rief er mit hohem Verdruß, und laß mich gehen mit deinen einfältigen Fragen! Nichts ist mir geschehen !

Leard schüttelte den Kopf und versetzte: Du bist nicht höflich, Tobias, und vergiltst mir meine Freundschaft schlecht. — Ein vierschrötiger Bursch ergriff jetzt das Wort und sagte: Ich hab' bis jetzt geschwiegen; aber weil der Schneider gar nicht bekennen will, so muß ich doch reden. Gestern in der Früh bin ich in meinem Garten gewesen und hab' ihn sechs Schritt hinter seinem Vater nach der Wiese gehen sehen. Das Gesicht, das er da gemacht hat, wird mir im Gedächtniß bleiben. Wie soll ich nur gleich sagen? Er hat ausgesehen, als ob ihn die „Wura'moesa'“ (Ameisen) aufm Brachacker 'rumg'schleift hätten! — Da haben wir's, rief Leard. Also gestern? Dann muß ihm das Unglück am Freitag Nachts zugestoßen sein! — Und vor sich hinsehend, fragte er sich: Was ist's jetzt wohl gewesen? — Der feine junge Bursch sagte lachend: Ich glaub', er ist aufm Geißbock spazieren geritten und der hat ihn 'runtergeworfen! — Leard entgegnete: Nichts da! Das ist eine alte Sag'! Heutzutag reiten die Schneider nicht mehr auf Geißböcken, sie sind auch aufgeklärter geworden und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <p><pb facs="#f0139"/>
Antwort überhoben zu werden. Aber sein Quälgeist war nicht gemeint, ihn      in Ruhe zu lassen. Nachdem er selber einen tüchtigen Schluck zu sich genommen, begann er: Nun      also, &#x2014; was ist dir geschehen? Sag's! &#x2014; Jetzt verlor Tobias die Geduld. So sei doch gescheidt      rief er mit hohem Verdruß, und laß mich gehen mit deinen einfältigen Fragen! Nichts ist mir      geschehen !</p><lb/>
        <p>Leard schüttelte den Kopf und versetzte: Du bist nicht höflich, Tobias, und vergiltst mir      meine Freundschaft schlecht. &#x2014; Ein vierschrötiger Bursch ergriff jetzt das Wort und sagte: Ich      hab' bis jetzt geschwiegen; aber weil der Schneider gar nicht bekennen will, so muß ich doch      reden. Gestern in der Früh bin ich in meinem Garten gewesen und hab' ihn sechs Schritt hinter      seinem Vater nach der Wiese gehen sehen. Das Gesicht, das er da gemacht hat, wird mir im      Gedächtniß bleiben. Wie soll ich nur gleich sagen? Er hat ausgesehen, als ob ihn die      &#x201E;Wura'moesa'&#x201C; (Ameisen) aufm Brachacker 'rumg'schleift hätten! &#x2014; Da haben wir's, rief Leard.      Also gestern? Dann muß ihm das Unglück am Freitag Nachts zugestoßen sein! &#x2014; Und vor sich      hinsehend, fragte er sich: Was ist's jetzt wohl gewesen? &#x2014; Der feine junge Bursch sagte      lachend: Ich glaub', er ist aufm Geißbock spazieren geritten und der hat ihn 'runtergeworfen! &#x2014;      Leard entgegnete: Nichts da! Das ist eine alte Sag'! Heutzutag reiten die Schneider nicht mehr      auf Geißböcken, sie sind auch aufgeklärter geworden und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0139] Antwort überhoben zu werden. Aber sein Quälgeist war nicht gemeint, ihn in Ruhe zu lassen. Nachdem er selber einen tüchtigen Schluck zu sich genommen, begann er: Nun also, — was ist dir geschehen? Sag's! — Jetzt verlor Tobias die Geduld. So sei doch gescheidt rief er mit hohem Verdruß, und laß mich gehen mit deinen einfältigen Fragen! Nichts ist mir geschehen ! Leard schüttelte den Kopf und versetzte: Du bist nicht höflich, Tobias, und vergiltst mir meine Freundschaft schlecht. — Ein vierschrötiger Bursch ergriff jetzt das Wort und sagte: Ich hab' bis jetzt geschwiegen; aber weil der Schneider gar nicht bekennen will, so muß ich doch reden. Gestern in der Früh bin ich in meinem Garten gewesen und hab' ihn sechs Schritt hinter seinem Vater nach der Wiese gehen sehen. Das Gesicht, das er da gemacht hat, wird mir im Gedächtniß bleiben. Wie soll ich nur gleich sagen? Er hat ausgesehen, als ob ihn die „Wura'moesa'“ (Ameisen) aufm Brachacker 'rumg'schleift hätten! — Da haben wir's, rief Leard. Also gestern? Dann muß ihm das Unglück am Freitag Nachts zugestoßen sein! — Und vor sich hinsehend, fragte er sich: Was ist's jetzt wohl gewesen? — Der feine junge Bursch sagte lachend: Ich glaub', er ist aufm Geißbock spazieren geritten und der hat ihn 'runtergeworfen! — Leard entgegnete: Nichts da! Das ist eine alte Sag'! Heutzutag reiten die Schneider nicht mehr auf Geißböcken, sie sind auch aufgeklärter geworden und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/139
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/139>, abgerufen am 27.11.2024.