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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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waren in ihr Ohr gedrungen und hatten sie aus leichtem Schlummer erweckt. Sie besaß ein feines Ohr, die kluge Pfarrerin, und indem sie es anstrengte, vernahm sie ein Gewisper, das sie die Sachlage augenblicklich errathen ließ. Sie stand auf, ging im Nachtkleid sachte zur Thür und hörte, wie's die Stiege herauf kam und in den Gang einbog. Sie legte das Aug' ans Schlüsselloch, wartend der Dinge, die da kommen sollten, ungestört sogar durch das Husten des Gemahls. Und es setzte sich wieder in Bewegung, und sie sah die seltsamste aller Cavalcaden an sich vorüberziehen! --

Im ersten Moment konnte sie sich nicht enthalten, das eigenthümlich Lächerliche derselben und eine gewisse Freude über die Entdeckung zu empfinden. Aber diese Regung wich alsbald der Entrüstung über die Dreistigkeit des Mädchens und über den ihrem Haus angethanen Schimpf. -- Was sollte sie beginnen? Wenn sie die Thür öffnete und das Paar überraschte, versuchte der Bursche zu entspringen, es gab Lärm, und der Herr, den sie sich mindestens halb wach denken mußte, vernahm den Skandal! Er, der solchen Unfug gar nicht für möglich hielt, gerieth außer sich, kam in Amtseifer -- und der Skandal wurde öffentlich. Konnte sie sich aber ruhig verhalten und dem Leichtsinn, der Frechheit das Feld überlassen? Unmöglich! -- Das Husten des Gatten, das sich endlich, wenn auch minder stark, erneuerte, gab ihr eine Idee. Sie trat an sein Bett und sagte: Du hast's heut wieder stark, lieber Mann; ich

waren in ihr Ohr gedrungen und hatten sie aus leichtem Schlummer erweckt. Sie besaß ein feines Ohr, die kluge Pfarrerin, und indem sie es anstrengte, vernahm sie ein Gewisper, das sie die Sachlage augenblicklich errathen ließ. Sie stand auf, ging im Nachtkleid sachte zur Thür und hörte, wie's die Stiege herauf kam und in den Gang einbog. Sie legte das Aug' ans Schlüsselloch, wartend der Dinge, die da kommen sollten, ungestört sogar durch das Husten des Gemahls. Und es setzte sich wieder in Bewegung, und sie sah die seltsamste aller Cavalcaden an sich vorüberziehen! —

Im ersten Moment konnte sie sich nicht enthalten, das eigenthümlich Lächerliche derselben und eine gewisse Freude über die Entdeckung zu empfinden. Aber diese Regung wich alsbald der Entrüstung über die Dreistigkeit des Mädchens und über den ihrem Haus angethanen Schimpf. — Was sollte sie beginnen? Wenn sie die Thür öffnete und das Paar überraschte, versuchte der Bursche zu entspringen, es gab Lärm, und der Herr, den sie sich mindestens halb wach denken mußte, vernahm den Skandal! Er, der solchen Unfug gar nicht für möglich hielt, gerieth außer sich, kam in Amtseifer — und der Skandal wurde öffentlich. Konnte sie sich aber ruhig verhalten und dem Leichtsinn, der Frechheit das Feld überlassen? Unmöglich! — Das Husten des Gatten, das sich endlich, wenn auch minder stark, erneuerte, gab ihr eine Idee. Sie trat an sein Bett und sagte: Du hast's heut wieder stark, lieber Mann; ich

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[0106] waren in ihr Ohr gedrungen und hatten sie aus leichtem Schlummer erweckt. Sie besaß ein feines Ohr, die kluge Pfarrerin, und indem sie es anstrengte, vernahm sie ein Gewisper, das sie die Sachlage augenblicklich errathen ließ. Sie stand auf, ging im Nachtkleid sachte zur Thür und hörte, wie's die Stiege herauf kam und in den Gang einbog. Sie legte das Aug' ans Schlüsselloch, wartend der Dinge, die da kommen sollten, ungestört sogar durch das Husten des Gemahls. Und es setzte sich wieder in Bewegung, und sie sah die seltsamste aller Cavalcaden an sich vorüberziehen! — Im ersten Moment konnte sie sich nicht enthalten, das eigenthümlich Lächerliche derselben und eine gewisse Freude über die Entdeckung zu empfinden. Aber diese Regung wich alsbald der Entrüstung über die Dreistigkeit des Mädchens und über den ihrem Haus angethanen Schimpf. — Was sollte sie beginnen? Wenn sie die Thür öffnete und das Paar überraschte, versuchte der Bursche zu entspringen, es gab Lärm, und der Herr, den sie sich mindestens halb wach denken mußte, vernahm den Skandal! Er, der solchen Unfug gar nicht für möglich hielt, gerieth außer sich, kam in Amtseifer — und der Skandal wurde öffentlich. Konnte sie sich aber ruhig verhalten und dem Leichtsinn, der Frechheit das Feld überlassen? Unmöglich! — Das Husten des Gatten, das sich endlich, wenn auch minder stark, erneuerte, gab ihr eine Idee. Sie trat an sein Bett und sagte: Du hast's heut wieder stark, lieber Mann; ich

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/106>, abgerufen am 27.11.2024.