Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.fühlte, wohl aber das Mädchen. Es lag etwas Spottendes darin, was der Frau sonst nicht eigen war, und die Bäbe fühlte sich bei dem Gedanken durchschauert, daß sie wissen oder ahnen könnte, wer bei ihr war. Trotzdem spielte sie ihre Rolle beherzt fort. Ah so, rief sie, indem sie die Decke von dem Bette zurückschlug, vor dem sie stand, Sie sind's! Befehlen Sie was? Soll ich aufstehen? -- Allerdings, war die Antwort, ich muß dich schon bitten! Der Herr hat einen Anfall von Husten und kann nicht mehr einschlafen. Geh hinunter und mach ihm den Thee! -- Im Augenblick, Frau Pfarrerin. -- In zehn Minuten komm' ich und hol' ihn! Sorg, daß Alles in Ordnung ist bis dahin! -- 's wird Alles recht werden! -- Soll mich freuen, versetzte die Pfarrerin und ging festen Schritts zurück in die Schlafstube. Die Bäbe stand mit wogendem Busen und glühenden Wangen da. Die Stimme der Frau hatte denselben Klang behalten -- sie konnte fast nicht mehr zweifeln, daß die Schlaue gesehen oder gehört hatte, was geschehen war. Möglich, daß sie sich doch irrte, und daß nur das böse Gewissen sie den Spott heraushören ließ! -- Möglich, aber nicht wahrscheinlich! -- Nach einem Moment der Ueberlegung faßte sie einen Entschluß nach dem Gebot ihres Argwohns -- und sie that wohl daran. Die Pfarrerin wußte allerdings, wer im Hause war. Die gereizten Worte der Bäbe, mit denen sie im Haustennen dem Burschen seine Zaghaftigkeit verwiesen hatte, fühlte, wohl aber das Mädchen. Es lag etwas Spottendes darin, was der Frau sonst nicht eigen war, und die Bäbe fühlte sich bei dem Gedanken durchschauert, daß sie wissen oder ahnen könnte, wer bei ihr war. Trotzdem spielte sie ihre Rolle beherzt fort. Ah so, rief sie, indem sie die Decke von dem Bette zurückschlug, vor dem sie stand, Sie sind's! Befehlen Sie was? Soll ich aufstehen? — Allerdings, war die Antwort, ich muß dich schon bitten! Der Herr hat einen Anfall von Husten und kann nicht mehr einschlafen. Geh hinunter und mach ihm den Thee! — Im Augenblick, Frau Pfarrerin. — In zehn Minuten komm' ich und hol' ihn! Sorg, daß Alles in Ordnung ist bis dahin! — 's wird Alles recht werden! — Soll mich freuen, versetzte die Pfarrerin und ging festen Schritts zurück in die Schlafstube. Die Bäbe stand mit wogendem Busen und glühenden Wangen da. Die Stimme der Frau hatte denselben Klang behalten — sie konnte fast nicht mehr zweifeln, daß die Schlaue gesehen oder gehört hatte, was geschehen war. Möglich, daß sie sich doch irrte, und daß nur das böse Gewissen sie den Spott heraushören ließ! — Möglich, aber nicht wahrscheinlich! — Nach einem Moment der Ueberlegung faßte sie einen Entschluß nach dem Gebot ihres Argwohns — und sie that wohl daran. Die Pfarrerin wußte allerdings, wer im Hause war. Die gereizten Worte der Bäbe, mit denen sie im Haustennen dem Burschen seine Zaghaftigkeit verwiesen hatte, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0105"/> fühlte, wohl aber das Mädchen. Es lag etwas Spottendes darin, was der Frau sonst nicht eigen war, und die Bäbe fühlte sich bei dem Gedanken durchschauert, daß sie wissen oder ahnen könnte, wer bei ihr war. Trotzdem spielte sie ihre Rolle beherzt fort. Ah so, rief sie, indem sie die Decke von dem Bette zurückschlug, vor dem sie stand, Sie sind's! Befehlen Sie was? Soll ich aufstehen? — Allerdings, war die Antwort, ich muß dich schon bitten! Der Herr hat einen Anfall von Husten und kann nicht mehr einschlafen. Geh hinunter und mach ihm den Thee! — Im Augenblick, Frau Pfarrerin. — In zehn Minuten komm' ich und hol' ihn! Sorg, daß Alles in Ordnung ist bis dahin! — 's wird Alles recht werden! — Soll mich freuen, versetzte die Pfarrerin und ging festen Schritts zurück in die Schlafstube.</p><lb/> <p>Die Bäbe stand mit wogendem Busen und glühenden Wangen da. Die Stimme der Frau hatte denselben Klang behalten — sie konnte fast nicht mehr zweifeln, daß die Schlaue gesehen oder gehört hatte, was geschehen war. Möglich, daß sie sich doch irrte, und daß nur das böse Gewissen sie den Spott heraushören ließ! — Möglich, aber nicht wahrscheinlich! — Nach einem Moment der Ueberlegung faßte sie einen Entschluß nach dem Gebot ihres Argwohns — und sie that wohl daran.</p><lb/> <p>Die Pfarrerin wußte allerdings, wer im Hause war. Die gereizten Worte der Bäbe, mit denen sie im Haustennen dem Burschen seine Zaghaftigkeit verwiesen hatte,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0105]
fühlte, wohl aber das Mädchen. Es lag etwas Spottendes darin, was der Frau sonst nicht eigen war, und die Bäbe fühlte sich bei dem Gedanken durchschauert, daß sie wissen oder ahnen könnte, wer bei ihr war. Trotzdem spielte sie ihre Rolle beherzt fort. Ah so, rief sie, indem sie die Decke von dem Bette zurückschlug, vor dem sie stand, Sie sind's! Befehlen Sie was? Soll ich aufstehen? — Allerdings, war die Antwort, ich muß dich schon bitten! Der Herr hat einen Anfall von Husten und kann nicht mehr einschlafen. Geh hinunter und mach ihm den Thee! — Im Augenblick, Frau Pfarrerin. — In zehn Minuten komm' ich und hol' ihn! Sorg, daß Alles in Ordnung ist bis dahin! — 's wird Alles recht werden! — Soll mich freuen, versetzte die Pfarrerin und ging festen Schritts zurück in die Schlafstube.
Die Bäbe stand mit wogendem Busen und glühenden Wangen da. Die Stimme der Frau hatte denselben Klang behalten — sie konnte fast nicht mehr zweifeln, daß die Schlaue gesehen oder gehört hatte, was geschehen war. Möglich, daß sie sich doch irrte, und daß nur das böse Gewissen sie den Spott heraushören ließ! — Möglich, aber nicht wahrscheinlich! — Nach einem Moment der Ueberlegung faßte sie einen Entschluß nach dem Gebot ihres Argwohns — und sie that wohl daran.
Die Pfarrerin wußte allerdings, wer im Hause war. Die gereizten Worte der Bäbe, mit denen sie im Haustennen dem Burschen seine Zaghaftigkeit verwiesen hatte,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T14:49:07Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T14:49:07Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |