Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

will dir deinen Thee machen lassen! -- Der Pfarrer, durch die Anrede völlig munter geworden , glaubte, es wäre nicht mehr nöthig, weil es sich schon gemindert habe. Die Frau drang aber so zärtlich in ihn, sie hielt ihm die Nothwendigkeit, einem möglichen heftigern Ausbruch durch das erprobte Mittel zuvorzukommen, so lebhaft vor, daß er sich fügte. Sachte verließ die Kluge das Schlafzimmer, über ihr Verfahren mit sich einig. Sie wollte durch den Ton ihrer Stimme dem Mädchen zu verstehen geben, daß sie Alles mit angesehen, und ihr eine Frist bestimmen, damit sie in derselben den Liebhaber aus dem Hause schaffte. Wurde sie nicht verstanden und blieb der Bursche, so wollte sie ein anderes Mittel ausdenken, das Aergerniß nicht weiter gehen zu lassen. -- Wir haben gesehen, daß sie verstanden wurde.

Nach gefaßtem Entschluß wandte sich die Bäbe zu dem Burschen. -- Dieser hatte in der kurzen Zeit die seltsamste Reihe von Gefühlen durchlaufen. Als er in dem Zuruf die Stimme der Pfarrerin erkannte, wirkte dieselbe, namentlich in der verstärkten Wiederholung, wie ein Posaunenstoß des jüngsten Gerichts. Die Blutstropfen in seinen Adern, die noch eben krafterfüllt und angriffsmuthig wie Löwen sich erhoben hatten, rannten und taumelten durch einander, wie eine vom Wolf angefallene Schafheerde; mit Muhe hielt er sich aufrecht. Die Geistesgegenwart des Mädchens, das täuschende Spiel des Aufwachens und Aufstehens erfüllte ihn mit Staunen über solch unbegreifliche Geschicklichkeit; er traute

will dir deinen Thee machen lassen! — Der Pfarrer, durch die Anrede völlig munter geworden , glaubte, es wäre nicht mehr nöthig, weil es sich schon gemindert habe. Die Frau drang aber so zärtlich in ihn, sie hielt ihm die Nothwendigkeit, einem möglichen heftigern Ausbruch durch das erprobte Mittel zuvorzukommen, so lebhaft vor, daß er sich fügte. Sachte verließ die Kluge das Schlafzimmer, über ihr Verfahren mit sich einig. Sie wollte durch den Ton ihrer Stimme dem Mädchen zu verstehen geben, daß sie Alles mit angesehen, und ihr eine Frist bestimmen, damit sie in derselben den Liebhaber aus dem Hause schaffte. Wurde sie nicht verstanden und blieb der Bursche, so wollte sie ein anderes Mittel ausdenken, das Aergerniß nicht weiter gehen zu lassen. — Wir haben gesehen, daß sie verstanden wurde.

Nach gefaßtem Entschluß wandte sich die Bäbe zu dem Burschen. — Dieser hatte in der kurzen Zeit die seltsamste Reihe von Gefühlen durchlaufen. Als er in dem Zuruf die Stimme der Pfarrerin erkannte, wirkte dieselbe, namentlich in der verstärkten Wiederholung, wie ein Posaunenstoß des jüngsten Gerichts. Die Blutstropfen in seinen Adern, die noch eben krafterfüllt und angriffsmuthig wie Löwen sich erhoben hatten, rannten und taumelten durch einander, wie eine vom Wolf angefallene Schafheerde; mit Muhe hielt er sich aufrecht. Die Geistesgegenwart des Mädchens, das täuschende Spiel des Aufwachens und Aufstehens erfüllte ihn mit Staunen über solch unbegreifliche Geschicklichkeit; er traute

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0107"/>
will dir deinen Thee machen lassen! &#x2014; Der      Pfarrer, durch die Anrede völlig munter geworden , glaubte, es wäre nicht mehr nöthig, weil es      sich schon gemindert habe. Die Frau drang aber so zärtlich in ihn, sie hielt ihm die      Nothwendigkeit, einem möglichen heftigern Ausbruch durch das erprobte Mittel zuvorzukommen, so      lebhaft vor, daß er sich fügte. Sachte verließ die Kluge das Schlafzimmer, über ihr Verfahren      mit sich einig. Sie wollte durch den Ton ihrer Stimme dem Mädchen zu verstehen geben, daß sie      Alles mit angesehen, und ihr eine Frist bestimmen, damit sie in derselben den Liebhaber aus dem      Hause schaffte. Wurde sie nicht verstanden und blieb der Bursche, so wollte sie ein anderes      Mittel ausdenken, das Aergerniß nicht weiter gehen zu lassen. &#x2014; Wir haben gesehen, daß sie      verstanden wurde.</p><lb/>
        <p>Nach gefaßtem Entschluß wandte sich die Bäbe zu dem Burschen. &#x2014; Dieser hatte in der kurzen      Zeit die seltsamste Reihe von Gefühlen durchlaufen. Als er in dem Zuruf die Stimme der      Pfarrerin erkannte, wirkte dieselbe, namentlich in der verstärkten Wiederholung, wie ein      Posaunenstoß des jüngsten Gerichts. Die Blutstropfen in seinen Adern, die noch eben      krafterfüllt und angriffsmuthig wie Löwen sich erhoben hatten, rannten und taumelten durch      einander, wie eine vom Wolf angefallene Schafheerde; mit Muhe hielt er sich aufrecht. Die      Geistesgegenwart des Mädchens, das täuschende Spiel des Aufwachens und Aufstehens erfüllte ihn      mit Staunen über solch unbegreifliche Geschicklichkeit; er traute<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0107] will dir deinen Thee machen lassen! — Der Pfarrer, durch die Anrede völlig munter geworden , glaubte, es wäre nicht mehr nöthig, weil es sich schon gemindert habe. Die Frau drang aber so zärtlich in ihn, sie hielt ihm die Nothwendigkeit, einem möglichen heftigern Ausbruch durch das erprobte Mittel zuvorzukommen, so lebhaft vor, daß er sich fügte. Sachte verließ die Kluge das Schlafzimmer, über ihr Verfahren mit sich einig. Sie wollte durch den Ton ihrer Stimme dem Mädchen zu verstehen geben, daß sie Alles mit angesehen, und ihr eine Frist bestimmen, damit sie in derselben den Liebhaber aus dem Hause schaffte. Wurde sie nicht verstanden und blieb der Bursche, so wollte sie ein anderes Mittel ausdenken, das Aergerniß nicht weiter gehen zu lassen. — Wir haben gesehen, daß sie verstanden wurde. Nach gefaßtem Entschluß wandte sich die Bäbe zu dem Burschen. — Dieser hatte in der kurzen Zeit die seltsamste Reihe von Gefühlen durchlaufen. Als er in dem Zuruf die Stimme der Pfarrerin erkannte, wirkte dieselbe, namentlich in der verstärkten Wiederholung, wie ein Posaunenstoß des jüngsten Gerichts. Die Blutstropfen in seinen Adern, die noch eben krafterfüllt und angriffsmuthig wie Löwen sich erhoben hatten, rannten und taumelten durch einander, wie eine vom Wolf angefallene Schafheerde; mit Muhe hielt er sich aufrecht. Die Geistesgegenwart des Mädchens, das täuschende Spiel des Aufwachens und Aufstehens erfüllte ihn mit Staunen über solch unbegreifliche Geschicklichkeit; er traute

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/107
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/107>, abgerufen am 27.11.2024.